Tour de France:Grobes Foul in den Pyrenäen

Alberto Contador hat eine Panne von Andy Schleck ausgenutzt und fährt jetzt im Gelben Trikot. Damit hat er gegen ein ungeschriebenes Gesetz im Radsport verstoßen. Schleck aber bleibt der Favorit des Publikums.

Andreas Burkert

Andy Schleck läuft von Mikrofon zu Mikrofon, er kann ja nun auch nicht weg hier, obwohl er sicher gerne mit seinen Kollegen rasch weitergefahren wäre zum Teamquartier in Vielha, Spanien. Schleck muss wieder zur Siegerehrung der Tour de France, auch in Bagnères-de-Luchon in den grünen Pyrenäen nahe der spanischen Grenze. Schon die komplette letzte Woche stand er auf dem Podium und winkte ins Publikum, auf das er sympathisch wirkt mit seiner jugendlichen Art. Doch diesmal haben sie ihm hinter dem Vorhang nur das Weiße Trikot für den Führenden der Nachwuchswertung bis 25 Jahre übergezogen. Das Gelbe Trikot der Tour de France trägt jetzt ein anderer.

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22 Kilometer vor dem Ziel sprang dem Luxemburger Andy Schleck (rechts) die Kette vom Zahnrad. Sein Rivale Alberto Contador (links) wartete nicht auf den Gesamtführenden, sondern fuhr eiskalt vorbei. Jetzt trägt er das Gelbe Trikot.

(Foto: afp)

Andy Schleck, 25, fällt es jetzt sehr schwer, das zu akzeptieren. Er versucht, nicht in jedem Statement seinen Ärger zu transportieren. Aber es gelingt ihm nicht immer. Einmal sagt er: "Ich bin nicht die Jury, aber einen Fair-Play-Preis wird dieser Typ sicher nicht erhalten." Dieser Typ ist Alberto Contador, von dem behauptet wird, er sei mit Andy Schleck befreundet. Dabei sind sie nur zusammen auf einem Einladungsrennen auf Curacau gewesen. Ihre Charaktere sind grundverschieden.

Wenn schwere Dopingvorwürfe gegen einen Fahrer vorliegen, beschweren sich andere Profis nie, dass ihnen vielleicht wegen eines mutmaßlichen Verstoßes gegen die Fair-Play-Regeln etwas vorenthalten wurde. Am Montag in Bagnères- de-Luchon beschwert sich Schleck sehr wohl, er bezichtigt seinen Rivalen Contador recht offen, ungeschriebene Gesetze der Branche missachtet zu haben: Er hat nicht auf ihn gewartet.

Signal zum Konter

22 Kilometer vor dem Ziel hatte Schleck aus der Spitzengruppe mit allen Topfahrern attackiert, er fühlte sich gut, erzählt er hinterher. Contadors Teampartner Alexander Winokurow reagierte als Erster und setzte nach, Contador verlor kurzzeitig den Anschluss, machte sich dann aber auch auf die Verfolgung. Doch Schleck wurde plötzlich wieder langsamer - ihm war die Kette abgesprungen. Mitten im steilen Port de Balès. Während seines Versuchs, seinen kleinen Vorsprung in der Gesamtwertung womöglich ausbauen zu können.

Contador begriff dieses Malheur als Signal zum Konter. Der Titelverteidiger preschte an Winokurow vorbei und an Schleck, der verzweifelt an seiner Kette herumfummelte und schließlich einen Radwechsel vornehmen musste. Ein kleines Drama. Sie schoben ihn an, auf der Passhöhe lag er 20 Sekunden zurück. Das hätte noch gereicht für Gelb. Aber Schleck gilt als schlechter Abfahrer, und Contador kämpfte sichtbar um jede Sekunde. 2:50 Minuten hatte seine Gruppe Rückstand auf Thomas Voeckler, der Frankreich schon den fünften Etappensieg bescherte. Schleck schaffte es nicht, mit acht Sekunden Rückstand auf den Spanier ist er nun Zweiter. Vielleicht hat ihm diese Panne schon den möglichen Toursieg gekostet.

