Tour de France:Revanche mit neuem Akzent

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Gelb und Gelb gesellt sich gern: Tadej Pogacar (UAE, rechts) auf der Schlussetappe des Jahres 2020 gemeinsam mit seinem Landsmann Primoz Roglic im Trikot der Jumbo-Visma-Mannschaft. (Foto: Christophe Ena/dpa)

Bei der Tour de France deutet viel auf eine Wiederholung des Duells zwischen Tadej Pogacar und Primoz Roglic hin. Doch der Parcours ist diesmal anders - und das britische Team Ineos gleich mit drei Spitzenfahrern am Start.

Von Johannes Aumüller, Brest/Frankfurt

Brest und der Grand Départ, das ist durchaus eine traditionsreiche Beziehung. Erst seit den Fünfzigerjahren ist es üblich, dass die Tour de France nicht im Großraum Paris startet, sondern in wechselnden Regionen im In- und Ausland, und keine andere Stadt wählten die Organisatoren seitdem so oft wie die Hafenstadt am äußersten westlichen Zipfel der Bretagne. Bereits zum vierten Mal nach 1952, 1974 und 2008 empfängt Brest zur Auftaktetappe - auch wenn es diesmal nur zum Zug kam, weil der eigentliche Ausrichter Kopenhagen als Folge der Corona-Turbulenzen nun erst nächstes Jahr drankommt und der potenzielle Ersatzort Rennes abwinkte. Dort fanden die politisch Verantwortlichen das ganze Tour-Spektakel aus Umweltgründen nicht mehr zeitgemäß.

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Nun hat sich Brest so aufgehübscht, wie es sich für einen Gastgeber des Grand Départ gehört, und sie würden aus ihrem Département Finistère gerne das Signal senden, dass die 108. Tour de France wieder durch etwas mehr Normalität rollt. Die Maskenpflicht auf den Straßen gilt nicht mehr, das Hotel- und Gastgewerbe berichtet von einer großen Nachfrage, es dürfen wieder mehr Zuschauer an die Strecke. Zwar existiert weiter ein strenges Corona-Protokoll, und die Teams sollen die drei Rennwochen abgeschirmt von der Öffentlichkeit verbringen, wie im Vorjahr. Insgesamt soll aber wieder mehr klassische Tour-Atmosphäre aufkommen, wenn die Fahrer die 3414,4 Kilometer von der Bretagne bis nach Paris absolvieren.

Dabei dürfte schon klar sein, dass diese Schleife aus sportlich-dramaturgischer Sicht etwas ungewohnter abläuft als in den vergangenen Jahren. Die Tour-Macher haben bei der Konzeption der Strecke diesmal einen anderen Akzent gesetzt. Bei den vergangenen Auflagen konnten ihnen die Profile nicht schwer genug sein. Nun gibt es natürlich immer noch genügend heftige Bergetappen, und die Tour-Bosse muten es den Sportlern sogar zu, an einem Tag gleich zweimal den mythischen Mont Ventoux hinaufzuklettern. Insgesamt sind aber nur drei Bergankünfte vorgesehen, dafür einige windanfällige und hügelige Etappen wie zu Beginn in der Bretagne - sowie 58 flache Zeitfahrkilometer, so viele wie seit fünf Jahren nicht mehr. Mancher Kletterspezialist, darunter Egan Bernal, der Gesamtsieger von 2019, hat sich deswegen entschieden, die Tour de France auszulassen und sich stattdessen auf den Giro im Mai zu konzentrieren (den der Kolumbianer dann auch gewann).

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Als die größten Favoriten gelten, so oder so, die beiden maßgeblichen Protagonisten des Vorjahres: die Slowenen Tadej Pogacar (22/Team UAE) und Primoz Roglic (31/Team Jumbo-Visma). Damals sah es lange nach einem Triumph von Roglic aus, bis Pogacar am vorletzten Renntag in einem denkwürdigen Bergzeitfahren zwei Minuten schneller war und im Gesamtklassement noch an seinem Landsmann vorbeirauschte - mit einem Auftritt, der die Zweifel an ihm auf eine Ventoux-ähnliche Größe schnellen ließ. Fassungslos fuhr Roglic ins Ziel ein, die Niederlage machte ihm schwer zu schaffen; auch wenn er vor dem Tour-Start nun beteuert, es sei "nichts zurückgeblieben".

