Tour de France:Im gelobten Land

Die Tour de France setzt auf der sechsten Etappe nach Spanien über - in das geheimnisvolle Dorado des Sportbetrugs, in dem es zum Beispiel eine Ladenschluss-Zeit für Kontrolleure gibt.

Andreas Burkert

Vielleicht trifft Lance Armstrong ein paar Bekannte beim Start am Devesa-Park, vielleicht hat er am Abend zuvor auch mal bei seinem Appartement vorbeigeschaut, das lange ihm gehörte. Die sechste Etappe der Tour de France wird ja am Donnerstag in Girona gestartet, und Armstrongs Team Astana nächtigte, wie es wohl der Zufall wollte, im einzigen Hotel, das die Veranstalter nach dem fünften Abschnitt (Sieger: Voeckler/Frankreich) in Girona anmieteten.

Tour de France: Die Tour führt am Donnerstag ins Heimatland von Astana-Kapitän Alberto Contador.

Die Tour führt am Donnerstag ins Heimatland von Astana-Kapitän Alberto Contador.

(Foto: Foto: AFP)

Vom Nordosten Kataloniens an der französischen Grenze macht sich der Tross auf nach Barcelona, dem Ausgangspunkt für den freitäglichen Schlagabtausch im Hochgebirge von Andorra. Viel besser hätte es das Peloton also kaum treffen können, um sich für die nun anstehenden ersten Steilrampen der Pyrenäen zu präparieren - als in Spanien, dem gelobten Land des Sportbetrugs.

Die Sympathien auf den beiden folgenden Etappen werden wohl einerseits den spanischen Tourfavoriten Alberto Condator fast erdrücken. Das Vergnügen über den Abstecher dürfte andererseits auch im Feld groß sein, denn die Autoritäten der iberischen Gastgeber haben sich ja in der Vergangenheit als standhafte Verbündete erwiesen. Seit dem 8. Mai gilt ja nun sogar ein "Königliches Dekret", wonach in der Zeit von 23 Uhr bis 8 Uhr morgens Dopingtests auf spanischem Territorium verboten sind. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Kontrollen von einem nationalen Sportverband oder einem internationalen Gremium angeordnet werden - und ob es sich um einheimische oder ausländische Sportler handelt.

Man würde natürlich gerne wissen, wie das in den nächsten Tagen sein wird, obwohl sich das Dekret offiziell nur auf Trainingskontrollen bezieht - wo doch gerade Freitag in Andorra erste Hinweise auf die sportlichen Machtverhältnisse zwischen den rivalisierenden Astana-Piloten Contador und Armstrong avisiert sind. Die Tour-Kontrollen nimmt in diesem Jahr wieder der Weltverband UCI vor, in Abstimmung mit der französischen Anti-Doping-Agentur (AFLD). Doch AFLD-Chef Pierre Bordry, ein freundlicher älterer Herr, verweist in diesem Jahr erstaunlich pflichtschuldig an die UCI, "ich kann dazu nichts sagen". Und die UCI? "Unseres Wissens nach ist das Gesetz nicht ratifiziert", sagt Verbandsarzt Mario Zorzoli. "Aber wir werden unsere Tests dann durchführen, wenn wir meinen, dass es notwendig ist."

Es mag überraschend klingen, aber auch Spanien besitzt eine Anti-Doping-Agentur, die Madrider Agencia Estatal Antidopaje (AEA), knapp drei Jahre nach der Puerto-Affäre um den Blutarzt Fuentes hat sie in diesem Jahr eröffnet. Kontrollen nimmt sie aber nicht vor, "wir kümmern uns um Prävention und Kampagnen", sagt AEA-Präsident Francisco Javier Martin del Burgo. Für Kontrollen ist eine Kommission der Staatlichen Sportorganisation CSD zuständig. Und sie werde, hieß es Dienstag vage von der Tour-Jury, "in enger Abstimmung mit der UCI" in Spanien kontrollieren.

Der Ladenschluss für Kontrolleure wird die Zuneigung des Sports für die Destination Spanien nur noch verstärkt haben. Jörg Jaksche, der Doping-Kronzeuge aus Ansbach, fuhr jahrelang in Spanien für die Teams des Rennstallbesitzers Manolo Saiz, einer Schlüsselfigur der Operación Puerto. Trainingskontrollen gibt es dort nicht, auch nicht vor 23 Uhr, "in Spanien wird das Thema schon anders gesehen und gehandhabt - da wird ein kleiner Betrug nicht so ernst genommen."

Die verschwundenen Akten

Selbst größere Scharaden führen indes nicht zu seriösen Reaktionen, wie in den Fällen von Condator und Alejandro Valverde, den beiden Fuentes-Kunden, zu erleben war: Contadors Name ("AC") verschwand aus den Akten, die Madrid ohnehin beharrlich hütet, offenkundig wegen der angeblichen Beteiligung am Netzwerk von Fußballern Real Madrids, des FC Barcelona, FC Valencia und Betis Sevilla. Und seitdem Valverdes Betrug per DNS-Abgleich durch die italienische Sportjustiz bestätigt wurde - ereifern sich Sportminister Jaime Lissavetzky und der spanische Radverband RFCE. Sie unterstützen Valverde in dessen Klage gegen die Sperre. Begründung: Italien ist doch gar nicht zuständig.

Aber das alles wird kein Thema sein Donnerstag beim Star in Girona, dem geheimnisvollen Dorado für geheimnisvolle Größen des Radsports, die jetzt auch wieder bei der Tour über den Asphalt rollen. Armstrong hat seine Immobilie zwar verkauft, ebenso Freund Tyler Hamilton, er ist ja inzwischen für acht Jahre gesperrt. Auch Floyd Landis lebte bis zu seiner Enttarnung als gedopter Toursieger hier, Armstrongs enger Kumpel George Hincapie sowie Zeitfahr-Spezialist David Zabriskie sind geblieben. Das US-Team Garmin hat seine Europa-Zentrale in Girona, wie ehedem Armstrongs Postal-Rennstall. Nur des Wetters wegen?

Nachdem Moisés Dueñas und Manuel Beltrán vor einem Jahr mit Epo erwischt worden waren, hatte Gérard Guillaume, der Arzt von Française des Jeux, Spanien als " Drehscheibe des europäischen Dopings - in jeder Sportart" bezeichnet. Helmut Digel, Tübinger Sportwissenschaftler und früherer Präsident der deutschen Leichtathleten, schrieb jetzt in einem Beitrag für die Neue Zürcher Zeitung, ihn ärgere "die internationale Wahrnehmung" der Tour-Helden und "besonders (...), dass ein Land wie Spanien, das seit Jahrzehnten als ein dopinggefährdetes Land zu bewerten ist, die Kontrollmassstäbe für den Anti-Doping-Kampf über ein königliches Dekret definiert und damit den Anspruch auf Vergleichbarkeit der Kontrollen ad absurdum führt".

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