Tour de France:Der Kronprinz ändert sein Gesicht

Es deutet einiges darauf hin, dass Jan Ullrich nach Lance Armstrongs Karriereende nicht automatisch sein Nachfolger wird.

Von Andreas Burkert

100 Minuten saß Jan Ullrich auch am zweiten Tour-Ruhetag auf dem Rad, verschwitzt kehrte er mittags zurück ins Vier-Sterne-Domizil am Kongresszentrum von Pau.

Tour de France: Leichte Musik zum schweren Anstieg: Ein Alphornbläser begleitet Ullrich (rosa, vorne) und Armstrong (gelbes Trikot).

Leichte Musik zum schweren Anstieg: Ein Alphornbläser begleitet Ullrich (rosa, vorne) und Armstrong (gelbes Trikot).

(Foto: Foto: afp)

Er ist guter Laune gewesen, im Foyer begrüßte er seinen Manager Wolfgang Strohband und berichtete, dass ihm tags zuvor auf der Königsetappe zum Pla d'Adet viele begeisterte Zuschauer "immer wieder auf meine Rippen gehauen" hätten.

Sie hatten es nur gut gemeint, doch die geprellten Knochenbögen schmerzen Ullrich eben immer noch wegen seiner beiden Stürze während der Frankreichrundfahrt.

Von seiner Unterzuckerung im Schlussanstieg erzählte Ullrich noch, ausgerechnet nach der entscheidenden Attacke des Italieners Ivan Basso habe er "plötzlich bemerkt, dass ich zu wenig zu Essen dabei hatte".

Er hat Hunger, aber keiner hört ihn

Seinen spanischen Teamkollegen Oscar Sevilla habe er "deshalb angeschrieen, ob er noch 'was dabei hat - aber der hat bei dem Lärm nix mehr gehört". Rippenschmerzen und Hungerast, Jan Ullrich findet das alles etwas ärgerlich, doch deshalb hat er auch diese Tour nicht verloren. Das weiß er selbst.

Die Niederlage offiziell einzugestehen gegen Lance Armstrong, den Tyrannen des schwersten Rennens der Welt, das übernahm am Montag Olaf Ludwig, der Teammanager bei T-Mobile. "Wir sind hier angetreten, um das Gelbe Trikot zu gewinnen", sagte er, "doch dazu wird es nicht kommen, deshalb sind wir sehr enttäuscht."

Drei Fahrer haben sie unter den besten Zehn platziert, und auch die Mannschaftswertung wird der Rennstall wohl wieder gewinnen. Doch diese Details und auch die allseits belobigte Offensive gegen Armstrong, der erstmals von einem Kollektiv in Bedrängnis gebracht worden war, können die Enttäuschung nur bedingt tilgen.

Denn vor der Tour ist irgendwie auch nach der Tour, so geht hier jedenfalls ein beliebter Spruch, und die Siegchancen für die Ausgabe 2006 liegen trotz Armstrongs Karriere-Ende nicht bei hundert Prozent. Olaf Ludwig sagt: "Es gibt ja viele Kronprinzen, doch so, wie Basso hier fährt, ist er wohl der Kronprinz."

Seriös im Winter

Basso hat wie schon 2004 im Hochgebirge souverän mit Armstrong mithalten können, und da er sich im Zeitfahren deutlich verbessert hat, wird an seinem Aufstieg in der Hierarchie kein Zweifel gehegt.

Der zweite Rang ist ihm kaum zu nehmen, und Position drei verteidigt der dänische Bergpreiskönig Mickael Rasmussen mit einer Energie, dass Ullrich sagt: "Ich muss versuchen, ihm noch vor dem letzten Zeitfahren etwas abzunehmen." Derzeit liegt er 2:49 Minuten zurück.

Ullrichs abermals reduzierte Ziele für jenes Rennen, das er nach seiner Siegpremiere 1997 unbedingt noch einmal gewinnen möchte, werfen Fragen nach den Gründen für sein Scheitern auf.

Der Kronprinz ändert sein Gesicht

Denn dass sich das Sorgenkind des Winters diesmal seriös vorbereitet hat, gilt als unstrittig. Ullrich selbst hatte jedoch nach seiner Niederlage von Courchevel gesagt, auch ohne die Blutergüsse am Brustkorb hätte er die zwei Minuten auf Armstrong kassiert. Lothar Heinrich sagt: "Dass er das gesagt hat, hat mich überrascht."

Tour de France: Die Berge waren seine Stärke, heute sind andere schneller dort oben.

Die Berge waren seine Stärke, heute sind andere schneller dort oben.

(Foto: Foto: AP)

"Jan ist schwerer als 1997"

Heinrich ist seit 1995 Teamarzt beim Team mit den Magentatrikots, im selben Jahr stieß auch Ullrich zur Mannschaft. Heinrich kennt den Hochleistungsapparat des Kapitäns wohl besser als dessen Partnerin, und er sagt: "Jan ist sicherlich schwerer als 1997."

Zirka 2500 Gramm schleppe Ullrich mehr mit auf die Gipfel als in seinem Siegjahr, wobei Heinrich betont, es handele sich nicht um Speck. Dick ist Ullrich wahrlich nicht, vielmehr hat er sich in den letzten Jahren mehr Muskelmasse antrainiert.

Eine Konsequenz aus Ullrichs Knieproblemen, erklärt Heinrich, "und wie jede gute Sache hat auch sein Zugewinn an muskulärer Stabilität eine schlechte Seite". Auf diesen Nachteil im Vergleich zur Konkurrenz hatte schon am Rande der Tour de Suisse Ullrichs Berufskollege Jens Voigt hingewiesen: "Der Ulli hat einfach zu viele Muskeln für die Berge."

Heinrich stellt generell fest, Ullrich sei "nicht stärker am Berg geworden". Die Konkurrenz schon. "Das sind alles athletische Fahrer, die aufgrund ihrer hohen Ausdauerleistungsfähigkeit auch schnell am Berg sind."

"Du brauchst einen Punch"

Wie Armstrong und nun auch Basso, "der kann Tempo gehen". Heinrich weiß, dass er "relativ kritisch" klingt, dennoch ergänzt er: "Zu einem Toursieg zählt heute eine aktive Fahrweise, du brauchst einen Punch."

Diese aktive Fahrweise ist Jan Ullrich in den Jahren abhanden gekommen, mit der neuen Muskelmasse und auch im Wissen, neben Armstrong stärkster Zeitfahrer zu sein.

Inwieweit diese ernüchternden Erkenntnisse Einfluss haben werden auf Ullrichs Trainingsgestaltung, das soll nach der Tour erörtert werden. Momentan steuert Betreuer Rudy Pevenage mit dem italienischen Sporzarzt Luigi Cecchini das Pensum, sie haben ihm sogar einen etwas flüssigeren Stil beigebracht. Doch vom Anforderungsprofil eines Toursiegers hat sich ihr Athlet offenbar entfernt.

Seine kämpferische Attitüde indes hat sich Jan Ullrich erhalten, Lothar Heinrich sagt: "Bei aller Kritik und Skepsis, bin ich doch erstaunt, wie gut Jan hier fährt trotz seiner Rippenprellung. Er redet nur nicht darüber, denn er will nicht, dass es wieder nach einer Ausrede klingt."

Denn auch Jan Ullrich, der laut Manager Strohband "2006 definitiv wieder antritt", ahnt längst: Sein Scheitern hat andere Ursachen.

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