Tour de France: Alberto Contador:Das jugendliche Gesicht der Vergangenheit

Alberto Contador kann nur noch ein unvorhersehbares Unglück am Sieg hindern - sein Tempo und seine Werte erstaunen nicht nur die Wissenschaft.

Andreas Burkert

Die Zähne, an sie wird man sich noch länger erinnern. An die weißen, aufeinandergepressten Zähne von Alberto Contador, als er an der von Menschenmassen gesäumten Seepromenade von Annecy dem Ziel mit bestimmt 60 Sachen entgegenfliegt. Sein Gebiss wirkte in diesen Momenten höchsten Energieverbrauchs wie die Waffe eines Kampfhundes. Nur die Augen des Madrilenen sah man zunächst nicht hinter dem dunklen Visier seines Helmes. Die Augen von Alberto Contador sind dunkelbraun.

Tour de France: Alberto Contador: Alberto Contador dominiert die Tour de France.

Alberto Contador dominiert die Tour de France.

(Foto: Foto: Getty)

Die 96. Tour de France hat beim Zeitfahren in Annecy ihren logischen Sieger gefunden, nur ein unvorhersehbares Unglück könnte den Spanier bei der finalen Aufführung auf dem mythischen Mont Ventoux am Samstag noch stürzen. In Annecy gewann er nicht nur die Tour, sein zweiter Sieg nach 2007. Contador vereinnahmte das Rennen mit seinem verblüffenden Erfolg auch im Kampf gegen die Uhr. Contador fährt hier sein eigenes Rennen, in einer Kategorie, die nur für ihn reserviert zu sein scheint. Für Contador, den schmalen Kerl mit den dünnen Beinen und furchteinflößenden Zähnen.

Vielen erging es hinterher wie Bob Stapleton, dem Chef des Columbia-Rennstalls. Stapleton ist ein entspannter Millionär, aber er bleibe dabei, sagt er, weil er trotz allem an den Radsport glaube.

Es gibt ja auch durchaus Punkte, an die Insider wie er sich klammern können, wenn sie an Vorstufen der Läuterung glauben möchten: Die Abstände vorne im Klassement sind nicht eklatant wie vor Jahren; und gleich mehrere Topfahrer zeigen seltsame Einbrüche, wie Cadel Evans (30., mehr als 40 Minuten zurück), der zuletzt zweimal Zweiter war; wie Titelverteidiger Carlos Sastre (15., 17:23 Minuten), wie Stapletons Kapitän Kim Kirchen (50., mehr als eine Stunde), Giro-Sieger Denis Mentschow (47., 57:48) und wie Lance Armstrong. Der zurückgekehrte Rekordsieger belegte in seiner früheren Domäne Zeitfahren Rang 16.

Wer will, konnte also durchaus an etwas weniger Betrug glauben und an die Wirkung des Kontrollsystems, das trotz aller Schwächen Fortschritte gemacht hat und vielleicht abschreckend wirkt.

Doch dann kam Contador in Annecy an. Stapleton und ein paar Dutzend Zuschauer verfolgten seine Zieleinfahrt auf einem Bildschirm am Teamwagen. Contador zeigte seine Zähne, dann blieb die Zeit stehen: Erster, noch vor Fabian Cancellara, dem besten Zeitfahrer der Welt.

Stapleton sagte nichts. Er schaute nur auf die Bilder und auf die Zahlen. 40,5 überwiegend flache Kilometer rund um den so schönen Lac d'Annecy, eine Strecke für Rouleure wie Cancellara. Aber Contador, der Kletterer, 62 Kilo leicht, er war im Schnitt mit 50,103 km/h unterwegs. Stapleton schwieg, er lachte still und blickte auf den Schirm, 40, 50 Sekunden, eine Minute. Dann wandte sich der Amerikaner ab. Er schüttelte den Kopf.

Auf der nächsten Seite: Welche enormen Werte und welche Pläne Contador für die nächsten Jahre hat.

Contador siegt und schweigt

Contador schlägt das Misstrauen entgegen. Es muss ihm ja entgegenschlagen. Der bloße Anschein all der Wunderknaben hat doch zuletzt nie mehr getrogen. Landis, Rasmussen, Kohl, Schumacher, diese Woche der Italiener Danilo Di Luca, der beim Giro im Mai als Gesamtzweiter Wettrennen im Berg fuhr und mit 33 Jahren plötzlich auch schnell gegen die Uhr - Epo-gedopt. Gegen Michael Rasmussen fuhr Contador 2007 bei der Tour Bergsprints, es war nicht schön anzusehen. Rasmussen wurde suspendiert vor Paris, Contador siegte. Er, Kunde des Blutdoktors Fuentes, in dessen Kartei er unter A.C. an Nummer 31 geführt war; auch ein Blutbeutel mit dem Kürzel wurde bei der Razzia 2006 gefunden.

Nach seinem Sieg 2007 fragte man ihn, ob er das richtig fände, dort oben zu sitzen, man zeigte ihm die Dokumente der Guardia Civil. "Mein Name war erst in den Akten, aber die UCI hat den Fehler korrigiert”, sagte er. Der Weltverband und die spanische Politik decken ihn, in vielerlei Hinsicht, das ist allzu offensichtlich. Bei Teamchef Manolo Saiz, neben Fuentes die Schlüsselfigur in der Puerto-Affäre ist, begann Contador 2002 seine Karriere, ehe er zu Armstrong-Mentor Johan Bruyneel ging. Contador, 26, ist jung und sehr talentiert. Aber es ist auch das jugendliche Gesicht der Vergangenheit.

In Annecy hat Contador angekündigt, auch in Zukunft, die nächsten fünf, sieben, vielleicht zehn Jahre zu dominieren. Er hat das nicht mit Worten getan. Sondern im Sattel. Reden ist nicht sein Ding, mit der Einfältigkeit eines nichtssagenden Siegers hat er auch in Annecy gesprochen. Als ihn vor der Presse jemand auf die Analysen zu seinem Etappensieges von Verbier anspricht und er erklären möge, wie aus dem besten Kletterer nun auch der beste Zeitfahrer geworden sei - antwortet er einfach nicht. Noch ein Versuch, ein dritter: Welche maximale Sauerstoff-Aufnahmekapazität des Blutes (VO2max) er habe? "Nächste Antwort."

Und so spricht zunächst nur der Anschein über ihn, und die Wissenschaft. In Verbier habe Contador einen VO2max-Wert von 99,5 Millilitern pro Minute pro Kilo aufgewiesen, errechnete der anerkannte französische Professor Antoine Vayer, früher Trainer des Skandalteams Festina. Der Schnitt der Profis weise 80 bis 90 Milliliter auf. Die Experten von Sportsscientists.com kamen auf 98,4. Immer noch ein unwirklicher Wert. Den Anstieg in Verbier habe Contador zudem mit 1864 Höhenmetern pro Stunde bewältigt - Weltrekord. Mehr als Bjarne Riis 1996 in Hautacam, mehr als Marco Pantani 1995 und 1997 in Alpe d'Huez.

Mehr als die alten Gesichter der Vergangenheit, die hochgedopt waren.

"Meines Wissens ist das ein Wert, der zuvor niemals von irgendeinem Athleten in irgendeiner Sportart erreicht wurde", hat Greg LeMond, 48, der frühere US-Toursieger und heutige Kritiker der Generation Armstrong, in einem Beitrag für Le Monde geschrieben. Sein Fazit: "Da stimmt irgendetwas nicht!" Armstrong, Contadors Astana-Kollege, ist verfeindet mit LeMond. Aber in ihrem Staunen über Contador sind sie einig. "In meinen besten Zeiten habe ich 1700 Höhenmeter geschafft", sagt Armstrong, "aber Alberto schafft über 1800."

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