Süddeutsche Zeitung

Tour de France:Hotspot in der Höhe

Der Pyrenäen-Staat Andorra zieht zunehmend Radprofis an: mit seinen hervorragenden Trainingsbedingungen, niedrigen Steuersätzen - und einer überschaubaren Zahl an Dopingkontrollen.

Von Johannes Aumüller, Andorra la Vella

In Andorra la Vella scheinen die Logistiker der Tour die Ruhe wegzuhaben. Wenn irgendeine französische Stadt der Zielort einer großen Schleife ist, sind dort die letzten Kilometer in der Regel schon früh am Morgen weitgehend abgeriegelt. Lediglich die Autos mit einem Sticker, der sie als Teil des Rundfahrt-Trosses ausweist, dürfen dann noch durch. In der Hauptstadt des kleinen Fürstentums aber sieht die Sache anders aus: Noch am frühen Sonntagmittag stauen sich dort die Blechlawinen auf der Avinguda del Consell d'Europa, auf der nur ein paar Stunden später das Tour-Feld seine finalen zwei Kilometer bestreiten wird.

Die Frankreich-Rundfahrt ist mal wieder zu Gast in Andorra, inklusive Ruhetag diesmal sogar drei Tage lang, bis sie sich am Dienstag in Richtung Saint-Gaudens verabschiedet. Schon länger gehört das Land zum Kosmos der Tour, nicht zuletzt für das Empfinden in Deutschland, seitdem dort Jan Ullrich 1997 zum ersten Mal ins Gelbe Trikot fuhr und den Grundstein für seinen einzigen Tour-Sieg legte. In den vergangenen Jahren ist die Verbindung zwischen dem Pyrenäen-Staat und dem Peloton dann noch einmal enger geworden: Denn Andorra ist inzwischen ein ziemlicher Hotspot für die besten Pedaleure.

Außerhalb der Rennphasen sind Radsportler oft quer über den Kontinent verteilt

Zirka 60 Radsportler haben sich in dem kleinen Fürstentum - 468 Quadratkilometer, zirka 77 000 Einwohner insgesamt - zumindest zeitweise niedergelassen. Große Namen sind darunter: der Franzose Julian Alaphilippe und der Kolumbianer Egan Bernal, der 2019 die Tour gewann, aber in diesem Jahr bei der großen Schleife fehlt. Dazu kommen viele Spanier, US-Amerikaner und Australier, prominente Deutsche hingegen nicht. Eine "schöne Radsport-Gemeinschaft", sei das da oben, sagt Petr Vakoc aus der Alpecin-Fenix-Mannschaft, der aus Tschechien nach Andorra umzog, bei einem Gespräch während der Tour.

Radsport ist zwar ein Mannschaftssport, doch anders als im Fußball kommen die Sportler nicht jeden Tag zum Training zusammen, auch wenn es durchaus Teamchefs gibt, die sich das wünschen würden. Stattdessen wohnen die Fahrer in den Rennpausen quer über den Kontinent verteilt, und es kommt immer mal wieder vor, dass sich gewisse Zentren bilden. Girona im Nordosten Spaniens gehört klassischerweise dazu, Monaco ebenfalls - und seit ein paar Jahren nun also verstärkt das kleine Andorra.

Wenn man den Vertretern des Pelotons glauben darf, liegt der Drang in die Höhe der Pyrenäen selbstredend an den guten Trainingsbedingungen, die dort herrschen - zumindest in den meisten Monaten des Jahres. Wer das Land durchfährt, kann wirklich leicht zu dem Schluss kommen, dass für Radprofis hier paradiesische Zustände herrschen. Abseits der kleinen geschäftsmäßigen Hauptstadt mit ihrem Business-Zentrum scheint das ganze Land nur aus Anstiegen zu bestehen. Fast zwei Dutzend schwere Pässe gibt es insgesamt, bis hinauf auf den Port d'Envalira mit seinen 2408 Metern, den die Tour am Sonntag querte. Und die von Ausdauersportlern geschätzte Höhenlage tut ihr Übriges.

