Süddeutsche Zeitung

Tour de France:Sie zirkulieren weiter um sich selbst

Bei einigen Tour-de-France-Teams wirken immer noch Ärzte und Pfleger mit dopingbelasteter Vergangenheit. Auch die Mannschaft des derzeit Führenden Bradley Wiggins beschäftigt umstrittene Helfer. Dabei verfolgt es eine "Null-Toleranz-Politik", wie Teammanager Dave Brailsford versichert.

Andreas Burkert

Dieses Mal hat Bradley Wiggins niemanden beschimpft. Im Interviewmobil der Tour de France, das stets in der Nähe der Ziellinie parkt, ist sogar gekichert worden, weil der Mann im Maillot Jaune in einer rhetorisch ansprechenden, minutenlangen Suada seinen Frust über den latenten Dopingverdacht gegen ihn und sein Sky-Team vorbrachte.

Er könne sich nicht ständig rechtfertigen, hob der Engländer nach der zehnten Etappe an, "ich bin nicht einer dieser Scheißfahrer, die aus dem Nichts kamen, ich war dreimal Olympiasieger auf der Bahn und habe sechs Weltmeisterschaften als Verfolger gewonnen, ich war Vierter in der Tour", sprach Wiggins und schloss, hinter ihm stehe eine Menge.

14 Jahre nach dem Festina-Skandal bei der Tour und sechs Jahre nach der nicht minder spektakulären Puerto-Affäre ist allerdings immer noch die Frage, wer oder was wirklich hinter Wunderknaben wie Wiggins steckt - der im Vergleich zu seiner großen Zeit als Bahnfahrer acht Kilo weniger wiegt und dennoch in Ebene und Gebirge Kraft hat wie ein englisches Vollblut.

Die lebenslangen Sperren, welche die US-Anti-Doping-Agentur (Usada) nun gegen Lance Armstrongs Ärzte Michele Ferrari und Luis Garcia del Moral sowie den Trainer Pepe Marti aussprach, haben den Blick unweigerlich wieder auf die Entourage des Pelotons gelenkt. Auf die ewig selben Gesichter, die Radteams betreuen, obwohl der Ruf dieses Personals oft zweifelhaft ist.

Auch Bradley Wiggins' Mannschaft beschäftigt solche Betreuer, dabei verfolgt die Mannschaft offiziell eine "Null-Toleranz-Politik". Für Team Sky arbeitet etwa seit Ende 2010 der Holländer Geert Leinders, der zwischen 1996 und 2009 als Teamdoktor bei Rabobank wirkte, bis er dort geräuschlos entfernt wurde - im Zuge der Affären um den einst ausgebremsten, damaligen Tour-Ersten Michael Rasmussen (2007) und Enthüllungen zu mutmaßlichem Teamdoping ("Humanplasma").

Warum müssen es immer wieder solche geheimnisvollen Ärzte sein wie Leinders, Figuren wie der Italiener Ferrari, der schon 1994 erklärte, dass die Anwendung von Mitteln wie Epo, die (damals) nicht nachweisbar seien, kein Doping sei und er keine Bedenken hätte sie anzuwenden?

"Man kennt sich im Radsport halt schon sehr lange untereinander und weiß viel voneinander", sagt Helge Riepenhof, "und das ist sicher ein Riesenproblem."

Der junge deutsche Arzt hat sich inzwischen einen Namen gemacht, er zählt jetzt zum medizinischen Team der Quick-Step-Mannschaft mit Zeitfahr-Weltmeister Tony Martin. Riepenhof ist erst 34, sein Händedruck ist fest und seine Furcht, sich mit kritischen Äußerungen über etablierte Kollegen unbeliebt zu machen, überschaubar.

