Fünfte Etappe der Tour de France:"Das ist Wahnsinn"

Fünfte Etappe der Tour de France: Die Hölle des Nordens besteht aus Schlamm und Kopfsteinpflaster. Bei gutem Wetter aus Staub und Kopfsteinpflaster.

Die Hölle des Nordens besteht aus Schlamm und Kopfsteinpflaster. Bei gutem Wetter aus Staub und Kopfsteinpflaster.

(Foto: Simon Gill/Action Plus/Imago)

Der Parcours der Tour führt in diesem Jahr über die gefürchteten Pflastersteinpassagen im Norden Frankreichs. Im Peloton ist die Idee sehr umstritten - auch wegen übler Erfahrungen in der Vergangenheit.

Von Johannes Aumüller

Man kann die Sache so sehen wie Christian Prudhomme, der Chef der Amaury Sport Organisation (Aso) und zugleich Vorstand der Tour de France. Diese fünfte Etappe werde die "akrobatische Herausforderung" der Eröffnungswoche, frohlockte er bei der Präsentation des Parcours.

Oder man sieht die Sache so wie der Sportliche Leiter des UAE Team Emirates von Tadej Pogacar, Gewinner der beiden vergangenen Tour-Auflagen und großer Favorit der aktuellen Rundfahrt. Im Frühjahr begab sich eine kleine Gruppe der Mannschaft auf einen Erkundungstrip in den Norden Frankreichs, um den geplanten Verlauf dieser fünften Etappe einmal abzufahren. Pogacar selbst war dabei, dazu seine beiden Sportdirektoren Marco Marcato und Aart Vierhouten. Und als die Proberunde absolviert war, schimpfte Vierhouten in einem Gespräch mit dem belgischen TV-Ableger Sporza: "Das ist Wahnsinn. Mit 60 bis 65 km/h über Kopfsteinpflaster zu sausen, und das in der Hektik der Tour."

Eigentlich gehöre dieser Abschnitt in überhaupt kein Rennen, und vor allem dieses eine Teilstück zwischen Eswars und Paillencourt, das sei "lebensgefährlich".

19 Kilometer rattert das Peloton über Kopfsteinpflaster - viele Passagen mit erhöhtem Risikopotenzial

Vier Etappen ist die 109. Tour de France alt, an diesem Mittwoch beginnt sie so richtig. Da schicken die Organisatoren das Peloton um den Sieganwärter Pogacar und seinen mutmaßlich größten Rivalen Primoz Roglic (Team Jumbo-Visma) eine 157 Kilometer lange Strecke von Lille nach Arenberg. Die höchste Erhebung beträgt gerade mal 73 Meter, aber das große Problem ist der Untergrund. Denn in den Verlauf haben die Veranstalter auch elf Sektoren mit einer Gesamtlänge von 19 Kilometern eingebaut, in denen das Peloton über Kopfsteinpflaster rattert. Das sind also viele Passagen mit einem erhöhten Risikopotenzial: für Stürze, Defekte und sonstige Turbulenzen. Entsprechend hektisch wird es den ganzen Tag zugehen. Und nicht nur die Stellungnahme von Pogacars Sportvorstand offenbart, wie umstritten diese Idee im Peloton ist.

Nun sind Fahrten über die berüchtigten Pavés ein elementarer Bestandteil des Radsports, allfrühjährlich zu bestaunen beim Klassiker Paris-Roubaix, der nicht umsonst die "Hölle des Nordens" heißt. Da muss das Fahrerfeld nicht nur 19 Kilometer Pflaster bewältigen, sondern sogar 55; und da ist der berüchtigte Wald von Arenberg nicht das Ziel, sondern auch noch zu durchqueren. Doch Paris-Roubaix ist nun mal ein Eintagesrennen, da kommen die Fahrer wahlweise verstaubt oder verschlammt, in jedem Fall völlig erledigt an - und haben dann erst einmal eine Rennpause. Und wenn es zwischendurch einen Fahrer erwischt: Blöd gelaufen, aber irgendwie auch Teil dieser Prüfung, die sich rühmt, ein Ausscheidungsrennen zu sein, bei dem halt einer irgendwie durchkommt.

"Gemetzel", "Blutbad", "Drama", solche Begriffe fielen oft - von prominenten Figuren im Peloton

An diesem Mittwoch jedoch ist die Pflasteraufgabe Part einer Drei-Wochen-Rundfahrt, in der es bald darauf mit schweren Etappen weitergeht und bei der ein kleiner Ausrutscher auf den Pavés schnell das komplette Klassement verändern kann. "Ich finde das nicht gut", sagt Bora-Teamchef Ralph Denk, dessen Equipe mit dem Russen Alexander Wlassow einen aussichtsreichen Fahrer für die Gesamtwertung in ihren Reihen hat: "Man kann die Tour hier nicht gewinnen, aber verlieren. Man trainiert neun Monate für die Tour - und dann verliert man alles wegen eines Reifenschadens."

Fast immer, wenn die Tour-Bosse in den vergangenen Auflagen diese Extra-Schwierigkeit ins Programm hievten, hatte das herbe Konsequenzen für Mitfavoriten. Beispiel 2018: Richie Porte muss aufgeben, Egan Bernal kommt 16 Minuten nach den Konkurrenten im Klassement ins Ziel. Beispiel 2014: Chris Froome steigt mit gebrochenem Handgelenk schon vor dem ersten Kopfstein-Stück aus, weil er weiß, dass die Schmerzen sonst unerträglich sein würden; Alberto Contador büßt zwei Minuten ein. Beispiel 2010: Fränk Schleck erleidet einen Schlüsselbeinbruch, ein gewisser Lance Armstrong, der da gerade seine Comeback-Runde dreht, verliert viel Zeit. Und immer wieder gab es parallel immense Kritik aus dem Fahrerlager: "Gemetzel", "Blutbad", "Drama", solche Begriffe fielen, und das nicht von unscheinbaren Hinterherfahrern, sondern von den einflussreichsten Figuren des Pelotons.

Fünfte Etappe der Tour de France: Nur die Heuschrecken fehlen bei diesen biblischen Bedingungen: So sah es vor vier Jahren bei der Tour de France aus. Die Etappe gewann damals übrigens der deutsche Profi John Degenkolb.

Nur die Heuschrecken fehlen bei diesen biblischen Bedingungen: So sah es vor vier Jahren bei der Tour de France aus. Die Etappe gewann damals übrigens der deutsche Profi John Degenkolb.

(Foto: Stephane Mantey/AFP)

Doch das lässt die Aso nicht davor zurückschrecken, die Pavés erstmals nach vier Jahren wieder ins Programm zu hieven. Ganz im Gegenteil, der Kurs in diesem Jahr wirkt noch härter und selektiver als beim vergangenen Mal. "Natürlich wissen wir, dass das für viele Favoriten schwer wird. Aber das gehört zum Leben als Radsportler dazu", sagte der Streckenchef Thierry Gouvenou jetzt dem Deutschlandfunk: "Wer die Tour de France gewinnen möchte, muss auch mit Kopfsteinpflaster zurechtkommen, das nicht einmal zu den schlechtesten Stücken von Paris-Roubaix gehört."

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