Tour de France:Ausrufezeichen in der Abfahrt

Mit einem spektakulären Manöver fährt Vorjahressieger Christopher Froome auf der ersten Pyrenäen-Etappe ins Gelbe Trikot. Nun steht das erste Duell mit Herausforderer Nairo Quintana an.

Von Johannes Aumüller, Bagnères-de-Luchon/München

Da sitzt Christopher Froome also auf dem Rad, und er sitzt wirklich auf dem Rad. Nicht auf dem Sattel, sondern auf jenem schmalen Mittelrohr, das den vorderen und den hinteren Teil eines Velos miteinander verbindet. Das ist kein ungewöhnliches Bild, Spitzen-Radler machen das schon mal so, wenn sie sich besonders windschnittig in eine Abfahrt werfen und/oder den Körper ein bisschen strecken wollen. Dann beugen sie den Kopf weit über den Lenker und rutschen mit ihrem Hintern nach vorne auf diese schmale Stange. Aber dann passiert doch etwas eher Ungewöhnliches: Noch während sich Froome in dieser aerodynamischen Pose befindet, fängt er an zu treten und zu treten, noch mehr Geschwindigkeit und noch mehr Geschwindigkeit.

Die erste wirklich schwere Pyrenäen-Etappe stand an diesem Samstag bei der Tour de France an. Start in Pau, Ziel in Bagnères-de-Luchon, nicht oben auf einem Berg, sondern unten im Tal, 15,5 Kilometer nach dem Gipfel des Col de Peyresourde. Und Froome hat auf diesem Abschnitt einen wirklich beachtlichen Auftritt abgeliefert. Nachdem sich über vier Gipfel hinweg und auch hinauf zum Peyresourde alle Top-Fahrer mal ein wenig gekitzelt, aber nicht richtig distanziert hatten, ist der 31 Jahre alte Vorjahressieger aus Großbritannien oben an der Kuppe einfach stramm weitergefahren - genau in dem Moment, als sich sein mutmaßlich ärgster Konkurrent Nairo Quintana (Kolumbien) das übliche Gipfelschlückchen aus der Trinkflasche gönnen wollte.

Geschwindigkeiten bis zu 90 km/h

Und dann hat sich Froome auf dem Rohr sitzend, kurbelnd und eng die Kurven nehmend in die Abfahrt geworfen, Geschwindigkeiten von 90 km/h und mehr durchgezogen, bis er den Verfolgern um Quintana und den anderen Klassement-Fahrern im Ziel 13 Sekunden abgenommen hatte. 13 Sekunden, das klingt nach nicht viel, und das ist es auch nicht. Aber es ist zugleich doch ein Signal, das Froome auf seiner Fahrt zu seinem ersten Tour-Etappensieg 2016 und ins Gelbe Trikot setzte.

09 07 2016 Tour De France Tappa 08 Pau Bagneres De Luchon 2016 Team Sky Froome Christopher C; Froome

Fuhr in der Abfahrt allen davon: Christopher Froome.

(Foto: imago)

Als Froome 2013 zum ersten Mal die Tour gewann, fuhr er sich mit seinem damaligen Edel-Helfer Richie Porte am Ende der ersten Bergankunft einen ordentlichen Vorsprung heraus, vergrößerte ihn kurz darauf bei einem Zeitfahren - und brauchte ihn dann nur noch zu verwalten. Als Froome 2015 zum zweiten Mal die Tour gewann, distanzierten seine Mannen und er bei der ersten Bergankunft die Konkurrenz so sehr, dass er fortan drei Minuten Vorsprung hatte; trotz aller Stärke Quintanas in den Alpen erwies sich das als ausreichend. Eine solche Bergankunft, die sie bei Froomes Sky-Team offenkundig so lieben, haben sie bei der Tour natürlich auch wieder im Plan, am Sonntag schon, wenn es hinauf nach Andorra Arcalis geht, wo 1997 Jan Ullrich das Maillot Jaune eroberte und den Grundstein für seinen Tour-Sieg legte.

Warum also hat Froome nicht einfach gewartet, sondern so ein spektakuläres, aber auch riskantes und waghalsiges Manöver gestartet? Vielleicht ahnt er, dass 2016 ein anderes Rennen werden könnte als 2013 und 2015. Dass er also nicht mithilfe seiner - auch in diesem Jahr augenscheinlich wieder beeindruckend geschlossenen - Sky-Mannschaft die Konkurrenz an der ersten Bergankunft souverän distanzieren kann. Froome ist offenkundig stark, Quintana aber auch, und der Brite scheint den Kolumbianer durchaus zu fürchten. Zwar gibt es zur Mitte und gegen Ende der Tour noch zwei Zeitfahren, also die Disziplin, in der Froome stärker ist als Quintana, aber es sind keine klassischen Zeitfahren, sondern arg bis ausschließlich bergige.

Am Ende könnte es gegen Quintana um Sekunden gehen

Es kann also eine Tour werden, in der es am Ende um Sekunden geht - wie auf der Abfahrt nach Bagnères-de-Luchon. Und die psychologische Komponente eines solches Angriffes ist auch nicht zu unterschätzen. "Ein Traum ist wahr geworden. Ich habe zum ersten Mal in meiner Karriere versucht, bergab zu attackieren. Es hat geklappt. Ich hätte nicht gedacht, dass ich die Etappe gewinnen kann."

Nun fährt Froome also schon im Gelben Trikot, wenn es am Sonntag auf die schwerste diesjährige Pyrenäen-Etappe geht. Dann wird sich endgültig zeigen, wie gut Froome und Quintana - und in ihrem Schatten der Rest der Klassement-Fahrer - in Form sind.

Ein paar Dinge lassen sich schon jetzt festhalten: Der Giro-Sieger Vincenzo Nibali (Italien/Astana) ist weit von seiner Top-Form entfernt und kam am Samstag nur im ersten Gruppetto ins Ziel. Alberto Contador (Spanien/Tinkoff) verlor erneut Zeit und muss angesichts von mehr als drei Minuten Rückstand auf die Spitze seine Podiumshoffnungen wohl schon aufgeben. Und der junge Deutsche Emanuel Buchmann (Bora-Argon) scheint sich gut zu schlagen: Am Samstag kam er nur 1:41 Minuten hinter dem tollkühnen Froome ins Ziel und belegt in der Gesamtwertung nun Rang 23 - einen Platz unter den Top 20 hat er als Tour-Ziel vorgegeben.

Ganz vorne liegen hinter Froome noch zwölf Fahrer binnen 34 Sekunden. Das wird sich am Sonntagabend definitiv ändern.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: