Tour de France:Neuanfang auf belgisch

Ein neues Protokoll des Kronzeugen Patrik Sinkewitz belastet die Tour-Ärzte von Quick Step. Darunter ist auch ein spanischer Olympia-Arzt.

Andreas Burkert und Thomas Kistner

Spät am Mittwochabend kam Tom Boonen in Monaco an, mit den Teamkollegen von Quick Step wohnt er nahe des Grimaldi-Forums, wo die Tour de France ihr Quartier bezogen hat vor dem Start an diesem Samstag. Dass Boonen hier ist und bisher davon ausgeht, mit dem Zeitfahren im Fürstentum die 96. Frankreich-Rundfahrt in Angriff nehmen zu können, ist auf den ersten Blick erstaunlich.

Tour de France: Patrik Sinkewitz auf einem Bild aus dem Jahr 2007, als er noch für das Team T-Mobile fuhr.

Patrik Sinkewitz auf einem Bild aus dem Jahr 2007, als er noch für das Team T-Mobile fuhr.

(Foto: Foto: AP)

Denn Boonen, 28, in seiner Heimat Belgien ein Star als dreimaliger Sieger von Paris - Roubaix und früherer Weltmeister, ist innerhalb eines Jahres dreimal positiv auf Kokain getestet worden und deshalb erneut bei der Tour zur unerwünschten Person erklärt worden; dennoch kämpfte er am Donnerstag mit Hilfe seines Teams vor dem französischen Sportgericht um seinen Start. Auf den zweiten Blick indes ist diese Dreistigkeit nur konsequent. Denn Boonens Arbeitgeber ist der Rennstall Quick Step - das Paradebeispiel für ein mutmaßlich systematisch gedoptes Team und eines Blue Chips im Radsport, der in Monaco mal wieder einen Neuanfang beschwört.

Dass Quick Step seinen Leader trotz dessen Schwäche für Drogen nicht still daheim lässt, ist eine Sache. Die andere ist das Führungspersonal. So wird das Team noch heute offiziell von den langjährigen Teamärzten Yvan Van Mol und Manuel Rodriguez Alonso betreut - ihre Namen tauchen in der offiziellen Abschrift eines Tonbandinterviews auf, welche das deutsche BKA anfertigte.

In dem mehr als 100 Seiten starken Papier, das der SZ vorliegt, äußert der geständige Doping-Kronzeuge Patrik Sinkewitz, der von 2001 bis 2005 für Teambesitzer Patrick Lefévère fuhr, dass er sowohl vom aktuellen Tour-Teamarzt Rodriguez als auch von Chefdoktor Van Mol verbotene Dopingmittel wie Epo, Wachstumshormone oder Kortison erhalten und mit diesen beiden Ärzten ständig die Medikationen abgestimmt habe. Sinkewitz geht gar davon aus, dass Lefévère das Dopingsystem finanziert habe.

Die deutschen Fahnder haben im Zuge ihrer Ermittlungen zu Sinkewitz auch ausländische Kollegen informiert. "Nach entsprechender rechtlicher Prüfung wurden relevante Informationen nach Belgien weitergeben", sagte BKA-Sprecherin Anke Spriestersbach der SZ.

Der Trend des Dokuments deckt sich mit dem Protokoll der Weltantidoping-Agentur Wada, das diese von einem Gespräch mit Sinkewitz anfertigte, aber erst nach einem ZDF-Bericht an den Weltverband UCI weitergab - keineswegs aber an die bei der Tour zwar nicht mehr für die Tests alleinverantwortliche, doch federführende französische Antidopingagentur AFLD.

Dies bestätigt Wada-Sprecher Frederic Donze in gewundenen Sätzen: "Wir haben das Material der UCI gegeben, weil die eine Rechtssprechung hat. Wir erwarten, dass die UCI (die Erkenntnisse/Anm. d. Red.) mit anderen wichtigen Organisationen teilt." Die Frage, warum man die Anklagen just in Frankreich, wo das schärfste Antidopinggesetz gilt, nicht weitergibt, ließ die Wada trotz Nachfrage unbeantwortet.