Bei seinem Jumbo-Team versuchen sie nun jedenfalls, manches anders zu machen. Seit Ende April bestritt Roglic kein Rennen mehr, sondern verkroch sich ins Trainingslager, während Pogacar bis zuletzt auf der Strecke war. Man habe aus dem vergangenen Jahr gelernt, so Roglic' Sportlicher Leiter Grischa Niermann: "Wir waren damals im Rennen sehr dominant und haben nicht gewonnen. Da werden wir sicher taktisch etwas anders machen."

Roglic selbst will von der neuerlichen Zuspitzung auf ein slowenisch-slowenisches Duell nichts wissen. Es gebe da noch 20 andere gute Jungs, erklärte er zuletzt. So ähnlich sehen das auch andere Beteiligte. "Ich könnte mir gut vorstellen, dass Jumbo und UAE sich erst mal ein bisschen bekriegen und Ineos am Schluss der lachende Dritte ist", glaubt zum Beispiel Ralph Denk, der Teamchef der deutschen Bora-Hansgrohe-Mannschaft.

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In der Tat ist Ineos in einer veränderten Rolle unterwegs. Bei sieben der vergangenen neun Tour-Auflagen kam der Sieger aus der Equipe von Dave Brailsford, die schon seit Jahren und zuletzt noch einmal verstärkt in den Strudel von Dopingenthüllungen in Großbritannien geraten war. Das Muster war dabei meist so: Kontrolle ohne Ende, vom Start bis ins Ziel. Mittlerweile peilen sie bei Ineos eine offensivere Fahrweise an, zumal sie auch ohne das Mitwirken Bernals gleich drei Fahrer aufbieten, die sich als Kapitän und Anwärter auf den Gesamtsieg herausstellen könnten: Geraint Thomas, Tour-Triumphator 2018, Richard Carapaz, Giro-Sieger 2019 sowie Vuelta-Zweiter 2020 - und Tao Geoghegan Hart, der im Vorjahr am Ende einer wilden Italien-Rundfahrt ganz vorne landete.

Und neben dem Ineos-Dreizack gehören zu den 20 guten Jungs, von denen Roglic sprach, auch noch eine Reihe mehr oder minder aussichtsreicher Außenseiter, vom Franzosen Julian Alaphilippe über die Kolumbianer Miguel Angel Lopez und Rigoberto Uran bis zum Dänen Jakub Fuglsang, in dessen Astana-Team es am Donnerstag noch zum großen Knall kam. Teamchef Alexander Winokurow, einst ein besonders auffälliger Doper und seit 2013 Manager der Mannschaft, wurde kurzerhand und unter etwas ominösen Umständen von seinem Posten abgesetzt.

Was ist diesmal möglich? Emanuel Buchmann war schon mal Vierter bei der Tour. Offiziell ist der Deutsche nun Helfer für Bora-Kapitän Wilco Kelderman - aber seine Form scheint zu stimmen. (Foto: Valentin Flauraud/dpa)

Dass es mit Roglic' Sieg dennoch klappt, dazu soll auch der deutsche Routinier Tony Martin etwas beisteuern. Der 36-Jährige ist zum 13. Mal bei einer Tour dabei, und es wird wohl wieder ziemlich viele Kilometer geben, in denen er das Peloton als Tempomacher für sein Jumbo-Team anführt. Das ist durchaus beispielhaft für das deutsche Dutzend, das in diesem Jahr startet. Die meisten werden eher Helferrollen innehaben, nur im Ausnahmefall werden sie um Etappensiege mitfahren; dafür prädestinierte Pedaleure wie Maximilian Schachmann, Lennard Kämna, Pascal Ackermann und John Degenkolb fehlen aus verschiedenen Gründen.

Insbesondere ein Deutscher könnte sich doch noch als prägender Fahrer erweisen: der Klassementspezialist Emanuel Buchmann, 2019 Vierter der Frankreich-Rundfahrt. Der 28-Jährige war eigentlich gar nicht vorgesehen für das Aufgebot seines Bora-Teams. Giro statt Tour, das war der Plan, weil der Parcours dort seinen Fähigkeiten eher zupass kam, ähnlich wie bei Bernal. Doch dann musste Buchmann die Italien-Runde nach einem Sturz in einer guten Position aufgeben. Offiziell ist er nun als Helfer für Bora-Kapitän Wilco Kelderman dabei - aber die Form scheint wieder zu stimmen. Es wäre nicht das erste Mal, dass jemand aus einer vermeintlichen Helferrolle, in der er zunächst nicht ganz so im Fokus steht, zu überzeugen weiß.

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