Stürze bei der Tour de France:"Es war klar, dass es wieder knallt"

Lesezeit: 3 min

Der Mitfavorit blutet: Jakob Fuglsang aus Dänemark. (Foto: REUTERS)
  • Manche Stürze beim Auftakt der Tour de France wären leicht zu vermeiden gewesen.
  • Debatten gibt es um die Etappenführung, die Fahrer sind verärgert.
  • Der deutsche Zeitfahr-Spezialist Tony Martin sagt: "Da redet man ein wenig gegen die Wand."

Von Johannes Aumüller, Brüssel

Emanuel Buchmann bekam noch ein Taschentuch gereicht, dann setzte er sich auf die Rolle in der Nähe des Mannschaftsbusses. Die Lippe blutete, das Knie war aufgeschürft, aber der deutsche Klassementfahrer aus dem Team Bora wollte nicht groß klagen über die Folgen seines Sturzes. "Es sollte nichts Schlimmeres passiert sein", sagte er, während er sich die Lippe abtupfte; dann strampelte er sich noch ein wenig den Tour-Auftakt aus den Beinen.

Buchmann war am Samstagabend wahrlich nicht der einzige der 176 Tour-Starter, der Auskunft über seinen Gesundheitszustand und die Folgen eines Sturzes erteilen sollte. Aber bei den meisten war es glimpflich ausgegangen. Der Vorjahressieger Geraint Thomas aus Großbritannien gab Entwarnung, ebenso der deutsche Routinier Tony Martin, auch der niederländische Top-Sprinter Dylan Groenewegen. Am schlimmsten waren die Folgen noch für den Podiumsanwärter Jakob Fuglsang aus Dänemark, der mit vier Stichen genäht werden musste.

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Der Niederländer siegt knapp vor Peter Sagan und fährt ins Gelbe Trikot. Teunissen hatte eigentlich den Sprint für seinen Team-Kollegen Dylan Groenewegen vorbereiten sollen - doch der war in einen Sturz verwickelt.

Nervöse und sturzreiche Auftaktetappen scheinen zur Tour zu gehören wie das Gelbe Trikot und das Verharmlosen des Dopingproblems. So begann auch dieser Tour-Start zwar mit einem überraschenden Sprintsieg des Niederländers Mike Teunissen vor dem Slowaken Peter Sagan - aber auch wieder mit Kollisionen.

Jeder Fahrer will nach vorne

"Es war klar, dass es wieder knallt", sagte der Deutsche Nils Politt. Mancher Vertreter der alten Garde wie der Astana-Teamchef Alexander Winokurow gab zwar zu Protokoll, dass es doch gar nicht so oft geknallt habe. Aber andernorts im Fahrerfeld hat dieser Tag schon ein paar Debatten ausgelöst. Denn Stürze gehören zwar zum Radsport, aber es ist zugleich die Frage, ob sich nicht einige davon verhindern lassen.

Eine Kollision war dabei besonders kurios, und zwar just jene, bei der Winokurows Kapitän Jakob Fuglsang auf den Bordstein krachte und in deren Folge auch Tony Martin zu Fall kam. Am Sonntag machte ein Video die Runde, das zeigt, wie der Italiener Damiano Caruso am Boden liegend das Rad um seinen Körper schleuderte und mit dieser Aktion Fuglsang abräumte - als sei er ein rustikaler Fußball-Verteidiger, der den dribbelnden Lionel Messi mit einer Grätsche stoppen müsse. Fuglsang fuhr blutüberströmt die Etappe zu Ende, ehe ihn dann die Ambulanz abholte.

Es sind aber neben solchen einzelnen Aktionen auch ein paar strukturelle Fragen, die den Auftakt der Frankreich-Rundfahrt so gefährlich machen, insbesondere in der Schlussphase, wenn alles auf einen Massensprint zusteuert. Die Tour ist nun mal das wichtigste Rennen des Jahres, jeder Fahrer will nach vorne, aufs Podium und in die Kameras, weil Präsenz und Erfolge bei der Tour mehr zählen als bei jedem anderen Wettkampf. Die Nervosität zu Beginn ist immens, das Risiko auch.

Die Sprinterteams wollen gut platziert sein, um die Etappen zu gewinnen und zu Beginn der Rundfahrt das Gelbe Trikot zu übernehmen; die Teams der Klassementfahrer wollen gut platziert sein, um ihre Kapitäne aus allen Widrigkeiten herauszuhalten und bloß keine Sekunden zu verlieren. Da ist es fast zwangsläufig so, dass die Straße zu eng werden kann, auch wenn sie wie an diesem Samstag in Brüssel eigentlich breiter als sonst ist.

Zusätzliche Gefahr entsteht manchmal auch noch durch die Streckenführung. "Die haben ein paar Fallen eingebaut, sodass es immer sehr nervös war", sagte Bora-Fahrer Maximilian Schachmann am Samstagabend nach seinem Tour-Debüt durch die Straßen von Brüssel. Vorjahressieger Thomas monierte, dass es auf den Schluss-Kilometern durch die Barrieren schon sehr eng war - und er gar keine Chance gehabt habe, auszuweichen.

Der deutsche Zeitfahr-Spezialist Tony Martin wiederum, der zu den Fahrern gehört, die solche Probleme schon lange ansprechen, teilte zu den Diskussionen um angemessene Etappenführungen generell mit: "Da habe ich schon ein bisschen resigniert. Ich kann es nur immer wieder anmerken. Auch was ich jetzt wieder bei der Ster ZLM Toer ( Etappenrennen in den Niederlanden, Anm. d. Red.) gesehen habe, da stellen sich mir die Nackenhaare auf."

Insgesamt ist die Diskussion offenbar frustrierend, Martin sagt: "Da redet man ein wenig gegen die Wand." Den Vorschlag des belgischen Quickstep-Teamchefs Patrick Lefevere, dass es auf den letzten Kilometern keine Kreisverkehre mehr geben solle, haben die Tour-Macher in diesem Jahr auch nicht wirklich umgesetzt, wie sich bei den nächsten Etappen zeigen wird, bei denen jeweils wieder mit einem Massensprint zu rechnen ist.

Die Verantwortlichen nehmen für sich in Anspruch, dass sie doch schon manches getan haben, um die Situation zu verbessern. So gibt es seit einigen Jahren die Drei-Kilometer-Regel. Diese besagt, dass Abstände, die kurz vor dem Ziel durch Stürze oder Defekte entstehen, nicht in die Wertung kommen. Und sie experimentierten auch schon mit einem neuen Zeitnahme-Reglement, wonach die Fahrer bei Massensprints bis zu drei Sekunden nach dem Sieger eintreffen dürfen und doch noch mit der Siegerzeit gewertet werden. Aber all das hilft offenkundig nur bedingt. Die Stürze vom Samstag dürften jedenfalls nicht die letzten der diesjährigen Tour gewesen sein.

© SZ vom 08.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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