Auszüge aus dem Protokoll

So muss die nationale Dependance noch warten auf die klaren Aussagen, die Sinkewitz zu alteingesessenen Hauptdarstellern eines prominenten Tourteams machte. Van Mol, Jahrgang 1953, arbeitet seit Anfang der Neunziger für seinen Freund Lefévère und dessen Rennställe (bis 2001 Mapei, dann Quick Step). Sinkewitz beschreibt den Schnauzerträger als verantwortlichen Arzt, der wiederholt verbotene Mittel gespritzt habe.

"Kortison auf jeden Fall", heißt es in der Tonbandabschrift, "(...) und ich weiß, dass ich einmal von ihm Wachstumshormone bekommen habe, bei der Vuelta, er hatte es dabei (...) Ob er mir Epo gab, weiß ich nicht mehr. Aber er wusste zumindest davon." Während der Belgier aber nur sporadisch bei Rennen anwesend gewesen sei, sei seine Vertrauensperson Van Mols erster Assistent Rodriguez gewesen; mit ihm habe er sich vor allem telefonisch regelmäßig ausgetauscht, "damit die Werte in Ordnung waren". Sorgen, erwischt zu werden, habe er nicht gehabt. "Das war ja mit dem Arzt immer abgestimmt."

Rodriguez ist nicht nur bei Quick Step eine vertraute Größe. Laut Teamauskunft arbeitete er bei vier Olympischen Spielen für Spaniens Olympiakomitee, das sich, dies nebenbei, bei den dopingverdächtigten Fuentes-Kunden Alejandro Valverde (in Italien verurteilt, bei der Tour nicht zugelassen) und Alberto Contador (unbehelligt, Siegfavorit) ausdauernd betriebsblind zeigt. Zudem wirkt Rodriguez seit 2007 als "Professor der Ernährungsberatung und Leistungssport für Real Madrid"; er lehrt an einer Madrider Privatuniversität, die mit dem königlichen Fußballklub kooperiert.

Über den Olympiaarzt, der an der Uni Oviedo eine Professur hat und nach der Tour de Suisse auch in Frankreich Quick Step betreut, berichtete Sinkewitz: "Wenn die Rennen kamen, haben wir logisch darüber (Doping/Anm. d. Red.) gesprochen. (...) Manchmal gab es auch morgens schon mal Kortison. (...) Kortison, das war immer dabei. (...) Er hatte schon ein paar (Dopingprodukte/Anm.d.Red.) dabei, klar. (...) Epo kannte ich ja schon, habe ich aber dort (bei Quick Step/Anm. d. Red.) weiter genommen. (...) Auch Synakten, Andriol. (...) Im Trainingslager haben wir uns darüber unterhalten, was das macht, wie das wirkt."

Dass Manager Levéfères Team systematisches Doping unterstellt wird, ist nicht neu. 2007 berichtete die Zeitung Het Laatste Nieuws unter Berufung auf Zeugen, Lefévères Profis betrieben organisiertes Doping. Zu Lefévère sagt Sinkewitz laut Protokoll: "Er hatte voll das Vertrauen in Van Mol, dass keiner erwischt wird. (...) Ich kann mir schwer vorstellen, dass er davon nie etwas mitbekommen hat." Levéfère, 55, früher selbst Profi, bestreitet alle Vorwürfe und verklagte das belgische Blatt auf 20 Millionen Euro Schadensersatz.

Das Verfahren läuft - das der SZ vorliegende Protokoll dürfte in den Prozess einfließen. Auch jetzt, nach Bekanntwerden von Sinkewitz' Vorwürfen, weist Quick Step alles zurück. "Es ist offensichtlich, dass diese falschen Veröffentlichungen unser Team betreffend ausgerechnet kurz vor dem wichtigsten Radsportereignis gemacht werden", sagt Lefévère. Teamsprecher Alessandro Tegner ergänzt, man kenne "das Protokoll von Patrik bislang nicht, deshalb bevorzugen wir und die Ärzte es im Moment, keinen Kommentar abzugeben."

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