Süddeutsche Zeitung

Tour de France:Kollision zweier Wahrheiten

Lance Armstrong bestreitet, Miteigner seines alten Rennstallbetreibers Tailwind gewesen zu sein - 2005 hatte er genau dies unter Eid noch bestätigt.

Andreas Burkert, Sisteron

Die Tour hat sich ihre frühere Welt zurückerobert. "Das neue Gesicht der Großen Schleife" überschrieb am Donnerstag Le Figaro einen wohlwollenden Zustandsbericht zur 97. Ausgabe, die bisher wirklich in sommerlicher Harmonie durchs Land rollt. Die Strecke mit dem Spektakel auf dem Kopfsteinpflaster im Norden und der selektiven Route durch die Alpen werden als Gründe angeführt, ebenso das offenkundige Ende der Hegemonie Lance Armstrongs, des noch einmal zurückgekehrten Rekordsiegers. Der Gesamtführende Andy Schleck und der dicht dahinter lauernde Titelverteidiger Alberto Contador versprächen ein offenes Rennen bis Paris, die Franzosen hätten mit schon drei Tagessiegen "ihre Komplexe abgelegt" - und sind nicht sogar die Zweifel an den Helden verstummt? Bernard Thévenet, Frankreichs Toursieger aus den siebziger Jahren, will deshalb schon an "die ersten Erfolge des Anti-Doping-Kampfs" glauben.

In dieses Idyll platzen jedoch immer neue Meldungen zu den Ermittlungen in den USA gegen Armstrong, 38, der sich demütig und chancenlos auf Rang 31 von der Tour verabschiedet. Von einer Lüge unter Eid ist nun die Rede, sogar L'Équipe, das an Misstönen weniger interessierte Zentralorgan, verweist in einer prominent platzierten Meldung auf die Kollision zweier Wahrheiten.

Mittwochmorgen hatte Armstrong vor dem Start der zehnten Etappe (Fluchtsieger: Sergio Paulhinho) eine weitere Erklärung zu den Ermittlungen wegen der Dopingvorwürfe des früheren Teamkollegen Floyd Landis abgegeben. Der disqualifizierte Toursieger von 2006, der Doping bis zu seinem spektakulären Geständnis im Mai leugnete, hatte Armstrong und dem damaligen Postal-Team ein Betrugssystem unterstellt. Die U.S. Food and Drug Administration ermittelt nun wegen Verschwörung und Betrugs, eine Grand Jury soll über die Aufnahme eines Verfahrens entscheiden. Er halte den Aufwand für überflüssig, "ich glaube auch nicht, dass die Regierung einen Fall basierend auf Landis aufbaut", sagte Armstrong. Zumal er bei der Betreiberfirma des Teams US Postal, der Tailwind Sports, nur als Profi angestellt gewesen sei: "Mir gehörte die Firma nicht, ich hatte keine Anteile, ich zog keinen Gewinn aus ihr, ich hatte keinen Vorstandssitz."

Tailwind gilt als ein Hebel in Armstrongs heikelstem Duell. Die Betreiberfirma war Vertragspartner der Teamsponsoren US Postal und Discovery (ab 2005). Sollten bei ihr Sponsorgelder des staatlichen Post-Konzerns missbraucht worden sein - was Landis' Aussagen nahelegen -, würde die Grand Jury wohl sicher ein Verfahren eröffnen. Inzwischen ist sogar ein Staatsanwalt benannt worden: Doug Miller, der mit Chefermittler Jeff Novitzky bereits beim Balco-Skandal ertragreich zusammenarbeitete.

Armstrongs Aussage, er sei an der Firma nicht beteiligt gewesen, zielt offensichtlich darauf ab, die Zuständigkeit der Behörden in Zweifel zu ziehen - allerdings stimmt sie nicht überein mit einer beeideten Aussage im November 2005. Damals wollte ihm die SCA Promotions den Bonus von fünf Millionen Dollar für den sechsten Toursieg 2004 vorenthalten - wegen diversen Dopingvorwürfe.

Die Befragung, deren Dokument der SZ vorliegt, führte damals SCA-Anwalt Jeff Tillotson durch. Er fragte:

"Haben Sie irgendein Eigentümer-Interesse an Tailwind Sports?"

"Ein kleines", antwortete Armstrong.

"Ein kleines, könnten Sie ungefähr eine Prozentangabe machen?"

"Vielleicht zehn Prozent."

Wann er denn in Tailwind investiert habe, wollte Tillotson außerdem wissen.

"Vor 2001?" - "Wahrscheinlich", antwortete Armstrongs im November 2005, "ich bin nicht ganz sicher."

Armstrongs Freund und Agent Bill Stapleton, damals Vorstand von Tailwind, wurde 2005 gesondert vernommen, ebenfalls unter Eid. Armstrong sei unter den "zehn bis 15 Besitzern" von Tailwind, sagte er. Er denke, dass Armstrong "11,5 Prozent" der Firma besitze.

Hat Armstrong unter Eid gelogen?

Im Grunde ging man bisher sogar davon aus, dass ihm die Hälfte der seit 2007 nicht mehr existierenden Tailwind gehörte. Auch US-Medien bezeichneten ihn all die Jahre als "Co-Besitzer" der profitstarken Firma; auch bei der Nachfolgegesellschaft CS&E, die in Armstrongs Heimatstadt Austin sitzt und die Stapleton ebenfalls führt, gehören ihm 50 Prozent.

"Wir nahmen an, seine Aussagen damals seien glaubhaft", sagte am Mittwoch SCA-Anwalt Tillotson bei ESPN zur Diskrepanz von Armstrongs Darstellungen. "Wir konnten einige Aussagen, die er unter Eid machte, nur schwer glauben - diese gehörte eher nicht dazu."

Armstrongs Strategie ist eindeutig: Er habe mit dem Empfänger der öffentlichen Gelder nichts zu tun gehabt - also braucht es auch kein Verfahren. Diese Strategie stützt sein Anwalt Tim Herman. "Erst im Dezember 2007 hat Lance seine ersten Anteile an Tailwind Sports erhalten", behauptet er nun. Dies sei zwar schon 2004 beabsichtigt gewesen - jedoch wegen interner Vorgänge erst 2007 umgesetzt worden. "Und als Lance 2005 dazu befragt wurde, hat er wahrheitsgemäß geantwortet, denn er wusste nichts von dem Detail der Verzögerung."

Dass der bekennend umtriebige Geschäftsmann Armstrong derlei entgangen sein könnte, wäre höchst erstaunlich. Auch sein Anwalt und Agent Stapleton, 44, der ihn seit 1994 kennt und mit dem er als Konzertveranstalter, Besitzer von Hotels, Bars und eines Radladens in Austin Geld investiert, kennt ihn da ganz anders. In einem SZ-Gespräch beim Giro d'Italia 2009 sagt er: "Lance hat sein Geld genauso unter Kontrolle wie das Peloton."

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Quelle:
SZ vom 16.07.2010
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