Sprinter bei der Tour de France:Das Duell um Grün ist eröffnet

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Zweimal gewonnen, zweimal Zweiter: Biniam Girmay hat beste Chancen, mit dem Grünen Trikot am übernächsten Sonntag über die letzte Ziellinie zu fahren. (Foto: David Pintens/Imago/Belga)

Biniam Girmay könnte als erster Afrikaner die Sprintwertung der Tour de France gewinnen. Mit zwei Etappensiegen und zwei zweiten Plätzen liegt er deutlich vor dem Belgier Jasper Philipsen. Der allerdings meldet sich nun mit einem ersten Konter zurück.

Von Korbinian Eisenberger

Der deutsche Radprofi Pascal Ackermann wird von den hübschen Schiffchen auf dem Canal de Berry wenig mitbekommen haben – und so trug dieser pittoreske Anblick bei Ackermanns Ankunft in Saint-Amand-Montrond wohl kaum zur Erheiterung bei. Der 30-Jährige kam bei seiner Tour-de-France-Premiere erstmals unter den besten drei ins Ziel. Allerdings tat er sich schwer mit der Freude.

Im Massensprint war Ackermann von zwei noch schnelleren bezwungen worden, dem Belgier Jasper Philipsen und Biniam Girmay aus Eritrea. „Der Antritt von Jasper war so stark, da hätte ich nicht mithalten können“, sagte Ackermann später. Er selbst könne sich zwar nichts vorwerfen, etwas angesäuert klang er trotzdem. „Girmay ist mir ins Rad gefahren, ich musste noch bremsen am Ende, damit ich nicht in die Bande fahre.“

Cavendish hält den Etappenrekord, ein Afrikaner trägt erstmals das Grüne Trikot

Der erste deutsche Tour-Erfolg seit Nils Politt vor drei Jahren in Nîmes blieb Ackermann verwehrt. In Kombination mit dem Tagessiebten John Degenkolb und Phil Bauhaus als Achtem sicherten die drei auf Etappe zehn immerhin das bisher beste deutsche Tagesergebnis bei dieser Frankreich-Rundfahrt. Die Protagonisten im Sprint indes: Einer, mit dem zu rechnen war – und einer, der alle Experten überrascht.

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Als Biniam Girmay am dritten Tag dieser Tour, über den Zielstrich in Turin gefahren war, da stellten die nicht wenigen Statistiker ihr Können unter Beweis: Schnell machte die Nachricht weltweit die Runde, dass soeben zum ersten Mal in der Geschichte der Tour de France ein Mann mit schwarzer Hautfarbe ein Rennen gewonnen hatte. An diesem Abend des 1. Juli 2024 hatte Girmay noch sein Trikot von Intermarché-Wanty getragen, in den Teamfarben je zur Hälfte weiß und grün. Und wenn überhaupt, war nur zu erahnen, dass dieser 24 Jahre alte Mann aus Eritrea in Kürze komplett in Grün unterwegs sein würde.

Girmay trägt inzwischen genau jenes Trikot, das sich der Gesamtbeste der Sprintwertung so lange überziehen darf, bis jemand noch besser ist. Und so ereignete sich ein weiterer Tag, der in der Historie dieses Spektakels außerordentlich vermerkt wurde: als der Brite Mark Cavendish die fünfte Etappe gewann und sich mit 39 Jahren den Rekord für Etappensiege alleine sicherte. Wieder hatten die Statistiker ihre Arbeit gemacht und herausbekommen, dass Cavendish nun bei 35 Tagessiegen stand und so den „Kannibalen“ Eddy Merckx überholt hat. Und so ging es im Trubel um „Cavs“ Rekord fast unter, dass der 3. Juli 2024 auch jener Tag sein sollte, an dem erstmals ein Afrikaner ins grüne Tour-Trikot fuhr.

Die Konkurrenz hat Erfahrung – Girmay 74 Punkte Vorsprung

Vor ziemlich genau neun Jahren hatte zuletzt ein Fahrer vom afrikanischen Kontinent ein Wertungsdress bei der großen Schleife getragen: Girmays Landsmann Daniel Teklehaimanot war auf der sechsten Etappe 2015 ins gepunktete Trikot des besten Bergfahrers gerast. Nach den beiden Südafrikanern Daryl Impey, 2013 in Gelb, und Robert Hunter, 2001 in Weiß, war er jetzt der dritte Afrikaner. Nur: Bis zum Schluss verteidigt hat es keiner von ihnen. Und genau das versucht jetzt der Vierte im Bunde.

Im Unterschied zu seinen drei Vorgängern darf man Girmay den ganz großen Triumph zutrauen, am Sonntag in einer Woche in Grün beim Finale in Nizza anzukommen. Der 24-Jährige hat nicht nur den Massensprint von Turin gewonnen, zudem zwei zweite Plätze und inzwischen einen weiteren Tagessieg ersprintet – auf der achten Etappe mit Zielankunft in Colombey-les-Deux-Églises. „Heute gewinne ich mit dem Grünen Trikot auf dem Rücken, es ist großartig, ich bin mehr als glücklich“, erklärte er dazu. „Seit Turin habe ich mein Telefon kaum geöffnet, weil es ständig piept.“ Und dann? Vermerkten die Statistiker einen ersten Dämpfer.

Die bis dato letzte Massenankunft der Sprinter darf als niederländisch-belgische Revolution im Klassenkampf der Trikots verstanden werden: Mathieu Van der Poel zog den Schlusssprint für seinen Kollegen vom Team Alpecin-Deceuninck an – und machte das so gut, dass Jasper Philipsen den Sprint locker von vorn bis ins Ziel zu vollenden wusste. „Wir haben für ein solches Finale einfach ein starkes Team. Mathieu ist supergut im Bikehandling, das weiß jeder“, erklärte Philipsen. „Deswegen ist ein technisches Finale immer ein Vorteil für ihn und damit für uns als Team.“

Philipsen hat den Rückstand also auf Girmay mit seinem Sieg etwas verkürzt, von 98 auf nunmehr 74 Punkte – was dennoch ein Brett sein dürfte. Von den verbleibenden Etappen sind lediglich zwei als klassische Massenankünfte für Sprinter zu sehen, Abschnitt 13 (am Freitag) und 16, eventuell noch die allerdings recht unruhige weil hügelige 18. Etappe. „Ich bete nur darum, die Tour ohne Probleme zu beenden“, sagt Biniam Girmay. Vielleicht, weil er auch kein so schlechter Statistiker ist.

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Von Korbinian Eisenberger

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