Der Norddeutsche, inzwischen auch Head of Sports Medicine & Science beim ambitionierten englischen Fußball-Zweitligisten Brighton and Hove Albion FC, ist einer der wenigen Quereinsteiger im Feld. Der Unfallarzt und Orthopäde begann 2007 beim T-Mobile-Team (später Highroad). Nach der erzwungenen Geständniswelle der alten Telekom-Garde und den Enthüllungen um das von den Freiburger Sportmedizinern Lothar Heinrich und Andreas Schmid praktizierte Teamdoping wurde Riepenhof engagiert.

Er erhielt damals gleich einen Crashkurs: Der Ukrainer Sergej Gontschar war ihm vor einem Start mit ungewöhnlichem Blutprofil aufgefallen und wurde schließlich gefeuert. Dann kam der Dopingfall Patrik Sinkewitz, weshalb der Hauptsponsor sich endgültig verabschiedete. "Damals gab es nicht nur einen Tag, an dem ich dachte: Warum soll ich mir im Radsport meine Karriere kaputtmachen?", sagt Riepenhof.

Die Konsequenz des neuen Teameigners Bob Stapleton nicht nur im Fall Gontschar habe ihn letztlich überzeugt, "wir haben ein Anti-Doping-Konzept erstellt und Leute rausgeschmissen". Doch selbst bei Quick Step ist Riepenhof mit seinen Leuten nun eine Art Team im Team: Der von Affären begleitete Belgier Ivan Van Mol ist dort immer noch Teamarzt, ebenso der Spanier José Ibarguren.

Quick Step hat sich nach diversen Dopingaffären einer Rundum-Erneuerung verschrieben, Riepenhof ist ein Teil davon. Doch dass nun auch jemand wie Ibarguren hinzustieß, wirkt so, als hätte die bankrotte Hypo Real Estate jenen Banker in den Konsolidierungsvorstand berufen, der den Absturz von Lehman Brothers choreografierte: Der Baske wurde schon vom einstigen Festina-Pfleger Willy Voet als "Dopingarzt" bezeichnet. Ibarguren war Teamarzt von Saunier Duval, als bei der Tour 2008 Riccardo Riccó und Leonardo Piepoli mit Epo aufflogen. Auch in seiner Zeit bei Euskaltel und Lampre (der Tourdritte Raimondas Rumsas) gab es prominente Dopingfälle; ganz zu schweigen von Team Festina.

"Alte Freundschaften" stünden wohl bei Quick Step hinter dieser Personalie, sagt Riepenhof und versichert dennoch, man ließe ihn seinen neuen Weg mit Details wie Gesundheits-Screening und moderner Diagnostik gehen. "Und für die UCI-Untersuchungen aller Fahrer bin ich verantwortlich, das war meine Voraussetzung." Ohnehin habe er mit diskreditierten Sportärzten nicht mal das größte Problem. "Schlimmer finde ich, dass es weiterhin in Teams diese Pfleger gibt, die soigneurs, die meinen, sie müssten mit Medikamenten hantieren. Das ist die größte Gefahr, die ich sehe."

Und so zirkuliert das Feld irgendwie weiter um sich selbst. Der spätestens seit den Vorwürfen gegen Rabobank umstrittene Doktor Leinders, dessen Klient Rasmussen 2007 kurz vor Paris vom Rad geholt wurde, darf sich vielleicht bald doch als Betreuer eines Toursiegers fühlen. Warum jemand wie Leinders? "Weil wir auch jemanden mit Erfahrung im Radsport brauchen", entgegnet Wiggins' Sky-Teamchef David Brailsford, die Belastungen und Verletzungen im Radsport wie Sitzbeschwerden ließen sich mit nichts vergleichen. "Und hat er betrogen, seitdem er bei uns ist? Nein. War er ein guter Doktor? Ja, brillant."

Helge Riepenhof sagt, Erfahrung brauche man, das stimmt. "Aber man muss diese Erfahrungen nicht unbedingt in einem ProTour-Team gesammelt haben."

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SZ vom 13.07.2012/Jüsc
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