Tour de France:Kopfüber auf die Wiese

Tour de France: Favorit auf Abwegen: der Brite Christopher Froome (r.) stürzte auf der ersten Etappe und verlor - wie einige seiner Konkurrenten um den Gesamtsieg - Zeit.

Favorit auf Abwegen: der Brite Christopher Froome (r.) stürzte auf der ersten Etappe und verlor - wie einige seiner Konkurrenten um den Gesamtsieg - Zeit.

(Foto: Jeff Pachoud/AFP)
  • Der Kolumbianer Fernando Gaviria gewinnt die erste Etappe der Tour de France vor Peter Sagan, Marcel Kittel wird Dritter.
  • Christopher Froome stürzt und verliert 51 Sekunden auf den Sieger. Doch auch andere Favoriten wie Nairo Quintana verlieren Zeit.

Von Johannes Knuth, Fontenay-Le-Comte

Womit anfangen nach dieser ersten Etappe, die von allem etwas hatte und noch ein bisschen mehr? Bei den Stürzen? Dem Titelverteidiger der Tour, der kopfüber auf eine mit Gänseblümchen verzierte Wiese rauschte? Diesem Sprintfinale? Oder doch bei einem Teamchef, der am Tag zuvor so ein ungutes Gefühl hatte?

Ralph Denk, der Chef deutschen Bora-hansgrohe-Equipe hatte am Vorabend dieser Tour de France die Stirn ein wenig in Falten gelegt. Die Massenankünfte seien zuletzt fast immer in sozialverträglichen Bahnen verlaufen, begann er, doch dann folgte ein recht langes "Aber". Das Material der Räder werde immer besser, die Fahrer auf den letzten Metern immer schneller. Viele Städte würden mehr Kreisverkehre und Speed Bumps errichten, kleine Erhebungen auf der Straße, die den Verkehr bremsen sollen. Schön für die Anwohner, weniger schön für ein aufgekratztes Peloton, das sich mit bis zu 75 Stundenkilometern gen Ziel stürzt. Für das Finale der ersten Tour-Etappe am Samstag befürchtete Denk also nichts Gutes: "Alle sind noch frisch, es geht um das Gelbe Trikot beim größten Rennen der Welt. Ich hoffe, dass sich die Fahrer nicht die Köpfe einrennen", sagte er. Das klang auch ein bisschen so, als gehe es um den Nahkampf im Sommerschlussverkauf.

Gaviria ist der erste Kolumbianer im gelben Trikot seit 15 Jahren

Die 105. Tour de France ist am Samstag also gestartet, nach einer Woche, die vom im Zwielicht stehenden Christopher Froome und seinem sportpolitischen Spurt zu dieser Rundfahrt dominiert war. Tatsächlich wurde es eine Eröffnungsetappe, die der Hektik eines Sommerschlussverkaufs um nichts nachstand. Das Peloton zwängte sich halsbrecherisch durch Straßenverengungen und Kreisverkehre, Froome rauschte auf eine Wiese, weitere Fahrer verunfallten, ein Tour-Debütant gewann die wichtigsten Tagespreise: Fernando Gaviria, 23, aus La Ceja in Kolumbien holte sich den Etappensieg und das Gelbe Trikot dazu.

Gaviria war lange ein Rohdiamant in seiner belgischen Quickstep-Equipe, jetzt ist er der erst zweite aus der stolzen Radsport-Schmiede Kolumbiens, der sich das begehrte Leibchen überwerfen darf (der erste war Victor Hugo Pena vor fünfzehn Jahren). "Ein großartiger Tag, davon habe ich geträumt", sagte Gaviria später, nebenbei hatte er ja auch noch die versammelte Weltelite der Sprinter bezwungen. Die ambitionierten Deutschen? Die badeten teils in warmen, teils frostigen Gefühlen. Marcel Kittel trug nach seiner bislang mäßigen ersten Saison bei Katjuscha-Alpecin einen dritten Platz in die Wertung, "der einem wirklich Mut gibt", wie er fand; John Degenkolb schlug sich als Achter wacker, André Greipel traf auf Rang 26 ein. Der 35-Jährige war damit freilich nur einer unter vielen Enttäuschten.

