Tour de France:Die nächste Kapriole: Andy Schleck fährt allen davon

Der Luxemburger überrascht die Konkurrenz mit einer frühen Offensive und siegt auf der 18. Etappe hinauf zum Galibier. Während Alberto Contador die Tour verliert, verteidigt Thomas Voeckler mit letzter Kraft das Gelbe Trikot.

Andreas Burkert

Auf dem Col du Galibier produziert die Tour de France nun seit exakt 100 Jahren ihre Helden, daran können auch die schmutzigen Affären des Genres nichts ändern. Der Galibier ist gefürchtet wegen seines zähen Anstieges von rund 23 Kilometern, er scheint kein Ende zu nehmen, und in den vergangenen Tagen war auch noch Neuschnee gefallen, mitten im Juli.

Tour de France cycling race stage 18

Der Lohn des Angriffs: Andy Schleck gewinnt die schwere 18. Etappe, Bruder Frank wird Zweiter.

(Foto: dpa)

Am späten Donnerstagnachmittag lugt jedoch die Sonne durch die Wolken und Nebelschwaden, als Thomas Voeckler eintrifft; es sieht ein wenig so aus, als wolle eine übergeordnete Regie das Gelbe Trikot in Scheinwerferlicht tauchen. Voeckler hat in den finalen Kurven um jede Sekunde gekämpft, und Andy Schleck, der Tagessieger, dürfte hinter dem Podium auf die Uhr geschaut haben.

Aber als sich Voeckler als Fünfter mit 2:21 Minuten Abstand über den Strich quält, gelingt es ihm mit letzter Kraft, eine Faust zu ballen, denn er trägt nun tatsächlich auch nach der Königsetappe der Rundfahrt das Hemd des Gesamtführenden. 15 Sekunden auf den Luxemburger nimmt er mit auf die zweite Fahrt über den Galibier und die 21 Serpentinen von L'Alpe d'Huez, die schon an diesem Freitag zu erklettern sind.

Die Tour wird Frankreichs Liebling wahrscheinlich nicht gewinnen, obwohl bei dieser Tour-Ausgabe mit ihren Sekundenabständen und Agenda-Kapriolen allmählich vieles denkbar ist. Aber einen Platz auf dem Podium hat der 32-jährige Elsässer seit dem Galibier im Visier.

600 Meter vor dem Ziel habe ich keine Luft mehr gekriegt", sagte der Franzose. Ebenso überraschend wie Voecklers neue Qualitäten im Hochgebirge war der Name desjenigen, der in der Höhe von 2645 Metern die Tour verlor: Alberto Contador, der zuletzt so forsche Titelverteidiger. Er konnte im Finale nicht mehr mithalten mit Andy Schlecks Verfolgern, mit Voeckler und dessen französischen Leutnant Pierre Rolland, mit Cadel Evans, dem bisher zweitplatzierten Australier, mit den Italienern Ivan Basso und Damiano Cunego und Bruder Frank Schleck, der per Schlussspurt den Doppelsieg für die Familie sicherte.

Während Frank Schleck (1:08 Minuten hinter Voeckler) als Dritter und der Vierte Evans (1:12) weiterhin alle Chancen besitzen, ist Contador als Siebter mit fast fünf Minuten Rückstand wohl geschlagen.

Der Tour bleibt eine Peinlichkeit erspart

Wie lange es noch dauern würde, bis sie hinten reagieren, das hat sich Andy Schleck unterwegs sicherlich mehrfach gefragt. Aber es passierte einfach nichts, sein Vorsprung wuchs und wuchs: eine Minute, zwei, dann drei. Und am Fuß des Galibier lag seine kleine Gruppe fast vier Minuten vor den übrigen Favoriten. Man nahm den Tourzweiten der beiden vergangenen Jahre zunächst offenbar nicht ganz ernst.

Am Dienstag verlor er Zeit auf den Angreifer Contador, und mittwochs kämpfte er sich erst spät heran an den Madrilenen. Andy Schleck klagte später über die riskanten Abfahrten, die ihm ohnehin nicht liegen; die Veranstalter sollten sich doch überlegen, ob das Rennen auf der Strecke oder im Krankenhaus entschieden werde, haderte er.

Womöglich haben ihn die anderen auch deshalb ziehen lassen, als der 26-Jährige erst seine Tempomacher wie Jens Voigt im Col d'Izoard die Fahrt forcieren ließ, er dann mit einem Blick über die Schulter nach dem Rechten sah - und sich dann für diesen Tag verabschieden sollte. Auf der Abfahrt würden sie ihn schon wieder stellen, dies schien 60 Kilometer vor dem Ziel die Auffassung zu sein. Nur Contador überlegte nachzusetzen. Aber auch er steckte bald zurück.

Was sie hinten nicht sehen konnten: Andy Schleck ließ sich im Windschatten seines Helfers Maxime Monfort vom Izoard leiten, den Belgier hatte Team Leopard ebenso in einer großen Fluchtgruppe platziert wie Joost Posthuma (Holland) - auch im Radsport sind demnach Schachzüge mit fairen Mitteln möglich. Im Übergang zum Galibier ahnten die Nachzügler, dass sie sich verspekuliert hatte; dennoch, keines der verantwortlichen Teams organisierte die Jagd auf Schleck, den Monfort ins Finale führte.

14 Kilometer vor der Ziellinie begann Schleck seine Solofahrt, da herrschte bei den düpierten Rivalen längst Ratlosigkeit und Entsetzen vor. Evans gab genervt Fingerzeige, auf dass endlich jemand Initiative zeige. Er nahm die Sache an der 8-Kilometer-Marke gegen seine Natur selbst in die Hand. Voeckler profitierte davon und hielt erstaunlicherweise auch bei der höchsten Bergankunft der Tourhistorie das Hinterrad.

Von Contador dagegen war diesmal nichts mehr zu erwarten, er kurbelte stets in einer hinteren Position. 1900 Meter vor der Ankunft musste er sogar die Gruppe Evans/Voeckler ziehen lassen. Somit bliebe der Tour die Peinlichkeit erspart, dass ihr im August mit einem möglichen Schuldspruch im Dopingverfahren Contadors der Sieger abhandenkommt. Wie nun in Paris ganz oben steht, ist offen.

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