Radfahrer Emanuel Buchmann:"Wir werden ihn ganz vorne sehen"

Tour de France

Emanuel Buchmann beim Zeitfahren in Pau, in dem er kaum Zeit auf die Besten verlor.

(Foto: David Stockman/dpa)
  • Ganz unaufgeregt bringt der Deutsche die Frankreich-Rundfahrt zu Ende.
  • Er etabliert sich dabei in der Radsport-Elite.
  • Der neue Tour-Sieger Egan Bernal sagt über Buchmann: "Wir werden ihn in den kommenden Jahren bei diesen großen Rundfahrten ganz vorne sehen."

Von Johannes Knuth, Val Thorens

Es wäre interessant zu sehen gewesen, wenn Emanuel Buchmann damals doch seinem Berufswunsch Jura nachgegangen wäre. Er hätte bestimmt einen passablen Richter abgegeben mit seiner stoischen Art, die manchmal fast ins Gleichgültige kippt. Der Witwe, die in seiner Verhandlung in Tränen ausgebrochen wäre: Der hätte er wohl "schon auch eine bewegende Geschichte" attestiert. Aber gut, den fremdgehenden Ehemann mit dem Küchenmesser zu ermorden, zerstückeln und die Überreste dann in der Klärgrube zu versenken, hätte er geurteilt, "das war schon auch nicht die beste Idee". Auch all die Schwarzfahrer, Steuerhinterzieher oder nervigen Verteidiger mit ihren Anträgen wären wohl an ihm abgeperlt wie jetzt die Aufregung, die den Radprofi Emanuel Buchmann in den vergangenen drei Wochen bei der Tour de France umtost hat.

Wobei: Am Wochenende, als sein vierter Platz im Klassement dieser 106. Tour de France aktenkundig war, sah man Buchmann so gelöst wie lange nicht. Gut, seine Mimik war sparsam wie immer - aber diesmal hatte er sie mit einem Lächeln angereichert, das einfach nicht mehr erlosch. Vierter Platz beim schwersten Rennen der Welt, das klingt nach knapp gescheitert, tatsächlich ist Buchmann jetzt mittendrin in der Rundfahrer-Elite, man musste nur die Statistik heranziehen. Platz vier bei der Tour, das hatten vor Buchmann nur Jan Ullrich, Andreas Klöden, Hans Junkermann und Kurt Stöpel geschafft. Letzterer war 1932 Zweiter geworden und starb drei Wochen vor Ullrichs Tour-Sieg 1997 im Altersheim, weil er aus Versehen zu einer Flasche Reinigungsmittel gegriffen hatte.

Buchmann lernt viel über sich selbst

Und jetzt: Hatte nicht nur die Tour diesen stillen Deutschen mit jedem Tag etwas näher kennengelernt, auch Buchmann hatte viel über die Rundfahrt gelernt und über sich selbst. "Platz vier ist richtig geil", sagte er, als er die entscheidende Kletterprüfung hinauf nach Val Thorens gemeistert hatte; ansonsten glaube er schon auch, dass er "noch nicht am Ende" sei. Ach ja?

Buchmann hatte diese Tour so unaufgeregt durchgebracht, wie er selbst nun mal ist. Er überstand einen Sturz auf der ersten Etappe unbeschadet, danach brachte ihn nichts aus der Ruhe: weder die Kletterei in den Vogesen, noch der Seitenwind auf der Etappe nach Albi oder die Schlammlawinen in den Alpen, die die 19. Etappe zu einem vorzeitigen Ende gebracht und die 20. auf 60 Kilometer getrimmt hatte. Er riss am Tourmalet sogar kurz das Feld der Favoriten auseinander, auch wenn es seine einzige große Mutprobe am Berg blieb. Am Samstag, im letzten Anstieg, als ihn nur 27 Sekunden vom dritten Platz des Niederländers Steven Kruijswik trennten, habe er nun mal "nicht die besten Beine gehabt". Die Aufregung konnte ihn jedenfalls jeden Tag ein bisschen mehr umspülen - Buchmann konterte sie mit einer entwaffnenden Nüchternheit. Und wenn alle Fragen gefragt waren und es jemand mit der Frage nach den Hobbys probierte, da sagte Buchmann trocken: "Ich habe keine Hobbys." Als sei er wirklich jemand, der am liebsten seine Ruhe hat, wie er sagt, ansonsten gerne allein mit dem Fahrrad in der Natur unterwegs ist. Das, sagte Buchmann, sei für ihn "schon ein Stück Freiheit".