Es lockt ein Spitzensteuersatz von nur zehn Prozent

Zugleich herrschen vergleichbar schöne und gute Trainingsbedingungen an vielen Orten in den Pyrenäen und den Alpen. Deswegen macht der Tscheche Vakoc auch keinen Hehl daraus, dass die Popularität Andorras auch "an der Steuersituation" liege. Früher gab es in dem Fürstentum gar keine Einkommensteuer, seit einigen Jahren liegt der Spitzensteuersatz bei zehn Prozent. Wer sich als Sportler oder als Künstler in Andorra niederlassen möchte, muss lediglich gewährleisten, dass er 90 Tage im Jahr im Land verbringt und eine Kaution in Höhe von 50 000 Euro hinterlegt. Aber nicht alle Radsportler mit regelmäßigem Andorra-Aufenthalt gehen so weit, dass sie dort tatsächlich wohnen; viele halten sich auch nur sehr oft im Jahr dort auf.

Längst werben die Verantwortlichen des Landes damit, dass sich bei ihnen nicht nur zollfrei einkaufen lässt, sondern dass sich hier auch so viele prominente Radsportler tummeln. Das soll die Hobbyfahrer anziehen und Andorra noch mehr als Sammelpunkt der Radsport-Szene etablieren.

Nicht so offensiv werben sie hingegen mit einem anderen Aspekt. Denn für manchen Pedaleur ist es auch von Belang, wie sehr er an seinem jeweiligen Wohnort Dopingkontrollen zu fürchten hat. Girona zum Beispiel, wo sich einst auch der Superdoper Lance Armstrong ein Apartment zulegte, genoss seine Popularität unter ausländischen Profis nicht nur wegen seiner guten Trainingsbedingungen und wegen des schönen Wetters, sondern weil 2011 einmal ein "königliches Dekret" galt, nachdem zwischen 23 Uhr abends und acht Uhr morgens Dopingtests auf spanischem Boden verboten seien. Und auch Andorra ist nicht gerade als Dauerkontrollstätte berüchtigt.

Auf einen Radprofi kommen jährlich etwa acht Tests - in Andorra sind es deutlich weniger

Für Sportler, die in dem Fürstentum leben, ist nicht etwa die andorranische Anti-Doping-Agentur zuständig, die es zuletzt auf gerade mal 44 sogenannte Out-of-competitions-Kontrollen brachte, also Kontrollen außerhalb der Wettkämpfe und zu Trainingszeiten. Stattdessen obliegt das Kontrollmanagement den jeweiligen Anti-Doping-Instanzen aus den Heimatländern der Athleten - sowie dem Radsport-Weltverband UCI, der seine Anti-Doping-Arbeit an die International Testing Authority übergeben hat. Die kommt aber auch nicht auf viel mehr Kontrollen als die wackere andorranische Behörde. Seit einigen Jahren würden in Andorra konstant "mehr als 100" Tests durchgeführt, teilt sie mit. Zum Vergleich: Insgesamt führt sie bei den knapp 1000 Radprofis jährlich knapp 8000 Trainingskontrollen durch.

Was das genau bedeutet für jeden Einzelnen der rund 60 in Andorra lebenden Radprofis, lässt sich schwer ausrechnen. Radsportler halten sich ja nicht immer an ihrem Wohnort auf, sondern auch mal im Trainingslager. Andererseits sind bei diesen "mehr als 100" auch Radsportler dabei, die gar nicht in Andorra wohnen, sondern sich ihrerseits dort nur mal zum beliebten Höhentrainingslager aufhalten. Die ITA sagt, dass 63 Prozent der Athleten, die sich mindestens eine Nacht in Andorra aufgehalten hätten, getestet worden seien.

Klar ist nur: Es ist eine ziemlich überschaubare Zahl an Kontrollen angesichts der großen Zahl an Radsportlern, die dort so viele Monate des Jahres verbringen. Wer das Land durchfährt, vom Grenzort Pas de la Casa im Osten bis zur Hauptstadt Andorra la Vella 30 Kilometer westlich, der kann jedenfalls leicht erkennen, wie gut hier die Trainingsbedingungen sind.

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