Bora bei der Tour de France:Oberbayern aus Österreich

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Angriff ist die beste Werbung: Lennard Kämna vom deutschen Team Bora in den Vogesen. (Foto: Jasper Jacobs/dpa)

Das Team Bora ist seit einem Jahrzehnt die deutsche Vorzeige-Equipe im Radsport und gehört längst zur absoluten Weltspitze. Doch inzwischen ist es in Tirol registriert - dahinter stecken wirtschaftliche Gründe.

Von Johannes Aumüller, Carcassonne

Der Mannschaftsbus fuhr bereits die Markise ein und startete den Motor. Aber Nils Politt war mit seinem Tagwerk noch nicht fertig und düste noch mal die Straße hinunter. Der gebürtige Kölner war in der Hitzeschlacht nach Carcassonne am Sonntag als kämpferischster Fahrer ausgezeichnet worden, und das zog noch ein paar Pflichten wie Siegerehrung und Mixed-Zonen-Besuch nach sich. Und dann musste Politt noch zu dem vor Ruhetagen obligatorischen Corona-Test, ehe er sich endlich ins Teamhotel kutschieren lassen konnte, in einem Fahrzeug mit dem Kfz-Kennzeichen "RO".

Wie so viele Teams im Radzirkus ist Bora-Hansgrohe eine internationale Angelegenheit, aber dieses "RO" ist durchaus markant. Im oberbayerischen Raubling nahe Rosenheim ist die Equipe vor zehn Jahren gegründet worden. Damals war sie noch Zweitdivisionär, aber längst gehört sie zu den absoluten Spitzenmannschaften im Peloton, mit einem geschätzten Budget von zirka 20 Millionen Euro. Auch wenn zwischendurch mal andere Teams mit deutscher Lizenz oder deutschem Sponsor zum Feld gehörten, so gilt Bora im Prinzip seit zehn Jahren als die einzige deutsche Mannschaft im Peloton. Es ist auch kein Zufall, dass vier der aktuell besten deutschen Radprofis für Bora fahren. "Die Raublinger" als beschreibender Begriff ist Standard geworden.

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Nur ist das inzwischen so eine Sache. Denn tatsächlich sind die Oberbayern halbe Österreicher.

Bora-Hansgrohe startet zwar weiter unter deutscher Flagge, aber hinter jedem Rennstall steht eine Firma, die die Lizenz hält. Im Fall von Bora ist dies die "Denk Pro Cycling GmbH & Co. KG", benannt nach dem Teamgründer und Lizenzeigner Ralph Denk, 48, einem früheren Amateurfahrer, der das Team 2010 ins Leben rief und maßgeblich für den Aufstieg in die Weltspitze war. Und registriert ist diese Firma nicht (mehr) im Regierungsbezirk Oberbayern, sondern bereits seit sechs Jahren, von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, in Österreich: 6342 Niederndorf, Tirol.

Ralph Denk leitet das deutsche Team Bora - und er erklärt die Verbindungen nach Österreich. (Foto: Chris Graythen/Getty)

Wer Denk darauf anspricht, bekommt vor allem ein Argument zu hören. "Es ist einfacher, ein Team nach österreichischen Gesetzen zu leiten als nach deutschen Gesetzen", sagt er. Außerdem habe in Niederndorf seit ein paar Jahren auch der Hauptsponsor Bora - ein Küchengerätehersteller, dessen Wurzeln ebenfalls in Raubling liegen - einen Sitz. Dessen Räumlichkeiten kann die Radmannschaft nutzen.

