Ein paar hundert Meter vor dem Ziel konnte es für einen kurzen Moment so wirken, als sei Tadej Pogacar diesmal etwas generöser. Eine vierköpfige Spitzengruppe war vorne, und der Slowene nahm ein bisschen Tempo heraus und ließ die Kontrahenten kurz passieren - doch kurz danach folgte die nächste Attacke, der mal wieder niemand folgen konnte. Mit einem ordentlichen Zielsprint erreichte Pogacar, 22, auch bei der letzten schweren Bergetappe nach Luz Ardiden den Tagessieg, und damit war das Werk quasi vollbracht. Sollte es nach seinen dominanten Auftritten in den vergangenen knapp drei Wochen noch irgendeinen Zweifel gegeben haben, dass der Slowene wie schon im Vorjahr die Tour de France gewinnen würde, so waren diese am Ende dieses Tages endgültig dahin.
Nur noch zwei Flachetappen und ein kurzes Zeitfahren sind bis zur Ankunft des Pelotons in Paris am Sonntagabend zu absolvieren, und Pogacar liegt mehr als fünfeinhalb Minuten vor dem Dänen Jonas Vingegaard (Team Jumbo) und Richard Carapaz (Ineos), die im Kampf um den zweiten Platz nur sechs Sekunden trennen. "Es ist schon verrückt, dass es wieder geklappt hat. Ich habe mich gut gefühlt und bin total glücklich", sagte Pogacar nach seinem dritten Tagessieg.
Aber dieser neuerliche Triumph des Slowenen, der geriet an diesem Tour-Tag fast schon zur Nebensache, zumal er so erwartbar war. Denn zugleich kehrte das Doping-Thema, das der Radsport so gerne für überwunden erklärt, mit voller Kraft zur Rundfahrt zurück.
Königsetappensieger Tadej Pogacar:Wie ein Formel-1-Fahrer in den Pyrenäen
Tadej Pogacar gewinnt den schwersten Abschnitt der Tour mit einer Machtdemonstration: Während die Konkurrenten sich mit schmerzverzerrtem Gesicht quälen, scheint der Gesamtführende regelrecht zu lächeln.
Am Donnerstag wurde bekannt, dass es am Vorabend im Teamhotel von Bahrain Victorious, einer der stärksten Mannschaften des Pelotons und insbesondere auch bei dieser Tour, zu einer Razzia durch die Polizei gekommen war. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft Marseille sei bereits am 3. Juli eine Untersuchung eingeleitet worden. Es gehe dabei um den Verdacht auf "Erwerb, Transport, Besitz, Einfuhr einer verbotenen Substanz oder einer verbotenen Methode zur Anwendung durch einen Athleten ohne medizinische Begründung".
Bahrain Victorious bestätigte in einer ersten Stellungnahme, dass die Polizei die Räumlichkeiten durchsucht habe. Das Team habe sich "zu höchster Professionalität und zur Einhaltung aller Vorschriften verpflichtet" und werde immer "auf professionelle Art und Weise kooperieren". Die Beamten hätten die Herausgabe von Trainingsdaten verlangt. Man habe alle gewünschten Unterlagen übergeben, aber man kenne noch gar nicht die Hintergründe der Aktion. Verhaftungen gab es nicht. "Es war nichts Besonderes", sagte Teamchef Milan Erzen dem Fachportal Cyclingnews: "Sie haben nach den Trainingsunterlagen der Fahrer gefragt, den Bus kontrolliert, und das war's."
Schon im Vorjahr wurde die Marseiller Staatsanwaltschaft während der Tour aktiv
Das war's? So sieht es eher nicht aus angesichts des Statements der Staatsanwaltschaft Marseille. Zwar war die auch schon im Vorjahr rund um die Frankreich-Rundfahrt aktiv gewesen. Damals suchten Polizisten das Hotel der Arkea-Samsic-Mannschaft um den kolumbianischen Kletterer Nairo Quintana auf, die Ermittler fanden Injektionsnadeln und Kochsalzlösungen, zwei Betreuer kamen in Gewahrsam. Anfragen zum weiteren Fortgang dieser Untersuchungen beantworteten zuletzt weder die Staatsanwaltschaft noch die französische Equipe.
