Tour de France:Geraint Thomas kratzt an "Froomey"

Tour de France

Geraint Thomas (in Gelb) und Chris Froome: Einer der beiden dürfte dieses Jahr die Tour de France gewinnen.

(Foto: REUTERS)
  • Bei der Tour de France könnte sich der Gesamtsieg zwischen den beiden Briten Chris Froome und Geraint Thomas entscheiden.
  • Dass sie für denselben Rennstall fahren, verkompliziert die Situation zunehmends.

Von Johannes Knuth, Valence

Frankreichs Sportpresse hat es immer meisterhaft verstanden, ihre Tour mit blumigen Worten zu besingen, und seit die Briten vom Team Sky die Rundfahrt dominieren, haben sich die Barden der Rundfahrt noch einmal auf ein neues Level gehoben. Als der spätere Sieger Christopher Froome sich vor einem Jahr auf der Schlussrampe in Peyragudes in Schwierigkeiten verstrickte, schrieb L'Équipe: Froome sei "wie ein zitternder Gaukler auf einem Dreirad" gefahren. Und als Sky auf den ersten Alpen-Etappen in diesem Jahr wieder das Geschehen diktierte, befand das Blatt, die Briten ähnelten einem Bären, "der seine Tatze in die Rundfahrt tunkt wie in ein Honigfass, und der den Honig dann von seinen Klauen ableckt, während die Rivalen wie Ameisen zwischen seinen Fingern krabbeln".

Man kann aus solchen Beobachtungen immer eine gemischte Haltung herauslesen: Bewunderung darüber, wie entschlossen Sky über diese Tour herrscht, und einen großen Schuss Skepsis, welche Geheimnisse hinter diesen Erfolgen stecken könnten. L'Équipe fand dafür am Freitag einen weiteren Vergleich, nachdem Froomes Teamkollege Geraint Thomas die Königsetappe nach Alpe d'Huez an sich gerissen hatte: Für Fahrer, die bei der Tour das Trikot der britischen Mannschaft Sky tragen, sei der Verdacht nun mal "so ansteckend wie eine Herpeserkrankung".

Thomas ist da ein bisschen simpler gestrickt. "Insane", Wahnsinn, ist die Vokabel, die er in diesen Tagen am häufigsten einsetzt. Der 32-Jährige aus Cardiff ist der erste Radprofi seit 25 Jahren, der bei der Tour zwei Bergetappen hintereinander auf sich vereint (die flache Etappe am Freitagabend nach Valence gewann dann Peter Sagan), in der Gesamtwertung liegt Thomas mittlerweile 1:39 Minuten vor dem zweitplatzierten Froome, seinem Vorgesetzten. Und, schwupps, ist da die Frage nach der Stallorder. Froome mag weiter der Fahrer sein, der seinen fünften Sieg bei der Tour jagt und generös seinen Helfer preist, dem jeder Tag im Gelben Trikot zustehe.

Froome sei weiter Nummer eins, sagt der Sky-Sportdirektor

Und Thomas mag immer wieder brav betonen, dass "Froomey unser Leader ist", für den er weiter im Wind schuften werde. Fakt ist, dass er derzeit stärker als sein Kapitän wirkt, und das reicht schon, damit sich ein feines Netz aus Intrigen über Skys Dominanz legt. Deutet sich da eine freundlich-feindliche Übernahme im eigenen Rennstall an?

Immer mehr Interviews bei der Tour verwandeln sich gerade in Kreuzverhöre, jeder Satz wird abgeklopft auf Unstimmigkeiten. Froome sei weiter die Nummer eins, sagte sein Sportdirektor Nicolas Portal am Freitag, aber Thomas sei "sehr, sehr nah dran". Das sei auch eine glückliche Fügung, so sei man gerüstet, sollte der eine verunfallen oder der andere einbrechen. "Ich kann in der letzten Woche einen schlechten Tag haben und zehn Minuten verlieren, Chris hat sechs große Rundfahrten gewonnen", assistierte Thomas, der bislang zwei Mal Platz 15 bei der Tour belegte, 2015 und 2016.

So ist Froome immerhin den Druck los

Ein weiteres, gar nicht so abwegiges Szenario geht so: Sky dürfte gar nicht so traurig darüber sein, dass Thomas erst mal das Leibchen des Führenden schultert, denn wer in Gelb fährt, muss nach jeder Etappe eine Pressekonferenz geben, der wird auf dem Podium geehrt und im Fall von Sky derzeit vor allem kräftig ausgebuht, nach diversen Affären in den vergangenen Jahren. Froome, der die Reporter sowieso schon anzieht wie Honig die Ameisen und Bären, würde noch mehr Druck mit sich herumtragen, sollte er schon jetzt das Gelbe Trikot anlegen.

Was zählt, ist freilich die Sprache des Rennens. Und da sieht man zumindest, dass Thomas nicht nur seinem Kapitän zuarbeitet, sondern eine Initiativbewerbung fürs Gesamtklassement vorlegt. "Ich habe diesmal versucht, nicht zu viel in der ersten Woche zu wagen", sagte er, deshalb sei er jetzt noch so frisch in den Bergen. Unter der Woche hatte sich bereits Bradley Wiggins zu Wort gemeldet, Skys erster Tour-Sieger vor sechs Jahren, der später wegen umstrittener Medikamentenlieferungen und Ausnahmegenehmigungen für Corticosteroide ins Zwielicht geriet und jetzt für Eurosport als TV-Experte arbeitet.

Teamchef David Brailsford habe seinen beiden Fahrern eingeflüstert, dass sie beide die Tour gewinnen können, behauptete Wiggins. Der Boss lanciere so eine natürliche Auslese, ihm gehe es nur um den Sieg, nicht um den Fahrer, fügte er an. Und: "Er ist sehr egoistisch und spaltend." Wiggins ist da ein glaubwürdiger Zeuge, er war vor sechs Jahren Skys Kapitän und verkrachte sich mit seinem Helfer Froome, der stärker als Wiggins war und irgendwann für sich fuhr. Wiggins gewann die Machtprobe, aber er war sauer, dass Brailsford wenig unternommen hatte, um dieses "gefährliche Duell" zu stoppen.

Sollte Thomas seinen Kapitän jetzt tatsächlich überflügeln, wäre er der nächste erstaunliche Aufsteiger in Skys Diensten. Er debütierte 2007 als 21-Jähriger für das drittklassige Team Barloworld, sie riefen ihn Pinguin, wegen seiner fülligen Figur. Thomas wurde Vorletzter mit fast vier Stunden Rückstand, 2008 und 2012 gewann er dann Olympiagold mit der Mannschaft auf der Bahn, wagte einen Ausflug zur amerikanischen Garmin-Equipe, kehrte zu Sky zurück. Er steht Brailsford sehr nahe; als der Teamchef vor einem Jahr wegen anhaltender Dopinggerüchte vor den britischen Sportausschuss zitiert wurde, war Thomas der Erste, der seinem Chef öffentlich beisprang. Der Sportausschuss befand dann übrigens, Skys Glaubwürdigkeit liege "in Scherben".

Schwer zu glauben, dass einer der Verfolger bei der Tour noch an Thomas oder Froome vorbeizieht; bis auf Tom Dumoulin sind fast alle mehr oder weniger distanziert oder ausgestiegen. Sky, dichtete die Tageszeitung Libération, habe sich in eine Schlange mit zwei Köpfen verwandelt.

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