Kasachen aus Luxemburg: Der Weltverband ist flexibel

Im Radsport ist es manchmal etwas kompliziert mit der Verortung der Mannschaften. Das Reglement des Weltverbands UCI ist da recht flexibel - und Boras Spagat zwischen Deutschland und Österreich kein Einzelfall. Das Team DSM (bis zur Saison 2021 Sunweb) etwa startete jahrelang mit deutscher Lizenz, obwohl es im Kern immer eine niederländische Equipe war und auch in der Stadt Deventer registriert wurde. Weil der neue Sponsor ein in den Niederlanden tätiger Chemiekonzern ist, ging die Lizenz zu Saisonbeginn wieder in die Niederlande. Die kasachische Staatsequipe Astana ist in Luxemburg gemeldet. Das UAE-Emirates-Team des zweimaligen Tour-Siegers Tadej Pogacar fährt mit emiratischer Lizenz, hat aber eine Schweizer Geschäftsadresse.

Die Motive hinter diesen Konstruktionen sind unterschiedlich. Bora-Chef Denk ist es wichtig, zu betonen, dass es sich nicht um ein Steuermodell handele. Zu sehr ins Detail geht er nicht. Es sei "die wirtschaftliche Handhabung" leichter, argumentiert er, im österreichischen Sportrecht gebe es einfachere Regeln - zum Beispiel, so bestätigt er auf Nachfrage, mit Blick auf den arbeitsrechtlichen Status der Radprofis.

Dieser Status der Radprofis ist schon lange ein Thema im Peloton. Die Pedaleure werden nämlich unterschiedlich behandelt. Manche sind bei den jeweiligen Mannschaften festangestellt, andere firmieren, so zum Beispiel bei Bora, als Selbständige, also als freie Mitarbeiter - der Rad-Weltverband UCI erlaubt beide Konstruktionen. Nach Angaben der Fahrergewerkschaft CPA verteilt sich die Radlerschar recht gleichmäßig auf die zwei Modelle, ungefähr 50 Prozent selbständig, ungefähr 50 Prozent Angestellte.

Die Wahl des Modells hängt nicht nur, aber zu einem entscheidenden Teil von der Herkunft des jeweiligen Rennstalls ab. In Frankreich zum Beispiel macht der Staat viele Vorgaben, und dort sind alle Fahrer einer Mannschaft Angestellte der Teams. Ähnlich sieht es etwa in Belgien aus. So müssen die dortigen Mannschaften auch die entsprechenden Sozialabgaben bezahlen. Das ist einerseits ein Schutz für die Sportler, den viele Profis sehr schätzen. Für andere Beobachter ergibt sich daraus auch ein Wettbewerbsnachteil. Es entstehen nicht nur höhere Kosten, sondern je nach konkretem (steuerlichen) Wohnsitz fühlt sich auch mancher Fahrer abgeschreckt.

Die formal freiberuflichen Fahrer wiederum kann auch ein anderes heikles Thema tangieren: die Gefahr der Scheinselbständigkeit, die auch in vielen anderen Branchen ein Thema ist, auch im Journalismus war sie das lange. Konstruktionen, in denen formal Selbständige nur einen Auftraggeber haben und dann auch noch erkennbar abhängig und weisungsgebunden sind, sind in einigen Ländern untersagt. Radprofis fallen nun zweifellos in eine Kategorie, in der es schwer ist, einen regelmäßigen zweiten Auftraggeber zu finden, und ebenso schwer ist es, sich Anweisungen der Teamleitung zu widersetzen.

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Beim Team Bora hoffen sie jedenfalls, dass die kommenden Tage ein bisschen anders verlaufen als die vergangenen. Die Mannschaft fährt bisher keine schlechte Tour, aber so richtig zufrieden sind sie nicht. Lennard Kämna verpasste einen Etappensieg nur um 100 Meter und die Fahrt ins Gelbe Trikot in den Alpen nur um elf Sekunden. Auch diverse andere Fluchtversuche blieben ungekrönt. Und der russische Kapitän Alexander Wlassow kämpft nach einem frühen Sturz nicht wie erhofft um die Gesamtränge drei bis fünf, sondern ist aktuell Elfter - und soll sich in den drei anstehenden Pyrenäen-Etappen nun auch auf Tageserfolge konzentrieren.

Womöglich wird's so noch etwas, mit dem ersten Etappensieg für die Oberbayern aus Österreich.

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