Tour de France:"Dann bleiben nicht mehr viele übrig"

Die Tour kommt bei Jan Ullrichs früherem Betreuer Rudy Pevenage vorbei: Ein Gespräch ohne Geständnis - aber auch ohne Leugnen.

Andreas Burkert

Jeder kennt sein Haus in Geraardsbergen, einem kleinen Städtchen gut 30 Kilometer von Gent gelegen, dem Zielort der zweiten Touretappe am Montag. "Die große spanische Villa", sagt der Wirt in der Taverne Grupello, wo die Familie Pevenage gerne freitags zusammenkommt. In seiner Heimat bleibt Rudy Pevenage, 53, unbehelligt, während in Bonn ein Betrugsverfahren gegen Jan Ullrichs langjährigen Sportchef und Betreuer läuft. Der frühere Profi Pevenage gilt als Wegbereiter der Zusammenarbeit Ullrichs mit dem spanischen Blutdoper Eufemiano Fuentes. Bisher hat er dazu keine Stellung bezogen, also klingelt man vielleicht einfach mal in seiner Villa an der Brusselsestraat. Pevenage schaut durch das Fenster, und dann öffnet er. Er ist unausgeschlafen, erkältet - und etwas "überrascht, so unangemeldet", wie er zurecht sagt. Es entwickelt sich aber ein recht langes Gespräch, in dem Pevenage nichts konkret einräumt zu seiner offensichtlichen Verwicklung in die Puerto-Affäre. Aber er streitet auch nichts ab, und das ist schon mal sehr ungewöhnlich für einen alten Kopf des Pelotons: Pevenage leugnet nicht.

Tour de France: Rudy Pevenage unterstützte Jan Ullrich beim Team Telekom.

Rudy Pevenage unterstützte Jan Ullrich beim Team Telekom.

(Foto: Foto: AFP)

SZ: Herr Pevenage, die Tour ist in Belgien angekommen, wagen Sie sich hin?

Pevenage: Nur abends, zum Empfang des flämischen Ministers. Zum Peloton habe ich eigentlich kein Kontakt mehr.

SZ: Der Minister hat Sie eingeladen?

Pevenage: Naja, nicht nur mich, sondern alle aus Belgien, die mal etwas bei der Tour geleistet haben.

SZ: In Deutschland wäre es kaum denkbar, der Radsport hat gerade nichts zu feiern, wie Sie sicher wissen.

Pevenage: Ich weiß, auch hier in Belgien wollen die Leute nicht, dass gedopt wird. Aber Deutschland ist jetzt schon das einzige Land, wo sie so viel Wirbel machen. Wir haben auch unsere Affären mit Vandenbroucke, mit Musseuw. Aber trotzdem sind die Leute noch vom Radsport begeistert, und das Thema Doping wird nicht so hart gespielt.

Der frühere Weltmeister Johan Musseuw muss sich in Courtrai vor einer Strafkammer wegen Dopingbesitzes verantworten, zuvor war er trotz Karriere-Endes nachträglich für zwei Jahre gesperrt worden. Das einstige Edeltalent Frank Vandenbroucke wiederum war gleich mehrfach in Dopingaffären verwickelt und landete Anfang Juli in der Psychiatrie. Wegen eines Selbstmordversuchs.

SZ: Wir haben uns zuletzt vor einem Jahr gesehen, vor Ihrer Abreise nach Jan Ullrichs Suspendierung. Damals befürworteten Sie eine DNS-Abgabe von Ullrich. Das war wohl gelogen.

Pevenage: Habe ich das gesagt?

SZ: Ja, auf den Stufen des Kongresszentrums von Straßburg, zwei Tage vor dem Tourstart.

Pevenage: Kann ich mich nicht mehr dran erinnern. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ich das gesagt habe.

Ist ja auch gar nicht mehr nötig: Die Bonner Staatsanwaltschaft hat im April per DNS-Abgleich nachgewiesen, dass Ullrichs Blut literweise bei Fuentes lagerte.

SZ: Verstehen Sie, dass man Sie im Feld wegen des Fuentes-Skandals nicht mehr sehen will?

Pevenage: Dann müsstest du doch die Hälfte vom Feld rausnehmen. Es ist mir zu einfach zu sagen, dass nur ein oder zwei Leute im Feld Fuentes gut gekannt haben. Und ich habe von Stapleton (Teammanager von T-Mobile; d.Red.) gehört, man müsse einem wie Rolf Aldag (T-Mobile-Sportchef) eine zweite Chance geben. Aber andere wie ich - kriegen die keine zweite Chance?

SZ: Aldag hat allerdings gestanden.

Pevenage; Was hat er denn zugegeben?

SZ: Vermutlich nur die Hälfte, das mag sein, aber immerhin, das hat er.

Pevenage: Klar, natürlich gebe ich auch zu, dass ich mit Fuentes Kontakt hatte. Aber glauben Sie, dass ich der einzige Sportliche Leiter bin, der Kontakt mit Fuentes hatte? Ich kenne ihn sehr lange, da war ich selbst noch Radfahrer.

