Tour de France:Choreografie für Tony Martin

Cycling - The 104th Tour de France

Tony Martin bei der Team-Präsentation in Düsseldorf: Gut drauf vor dem Tour-Start

(Foto: REUTERS)
  • In Düsseldorf startet am Samstag die 104. Tour de France - der Auftakt ist ganz auf Tony Martin zugeschnitten.
  • Der Deutsche ist amtierender Zeitfahr-Weltmeister und könnte Deutschland mit dem Gelben Trikot verlassen.
  • Das wäre eine schöne Entlohnung in einer Karriere, in der es selten langweilig war.

Von Johannes Knuth, Düsseldorf

Tour de France: SZ-Grafik; Quelle: Veranstalter

SZ-Grafik; Quelle: Veranstalter

Nach allem, was bekannt ist, erfreut sich der Radprofi Tony Martin in diesen Tagen bester Gesundheit. Über Blutdruck, Beiträge zur Krankenkasse, Nieren-, Leber- und sonstige Werte war bislang zwar nichts zu lesen, auch winkte Martin dankend ab, als sie ihm bei der Teampräsentation am Düsseldorfer Hafen am Mittwoch Lachsschnitten und Hackbällchen reichten. Aber nein, versicherte er, es gehe es ihm wirklich gut. Nur die Nervosität habe ihn noch nicht gepackt. "Weiß auch nicht, was mit mir los ist", scherzte Martin. Sie haben ja alles auf den amtierenden Zeitfahr-Weltmeister aus Deutschland zugeschneidert, wenn die 104. Tour de France am Samstag mit einem Zeitfahren in der Stadt eröffnet wird. "Ich blende das, so gut es geht, aus", sagt Martin und ergänzt: "Ich will das Ganze für mich nicht so groß machen, wie es tatsächlich ist."

Eine große Nummer ist das ja schon für die deutsche Szene, die Frankreich-Rundfahrt wieder einmal zu beherbergen. Das vorerst letzte Mal, als die Tour vorbeischaute, liegt zwölf Jahre zurück, der letzte Auftakt sogar 30 Jahre, in Westberlin. Ein paar Profis sprinteten damals beim Aufwärmen an verdutzten DDR-Polizisten vorbei - sie wussten nicht, dass sie Richtung Mauer unterwegs waren. Es folgten die Jan-Ullrich-Jahre. Publikum und Medien warfen sich in die Arme des Sports, wandten sich schaudernd ab, als Ermittler und Kronzeugen Belege hoben, wie im Feld gespritzt und geschluckt wurde.

Tony Martin, John Degenkolb, die Sprinter Marcel Kittel und André Greipel wurden anfangs in der Heimat beschimpft, sie begriffen, dass sie nicht nur Etappensiege und Titel erwerben, sondern sich auch von den Vorfahren abgrenzen mussten, als Klassensprecher im Anti-Doping-Kampf. Der Auftakt in Düsseldorf, sagt Martin jetzt, sei "auch eine Belohnung dafür, was ich und die anderen alles erreicht haben".

Der ärgste Widersacher wurde gar nicht nominiert

Das Wochenende Düsseldorf wird also auch erste Hochrechnungen dafür bereitstellen, wie sehr die Deutschen dem Radsport wieder gewogen sind. Um ein bisschen nachzuhelfen, haben die Veranstalter ein simples Skript entworfen: ein Deutscher im Gelben Trikot, beim Zeitfahren am Samstag, ehe sich die Tour am Sonntag über Mönchengladbach und Aachen gen Lüttich verabschiedet, mit der ersten von mehreren Sprintankünften. Dort könnten Kittel und Greipel wieder Etappen auf ihre Seite zerren, beide haben in den vergangenen Jahren zwanzig Siege bei der Tour auf sich vereint. Für Samstag haben sie aber erst mal alles für Martin choreografiert, 14 Kilometer über Königsallee und am Rhein entlang, befreit von giftigen Anstiegen und Rhythmuswechseln. Es wird eine monotone Schinderei. So wie Martin es mag.

Es kann sein, dass am Samstag Regen und Böen bis zu 40 Stundenkilometer an seinem Rad rütteln, aber derartige Prognosen versucht Martin, von sich fernzuhalten. Gerade hat er zum siebten Mal den nationalen Titel im Zeitfahren gewonnen. Der Australier Rohan Dennis, sein wohl ärgster Widersacher, wurde gar nicht nominiert. "Ich habe mich noch nie so sehr auf einen Tour-Start gefreut", sagt Martin, er weiß ja: Das Wochenende ist auch deshalb so wertvoll, weil ihm das nicht mehr zufallen wird, nicht in seinem Radfahrerleben.

Oft von Stürzen gebremst

Gelb in der Heimat, das wäre für Martin auch eine schöne Entlohnung in einer Karriere, in der es selten langweilig war. Er wurde oft von Stürzen gebremst, verpasste immer wieder das Gelbe Trikot, mal platzte ein Reifen beim Prolog, mal waren andere ein paar Sekunden schneller. Dann, vor zwei Jahren, gelang ihm endlich die Gesamtführung in Cambrai - die ihm prompt wieder entglitt: Sturz, Krankenhaus.

Er steckte auch das weg, wie die Pleite im Zeitfahren bei Olympia in Rio, als er aus der Weltspitze gefallen war. Er hat sich nun mal schwer verguckt in diese Disziplin, da lässt man sich von Beziehungsproblemen nicht irritieren. "Beim Zeitfahren gibt es keinen Fahrer vor oder hinter dir, der dich animiert", hat er einmal gesagt, "du musst dich immer selbst motivieren, die Schmerzen zu ertragen." Er verzichtete im Winter darauf, weiter mit seiner Sitzposition zu experimentieren, zog zu Katusha-Alpecin um, auch weil das Team vom Hersteller mit der derzeit wohl schnellsten Zeitfahrmaschine ausgerüstet wird. Und obwohl er damit Verwunderung auf sich lenkte.

Sein robuster Ruf passte ja eigentlich nicht so recht zu Katusha, das in den vergangenen acht Jahren von sieben Dopingfällen erfasst wurde und bis heute belastetes Personal beschäftigt, wie Teamchef José Azevedo, der einst Lance Armstrong zuarbeitete. Doping? Ein Relikt der Vergangenheit, sagen sie heute. Man hat das Image renoviert, sitzt nicht mehr in Russland, sondern in der Schweiz, der deutsche Shampoo-Hersteller Alpecin ("Doping für die Haare, nur für die Haare") ist Titelsponsor. Deutsche Fahrer sollen für mehr Glaubwürdigkeit bürgen, wie Martin und die Tour-Debütanten Rick Zabel und Nils Politt, beide 23. Er sei überzeugt, bekräftigte Martin in Düsseldorf, dass "ein Großteil des Feldes" längst ohne pharmazeutische Hilfe unterwegs sei.

Zuletzt hatte er eine Reinheitsquote von 98 Prozent vermutet. "Das war eher geraten, ich lege für niemanden die Hand ins Feuer außer mir selbst", sagte er in Düsseldorf. Aber Fahrer wie André Cardoso, der am Dienstag mit Epo erwischt wurde, seien "schwarze Schafe", die das System zum Glück aus dem Feld filtere. Es ist eine These, die unter Experten wohl keine absolute Mehrheit finden würde, aber das ist eine andere Geschichte.

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