Bei der Siegerehrung pfiff das Publikum Contador aus. Auch die Menschen vor dem Podium verstanden seine Aktion als grobes Foulspiel. "Ich weiß nicht, ob das fair war oder nicht", sagt Schleck, "aber ich würde nicht so fahren. So würde ich die Tour nicht gewinnen wollen."

Der Favorit des Publikums

Contador behauptete dagegen später vor der Weltpresse, er habe unterwegs nur von einem Unfall gehört. "Als ich attackierte, habe ich von Andys Panne nichts gesehen, ich war schon vorne. Das habe ich erst später erfahren, doch da war der Vorsprung schon zu groß." Die Fernsehbilder widerlegen diese Version. Contador sah, dass Schleck Probleme hatte und hätte warten können. Jan Ullrich wartete 2003 auf Lance Armstrong, der vor Luz-Ardiden gestürzt war. Ullrich wurde Zweiter, später erhielt er einen Fair-Play-Preis. Ein Sieger der Herzen wird Contador, 27, nun nicht mehr. Zwar sind seine Chancen deutlich gestiegen, nicht nur, weil es am Dienstag und nach dem Ruhetag am Donnerstag in der Nähe seiner Heimat erneut ins Hochgebirge geht (an beiden Tagen auf den Tourmalet). Auch das Zeitfahren am Samstag in Pauillac (52km) spricht eher für ihn.

Doch der Favorit des Publikums in Frankreich ist spätestens jetzt Andy Raymond Schleck, der es trotz seines Malheurs schon weit gebracht hat bei dieser Tour.

Vor einem Jahr war Contador nicht nur in Verbier allen derart davongeflogen, dass renommierte Sportphysiologen Berechnungen anstellten, die keine Schwärmereien waren. Sondern purer Zweifel. Diesmal hält Schleck mit ihm mit - sofern das Material hält.

Das größte Talent

Was ist also das Geheimnis hinter der Leistung dieses 186 Zentimeter langen Schlaks Schleck, der nur 65Kilo wiegt, obwohl er als Leibgericht Pommes mit Ketchup angibt? Jeder Überflieger der Tour wird ja inzwischen aus gutem Grund hinterfragt, nicht nur Contador. Macht man es sich bei Schleck zu einfach, nur auf den schlechten Leumund seines Teamchefs Bjarne Riis und die frühere Kundschaft von Bruder Frank beim spanischen Dopingarzt Eufemiano Fuentes zu verweisen?

Fragen zu seinem Aufstieg stellt Andy Schleck bislang keine programmatischen Aussagen entgegen, zur peinlichen Affäre seines Bruders hat er sich nie geäußert. Er lässt seine dünnen Beine sprechen und seine Vita als Radfahrer, die neben Riis auch von Vater Johny geprägt wurde, der selbst die Tour fuhr: Andy, sein Jüngster, gilt seit Jahren als größtes Talent des Radsports.

Mit zwölf, so geht die Familienlegende, trat Andy im Urlaub den Mont Ventoux hoch. In einer Stunde. Den Rekord hält Iban Mayo mit 56 Minuten, ein spanischer Dopingsünder. Mit 17 ist Schleck Luxemburgs Juniorenmeister im Zeitfahren, Straßenrennen und im Cross gewesen. Mit 18 gewann er als Amateur den Flèche du Sud. Mit 19begann er nach dem Schulabschluss beim VC Roubaix in Nordfrankreich seine Lehrzeit, ehe ihn Riis im September 2004 in sein Profiteam holte. 2007 startete er beim Giro in seine erste dreiwöchige Rundfahrt. Er wurde Zweiter hinter Danilo Di Luca, der zur Zeit mal wieder wegen Dopings gesperrt ist. Beim Tour-Debüt 2008 Platz zwölf, 2009 schon Zweiter, mit vier Minuten Rückstand auf Contador - Schleck ist sehr schnell, und das in jeder Beziehung.

"Ich werde mich revanchieren", sagt Schleck am Montag nach der Siegerehrung von Bagnères, und ausnahmsweise lächelt er mal nicht. Seine Chancen sind gesunken, das weiß er. "Aber das Rennen ist noch nicht vorbei." Er wird wieder attackieren, vielleicht schon diesen Dienstag am Tourmalet. Andreas Burkert

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