Tour de France:Froome steuert auf den Kreis der Großen zu

Tour de France

Tour-Sieger unter Verdacht: Nach einem Dopingtest wurden bei Christopher Froome auffällige Werte festgestellt.

(Foto: dpa)
  • Christopher Froome hängt im Zeitfahren hängt er seine ärgsten Verfolger ab, der Sieg bei der Tour de France ist ihm nicht mehr zu nehmen.
  • Die letzte Etappe mit dem Ziel in Paris wird für ihn zur Triumphfahrt.
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Von Johannes Knuth, Marseille

Als der Moment dann endlich gekommen war, knipste Christopher Froome erst mal ein Lächeln an. Ganz kurz. Er freute sich vermutlich auf seinen nahenden Start im Zeitfahren von Marseille, auf den letzten großen Schlagabtausch nach drei Wochen und 19 Etappen. Vielleicht war Froome auch kurz beseelt von den süßen Gedanken an den Erfolg, der jetzt so nahe war. Oder ging er schon die Menüfolge für das abendliche Siegesdinner durch: Champagner, die berühmte Marseiller Fischsuppe, gefolgt von Schafkutteln, alles Spezialitäten der Region?

Rund eine halbe Stunde später knipste Christopher Froome, 32, aus Großbritannien, erneut ein Lächeln an. Er hatte das Zeitfahren gerade als Dritter beendet, hinter seinem Teamkollegen Michael Kwiatkowski und Etappensieger Maciej Bodnar aus Polen. Der bescherte seiner deutschen Bora-hansgrohe-Equipe ein versöhnliches Ende dieser Tour, Bora hatte zuletzt ja Peter Sagan (Disqualifikation) und Kapitän Rafal Majka (Sturz) verloren. Froome freute sich freilich am meisten darüber, dass er mit seiner dominanten Fahrt den Sieg auf seine Seite gezerrt hatte; als Führender wird er auf der Schlussetappe am Sonntag nicht mehr angegriffen, so will es der Brauch. Es ist sein vierter Erfolg bei der Frankreich-Rundfahrt, sie werden sein Portrait in der Ahnenhalle wohl bald etwas höher hängen müssen. In die Nähe von Merckx, Hinault, Anquetil, Indurain, die fünfmaligen Titelinhaber. "Es ist eine große Ehre, in einem Satz mit diesen Fahrern genannt zu werden", sagte Froome später, ich verstehe immer besser, wie beachtlich ihre Leistungen sind." Er war als großer Favorit zur Tour gereist, in dieser Rolle hat man meistens wenig zu gewinnen und viel zu verlieren. Davon konnte der Brite auch am Samstag einiges erzählen.

Zeitfahr-Weltmeister Tony Martin ist enttäuscht über Platz vier

Froome hatte sich vor dem Zeitfahren am Samstag ein eher geringes Zeitguthaben erwirtschaftet. Seine ärgsten Verfolger lagen nur 23 (Romain Bardet) bzw. 29 Sekunden (Rigoberto Urán) zurück. Dafür führte Froome die größten Kompetenzen im Kampf gegen die Uhr mit sich. Er konnte sich eigentlich nur selbst beikommen, die Prüfung in Marseille war für ihn eine Konzentrationsübung: mit ihren engen Kurven, Passagen an der windanfälligen Promenade des alten Hafens, solche Sachen. Sieben Kilometer vor dem Ziel führte ein 1,2 Kilometer langer, knackiger Anstieg hinauf zur Wallfahrtskirche Notre-Dame-de-la-Garde. Es folgte eine "eklige" Abfahrt mit tückischen Kurven, wie Tony Martin befand. Der diensthabende Zeitfahrt-Weltmeister wurde am Samstag mit 14 Sekunden Rückstand Vierter, was ihn "sehr enttäuschte". Dann sprach der Deutsche noch eine Warnung aus: "Auf dem Kurs kann man heute die ganze Tour verspielen." Eine berechtigte Einschätzung, wie sich zeigte.