SZ: Aber damals war Fuentes noch kein Sportarzt oder?

Pevenage: Doch.

SZ: Stimmt es, dass der engere Kontakt zustande kam, weil sie in Spanien in einer Ferienanlage Nachbarn waren?

Pevenage: Nein, ich hatte nur drei Jahre ein Haus in Calpe. Dort kamen wir nicht ins Gespräch, ich kannte ihn eben später noch näher von seiner Zeit als Teamarzt bei Kelme.

SZ: Das Team galt als Fuentes-verseucht, Sie haben aber von dort sogar Fahrer wie den Fuentes-Kunden Santiago Botero zu Telekom geholt.

Pevenage: Nicht nur er, auch Valverde kannte doch Fuentes sehr gut, er war ja auch bei Kelme.

"Dann bleiben nicht mehr viele übrig"

SZ: Wohl nicht nur gekannt - sondern auch mit ihm zusammengearbeitet.

Tour de France: Auch zum Team Bianchi folgte Pevenage seinem Schützling Jan Ullrich.

Auch zum Team Bianchi folgte Pevenage seinem Schützling Jan Ullrich.

(Foto: Foto: dpa)

Pevenage: Da muss ich jetzt aufpassen, was ich sage.

Der spanische Profi Alejandro Valverde von Caisse d'Epargne wird ebenfalls in den Akten des Dopingskandal erwähnt.

SZ: Valverde darf seltsamerweise die Tour fahren, Sie müssen sich verstecken.

Pevenage: Bei mir ist das anders, das stimmt. Ich versuche, etwas anderes zu machen, aber das ist schwer, wenn man ein Leben lang nur im Radsport war.

SZ: Sie könnten umfassend gestehen?

Pevenage: . . . nein, das nicht.

SZ: Warum? Nicht mal ein halbes Geständnis, wie Rolf Aldag?

Pevenage: Was soll ich denn noch erzählen? Es haben doch schon so viele Leute erzählt, und wenn ich jetzt auch noch etwas sage, kriege ich nur von links und rechts Gerichtsverfahren. Und was haben denn die Geständnisse bisher gebracht? Warum geben denn die Spanier und Italiener das nicht auch alles zu? Wie gesagt: Wenn jetzt alle sagen, die Alten sollen alle raus wegen des verschärften Ethik-Codes - dann bleiben nicht mehr viele übrig.

SZ: Sie könnten auch den vielen belgischen Nachwuchsfahrern erzählen von Ihren Fehlern und den Folgen?

Pevenage: Ja, das könnte ich machen.

SZ: Haben Sie denn bei der Bonner Staatsanwaltschaft etwas eingeräumt?

Pevenage: Nein, da habe ich noch nichts eingeräumt, weil mein Anwalt bisher keine Akteneinsicht hat. Mein Anwalt sagt, ich solle nichts sagen - und wenn ich einen Anwalt bezahle, mache ich doch besser auch, was er sagt.

SZ: Aber die Aktenlage der spanischen Polizei ist bekanntermaßen umfangreich, auch deshalb fand doch bei Ihnen im September ebenfalls eine Razzia statt.

Pevenage: Ja, sie waren hier bei mir, sie haben meinen Computer mitgenommen, mein Telefon.

SZ: Die Dokumente, die Abhörprotokolle, die Berichte, aber Sie möchten noch nichts einräumen?

Pevenage: Nein, da sage ich jetzt besser nichts dazu.

SZ: Auch nicht dazu, dass Sie wohl vom Dopingsystem bei Telekom, dessen Existenz die Teamärzte Schmidt und Heinrich ja im Grunde bestätigt haben, gewusst haben - zumindest das: gewusst?

Pevenage: Da sage ich jetzt auch wieder nichts dazu. Ich habe ein Strafverfahren laufen.

SZ: Sie sagen nichts, Sie leugnen allerdings auch nicht, das fällt auf. Haben Sie seit Straßburg jemals daran gedacht, das mit Ullrich doch mal alles zu erzählen?

Pevenage: In so einem Jahr denkt man sicherlich an Vieles.

SZ: Jetzt ist Ullrichs Ruf vernichtet.

Pevenage: Ja.

SZ: Haben Sie seinen vielsagenden Auftritt bei "Beckmann" gesehen?

Pevenage: Ja, fand ich nicht so gut, aber ich habe damals gelitten.

SZ: Sie sind nicht mehr sein Berater?

Pevenage: Nein, er hat doch jetzt seine Anwälte, was soll ich da noch machen?

SZ: Haben Sie Kontakt zu Ullrich?

Pevenage: Wir telefonieren noch regelmäßig, aber nicht mehr so oft wie früher. Was hätten wir uns denn jetzt auch noch groß zu erzählen?

Rudy Pevenage begleitete Ullrich, 33, seit dessen Profidebüt 1995.

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