Die letzten Schritte nach ganz oben sind die rutschigsten

Dieses Trockene war vielleicht sein größter Vorteil bei dieser Tour, die schon beim Zuschauen alle Sinne betäubte. Und sonst? Bei Bora-hansgrohe, seiner oberbayerischen Equipe, wurden sie in den vergangenen drei Wochen immer wieder nach den Gründen für den Aufstieg gefragt, und immer wieder lächelten sie gütig. Dann erzählten sie vom behutsamen Aufbau des 26-Jährigen. Erst als Helfer bei der Tour, dann als Kapitän bei der Vuelta, schließlich auf der großen Bühne. Von vielen kleinen Details, vom Höhentrainingslager bis zum eigenen Koch im Teambus. Manchmal hatte es fast den Anschein, als würden auch die Entbehrungen des Rundfahrerlebens an Buchmann abperlen. "Das ist einfach ein Teil meines Lebens", sagte er, "es fühlt sich nicht für mich an, als ob das richtige Entbehrungen sind. Und wenn es so gut läuft, dann macht es auch mehr Spaß."

Es muss ja immer weitergehen in einem Sportlerleben, zumal wenn man so nahe an den Hauptpreisen dran ist, aber Buchmann moderierte auch diesen Themenblock gelassen. Er versuche, sich einfach jedes Jahr noch ein bisschen zu steigern, die Intensität im Training noch ein wenig hochzufahren, fünf bis zehn Watt mehr im roten Bereich - dann könne man in Zukunft "vielleicht mal das Podium anpeilen", das schon. Die Historie hat freilich gezeigt, dass sich ein Gesamtsieg nicht einfach so herbeientwickeln lässt, viele große Karrieren schienen bei der Tour gerade erst ihren Anfang zu nehmen, dabei waren sie schon im Niedergang begriffen. Wobei Buchmanns Biografie einen derartigen Bruch kaum erahnen lässt, zumindest bis jetzt. "Er ist ein sehr guter Fahrer, er fährt sehr intelligent", sagte Egan Bernal, der neue Tour-Sieger, "wir werden ihn in den kommenden Jahren bei diesen großen Rundfahrten ganz vorne sehen."

Das wird auch bei Buchmann und Bora die wohl größte Herausforderung sein: die Geduld zu wahren bei ihrem Wunsch nach dem Gesamtsieg, wenn die letzten Schritte auf dem Pfad nach ganz oben die rutschigsten sind, nicht nur wegen der Betrugsproblematik in der Historie. Sie müssten Buchmann zum Beispiel noch mehr bergerprobte Fahrer an die Seite stellen, neben Gregor Mühlberger und Maximilian Schachmann, der bei seiner ersten Tour mit einem Handbruch ausgeschieden war. Gleichzeitig drängt der hochbegabte Sprinter Pascal Ackermann zur Tour, und dann ist da ja noch Peter Sagan, der Radsport-Hipster, der am Sonntag zum siebten Mal im Grünen Trikot nach Paris fuhr - Rekord.

Und dann, hatte Buchmann zugegeben, gebe es auch noch ein kleines Problem mit seinem Vertrag, den er - so weit reicht die Jura-Expertise - selbst verhandelt hat. Eine Prämie für den Tour-Sieg habe er darin nicht festzurren lassen. Aber darüber, sagte er, "können wir immer noch reden, wenn es so weit ist".

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