Als Erster der Favoriten schob sich der Kolumbianer Urán auf die Strecke, der Dritte der Gesamtwertung. Urán ist ein durchaus passabler Zeitfahrer, seine Erträge waren zuletzt aber in etwa so beständig "wie eine Seismografen-Nadel im San-Andreas-Graben", wie das Tour-Organ L'Équipe befand. Am Samstag erwischte Urán einen guten Tag. Er nahm Bardet bei der ersten Zwischenzeit 15 Sekunden ab, schob sich mit langen, kräftigen Tritten den Berg hinauf, die kurzen, giftigen Rampen liegen ihm. Dann die vorletzte Kurve, Uran bremste spät - zu spät. Er prallte gegen eine Bande, federte zurück auf die Strecke. Hatte er im letzten Moment alles verspielt?

Die Pfiffe der Franzosen irritieren Froome nicht

Romain Bardet, Frankreichs Hoffnung, schob sich jetzt als Vorletzter aus dem Starthaus; die Zuschauer schienen mit ihrem Jubel das Stadiondach aus der Verankerung zu heben. Der Kletterer aus der Auvergne ist kein begabter Zeitfahrer mit seinen 1,85 Meter und nur 65 Kilogramm - aber zum Ende der Tour schmelzen derartige Nachteile oft zusammen, weil jeder Fahrer große Müdigkeit mit sich herumschleppt. Bardet begann jedenfalls verhalten, und als er in den Berg rollte, war klar, dass er sich keine Kräfte aufgespart hatte. Er schaukelte mit dem Oberkörper wie eine Kogge auf rauer See, löste sich aus dem Sattel, plumpste verzweifelt zurück. Die Zuschauer standen in vier, fünf Reihen neben der Strecke, aber es war, als würde ihr Lärm dem schmächtigen Franzosen entgegenblasen wie Gegenwind mit Orkanstärke. Als Bardet endlich am Gipfel eintraf, lag er mehr als eine Minute hinter Urán; der Kolumbianer, das war jetzt klar, würde in der Gesamtwertung an Bardet vorbeiziehen. Vielleicht sogar vorbei an Froome?

Knapp 20 000 Zuschauer waren am Samstag ins Stade Vélodrome gekommen, das einst eine Radrennbahn beherbergte, und auch wenn die Arena nicht mal zur Hälfte gefüllt war: als Froome aus dem Starthaus rollte, pfiffen die 20 000 mit der Wut von doppelt so vielen. Der Brite ließ das freilich an sich abperlen. Die ersten Hochrechnungen waren blendend, er erreichte die erste Zwischenzeit zwei Sekunden hinter den Besten, gar 20 Sekunden vor Urán. Froome sprang den Berg mit kurzer, kraftvoller Frequenz hinauf, rauschte dynamisch und sicher Richtung Vélodrome. Dort fing er beinahe noch Bardet ab, der knapp vor ihm gestartet war. Die Anhänger war so sehr damit beschäftigt, ihren Liebling anzufeuern, dass sie fast vergaßen, Froome auszupfeifen. Aber nur fast. Was Froome herzlich egal war. 54 Sekunden lag er am Ende vor Urán, 2:20 Minuten vor Bardet, der seinen dritten Platz im Klassement gerade noch verteidigte - eine mickrige Sekunde vor Froomes Teamkollege Mikel Landa.

Bardet lehnte minutenlang an einer Betonwand im Stadioninneren, die schwarzen Haarsträhnen klebten an der klatschnassen Stirn. Es sprach für seinen Ehrgeiz, dass er sich erst einmal über das ärgerte, was ihm entglitten war. Er habe zuletzt nicht oft auf seinem Zeitfahr-Rad geübt, "dafür habe ich heute einen hohen Preis bezahlt", sagte er. Aber er habe ja noch viel Raum zum Wachsen. Froome badete derweil in seiner Freude, "unglaublich" sei dieser Erfolg, zumal vor dieser Kulisse. Die Pfiffe? Ach, "das ist verständlich, wenn ein Franzose in der Gesamtwertung Zweiter ist", sagte er. "Das nehme ich nicht persönlich." Er lächelte aufrichtig. Ein chinesischer Reporter wollte später noch wissen, ob Froome demnächst nach Shanghai reisen werde, dort gebe es bald auch eine Rundfahrt. "Ich wollte eigentlich erst mal nach Paris", sagte Froome mit Blick auf den Sonntag. Aber klar, ergänzte er höflich, er freue sich auch schon sehr auf China.

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