Das Rennen hatte zunächst begonnen wie erwartet, drei Fahrer hatten sich früh vom Hauptfeld abgesetzt. Sie hatten kaum Aussichten, die 201 Kilometer bis zum Ziel an der Spitze zu erleben, aber sie betrieben immerhin ein bisschen Werbung für ihre Sponsoren und die Gastgeber des Tour-Auftakts, das Departement Vendée. Jérôme Cousin zum Beispiel stammt aus Nantes und trägt das Trikot der in der Region verwurzelten Equipe von Direct Énergie. Zehn Kilometer vor dem Ziel waren die Ausreißer gestellt, und der bislang eintönige Verlauf wurde erstickt von einem Finale, das die Sinne betäubte.

Froome verliert 51 Sekunden auf die Spitze

Der erste Sturz, etwas weiter hinten im Feld: Viele Fahrer rauschten in die Unfallstelle oder verhedderten sich in Schwierigkeiten - auch der Brite Adam Yates und der Australier Richie Porte, die große Hoffnung von BMC. Sie hatten Glück im Unglück, denn kurz darauf erwischte es auch andere Mitbewerber um den Gesamtsieg: Froome trieb es vor einer Linkskurve an den rechten Straßenrand, er verlor das Gleichgewicht und purzelte ins Feld. Er trug offenkundig keine schweren Verletzungen davon, Abschürfungen an der Schulter, doch weil die Teams der Sprinter im Hauptfeld das Tempo anzogen, verlor der Brite 51 Sekunden auf die Spitze, unter anderem auf seinen Widersacher Romain Bardet. Noch unglücklicher traf es Nairo Quintana (1:15 Minuten zurück), Landsmann des Etappensiegers; er hatte dreieinhalb Kilometer vor dem Ziel einen Platten. Wäre das Malheur 500 Meter später passiert, wäre Quintana in der gleichen Zeit gewertet worden wie der Tagesbeste.

Gavirias Quickstep-Auswahl, die im Vorjahr noch Kittel zu fünf Tagessiegen geführt hatte, zog unterdessen einen fast perfekten Sprint an. Sie verschärfte das Tempo, als das Peloton gerade mit Seitenwind zu kämpfen hatte, Greipel büßte da bereits alle Chancen ein. "Meine Teamkollegen waren großartig, einfach zu stark", sagte Gaviria später. Er wirkte nie wirklich angreifbar, auch nicht von Peter Sagan, dem Weltmeister aus der Bora-Equipe, der Zweiter wurde. Kittel zog seinen Spurt etwas später an, "ich habe ein bisschen gepokert", sagte er, immerhin schob er sich noch an Alexander Kristoff vorbei. Später befand der 30-Jährige: "Ich bin schon wieder im Tour-Tunnel drin, hab das Gefühl in den Beinen, ein gutes Gefühl fürs Feld und das Finale. Darauf können wir alle aufbauen, auch als Team."

Am Sonntag bietet sich dafür schon die nächste Chance, die 183 Kilometer von Mouilleron-Saint-Germain nach La Roche-sur-Yon sind wieder für die Sprinter gemacht. "Natürlich wollen wir an ihnen vorbeiziehen", sagte Kittel mit Blick auf Gaviria und dessen Equipe. Doch der Kolumbianer hat gegenüber allen Mitbewerbern erst mal einen großen Vorteil, den Kittel nach dem Auftakt vor einem Jahr noch auf seiner Seite hatte. "Wenn wir weitere Etappen gewinnen, ist das großartig", sagte er am Samstag. "Und wenn nicht, dann haben wir bereits eine gewonnen."

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