Aber Bahrain Victorious ist nun noch einmal eine andere Dimension. Die Mannschaft mischt seit ihrer Gründung 2017 führend im Peloton mit, nicht zuletzt dank großzügiger Alimentierungen aus dem Königreich Bahrain. Auch bei dieser Tour ragte sie heraus. In der Gesamtwertung liegt zwar keiner ihrer Fahrer ganz vorne, weil der Kapitän Jack Haig schon in der ersten Woche nach einem Sturz die Rundfahrt verlassen musste. Aber der Belgier Dylan Teuns und der Slowene Matej Mohoric gewannen schwere Etappen, der Italiener Sonny Colbrelli war oft in Ausreißergruppen zu finden, und der Niederländer Wout Poels verlor erst während der letzten schweren Pyrenäen-Etappe das begehrte Bergtrikot an Pogacar.
Es ist allerdings nicht das erste Mal, dass es rund um die Mannschaft Aufregung wegen des Doping-Themas gibt. Vor zwei Jahren wurden im Kontext der "Operation Aderlass" rund um den Erfurter Blutdopingring des Sportmediziners Mark Schmidt der Bahrain-Profi Kristijan Koren und der Bahrain-Sportdirektor Borut Bozic gesperrt. Es war aufgeflogen, dass sie - allerdings vor ihrer Zeit bei der Mannschaft Bahrain - zu Schmidts Kunden gezählt hatten. Auch Teamboss Erzen selbst tauchte im Kontext dieser Affäre auf, wobei er stets bestritt, dass er irgendetwas mit unrechtmäßigen Handlungen zu tun oder deswegen mit Schmidt Kontakt gehabt habe.
Tour de France:"Irgendwann muss man als Fahrer ein Zeichen setzen"
Der deutsche Sprintroutinier André Greipel spricht über Stürze, gefährliche Streckenführungen, den Streit mit den Rennverantwortlichen und über die Zweifel an Tour-Dominator Tadej Pogacar.
Im Rahmen des Prozesses gegen Schmidt vor dem Landgericht München, in dem der Mediziner Ende des vergangenen Jahres zu vier Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt wurde, wurde etwa vorgetragen, dass es 2014 eine SMS von Erzen an den Sportarzt gegeben habe. Sein Anwalt erklärte dazu, dass Erzen zwischen 2013 und 2016 keine Funktion im Radsport gehabt habe und die SMS an Schmidt nichts mit dem Radsport zu tun gehabt habe. "Außerdem gab es nie irgendeine Form der Zusammenarbeit zwischen Erzen und Schmidt und sie haben nie eine Beziehung zueinander aufgebaut, weder geschäftlich noch persönlich", sagte er.
Auch im Frühjahr geriet das Team wieder in den Fokus. Da veröffentlichte die französische Zeitung Le Parisien einen längeren Text über die Zweifel an den starken Leistungen des Teams; in anonymer Form gab dort auch der Teamchef eines Konkurrenten seine Bedenken zu Protokoll. Bahrain-Boss Erzen konterte auch das klar. "Mich interessiert nicht, was andere Teamchefs sagen", sagte er: "Ich kann zu 110 Prozent sicher sein, dass wir uns an die Regeln halten."
Als am Donnerstag, am Morgen nach der Razzia im Mannschaftshotel, das Feld zum Start der letzten Pyrenäen-Etappe rollte, ignorierten die meisten Fahrer von Bahrain die Mixed Zone. Sonny Colbrelli, eigentlich ein Sprinter, aber bei dieser Tour unter anderem als Dritter der schweren Alpen-Etappe nach Tignes auffallend gut, meldete sich jedoch mit einer bemerkenswerten Einlassung zu Wort. Eine solche Razzia, so führte der italienische Meister aus, würde es geben, wenn man Höhentrainingslager durchführe, sich gut vorbereite und viel Geld ausgebe: "Wir zahlen den Preis für unsere Leistung."