Doping bei der Tour de France:Ein Mittel für Bolzer und Kraxler

Doping bei der Tour de France: Bei der Etappe am Donnerstag ging es hoch hinaus in die Pyrenäen.

Bei der Etappe am Donnerstag ging es hoch hinaus in die Pyrenäen.

(Foto: AFP)
  • Offiziell gilt die Tour de France seit 2015 als dopinggesäubert.
  • Doch Experten und Berichten zufolge könnte in der aktuellen Ausgabe der Rundfahrt ein Wundermittel in Gebrauch sein: Aicar.
  • Aicar verstärkt, grob gesagt, die Ausdauer und die Fettverbrennung, ohne dass die Muskeln an Kraft und Effizienz verlieren.

Von Johannes Knuth, Bagnères-de-Bigorre

Es ist immer wieder faszinierend, dieses Schauspiel, das sich unmittelbar nach jeder Etappe bei der Tour de France abspielt: Radprofis, die gerade mit siebzig Sachen über den Zielstrich gerauscht sind, sausen die Straße weiter entlang zu ihren Teambussen. Wobei: Straße wäre zu viel gesagt. Es ist meist ein winziger Korridor, den ihnen die Gendarmen freihalten, während Reporter, Kameraleute und Fans um sie herumwuseln. Meist bricht der Korridor nach ein paar Metern zusammen, die ausgemergelten Fahrer sind dann mitten im Gewusel. Aber die Routiniers lassen das stoisch über sich ergehen, Alejandro Valverde etwa navigierte am Mittwoch in Toulouse flott zu seinem Teambus, den er ebenso flink bestieg. Zurück ließ er rund zwei Dutzend Fans und Reporter, und den Teamarzt seiner Movistar-Equipe, im blütenweißen Hemd.

Valverde scheint die Aufregung in diesen Tagen ganz gerne hinter sich zu lassen. Fans, Reporter und Beobachter hatten zuletzt ja immer mal wieder über ihn getuschelt; sie waren erstaunt, wie dünn er zu dieser Tour angereist war. Klar, Valverde, einst Kunde des Blutdopers Eufemiano Fuentes, war schon immer gut über die Berge gekommen, er hatte aber immer auch kräftigere Beine, für den Punch im Zielsprint - so hatte er sich im vergangenen Jahr auf dem schweren Kurs in Innsbruck den Weltmeistertitel gesichert, mit 38 Jahren. Nun sind derartige Schlankheitskuren nicht unüblich, zumal die Profis bei dieser 106. Tour de France viele Meter in der dünnen Höhenluft kraxeln müssen, am Donnerstag ging es erstmals in die Pyrenäen. Allerdings klingt das alles auch schon wieder weniger vertrauenswürdig, wenn man Berichte hinzuzieht wie jenen, den die niederländische Tageszeitung De Telegraaf jetzt veröffentlichte. Die Überschrift: "Dopingalarm im Tour-Peloton."

Aicar tauchte 2008 erstmals im Schwimmen auf

Das Blatt vermeldete darin das vermeintliche Comeback eines alten Bekannten: Aicar. Der verstärkt, grob gesagt, die Ausdauer und die Fettverbrennung, ohne dass die Muskeln an Kraft und Effizienz verlieren - ein perfektes Tuning für Radfahrer, die leicht über die Berge kommen müssen, aber auch Muskelkraft brauchen. Der Telegraaf berief sich nun auf "mehrere prominente Radprofis", die berichtet hätten, dass Aicar im Peloton weiter konsumiert werde, der Stoff sei im Internet für jedermann zu haben, fünf Milligram für 70 Euro. Die Welt-Anti-Doping-Agentur sei Ende Juni auch gewarnt worden, die Tests zu verstärken. Ein Team bei der Tour mische Aicar sogar in die Drinks seiner Fahrer, in Pulverform - ohne dass die Profis das wüssten. Bitte?

Aicar tauchte 2008 erstmals im Schwimmen auf, 2009 fanden französische Polizisten leere Packungen im Teamhotel des Astana-Radteams. Tierversuche haben gezeigt, dass der Stoff die Ausdauerleistung bis zu 50 Prozent steigern kann; wie und ob er auf den Menschen wirkt, ist aber noch weitgehend unerforscht. Die Wada vermerkte Aicar 2011 auf ihrer Verbotsliste, seit 2014 gibt es einen Urintest, das Kölner Anti-Doping-Labor hatte ihn maßgeblich entwickelt und immer wieder verfeinert. Heute setzt ihn auch das französische Labor ein, das die meisten Proben der Tour testet. Mario Thevis, Dopingforscher im Kölner Labor, hält es zumindest nicht für unwahrscheinlich, dass der Ausdauerbooster weiter im Einsatz ist, die Jagd danach "zählt zu unserem Tagesgeschäft", sagt er.

Warum Aicar so schwer nachzuweisen ist

Es gibt da nur eine nicht unerhebliche Klippe: Der Wirkstoff wird auch vom Körper selbst produziert, wie Testosteron. Anti-Doping-Forscher müssen also nachweisen, dass Aicar von außen zugeführt wurde. Das ist aufwendig, auch, weil die Substanz, ob körpereigen oder nicht, schnell verstoffwechselt wird. "Es gab in der Vergangenheit meines Wissens einige wenige Fälle, bei denen auffällige Aicar-Konzentrationen ermittelt wurden", sagt Thevis, der Verdacht habe sich aber nie erhärtet, soweit er wisse. Was nicht heißt, dass es nicht genutzt wird - das Risiko, ertappt zu werden, scheint ja weiter überschaubar zu sein. Wobei Thevis glaubt, dass die spontane Gabe im Rennen, etwa in der Trinkflasche, kaum sinnvoll wäre: Aicar solle "vor allem die Anzahl der Kraftwerke in den Muskelzellen erhöhen", sagt er, dafür brauche es Vorlauf, im Trainingslager etwa.

Experten wie der Nürnberger Pharmakologe Fritz Sörgel finden gar: "Die Nachweismethoden für die klassischen Stoffe sind mittlerweile wohl doch so gut, dass die Athleten auf andere Mittel umsteigen müssen", wie Aicar. Wobei der Markt da wiederum üppig ist. Und noch etwas sei auffällig, sagt Sörgel: Viele Athleten würden ihre Leistung zunehmend mit einer Melange an erlaubten Methoden ans Maximum treiben, "da wird alles genommen, was die Küche hergibt und die Chance hat, den Stoffwechsel Richtung Leistungssteigerung zu dirigieren." Mineralien, Vitamine, Ketonpräparate, die die Fettverbrennung ankurbeln sollen und die Regeneration fördern.

"Wir bräuchten endlich totale Transparenz, bei allen Medikamenten"

Jumbo-Visma, die Equipe des Deutschen Tony Martin, gab jetzt zu, dass sie auf das Nahrungsergänzungsmittel zurückgreife, es sei ja nicht verboten. Auch die deutsche Bora-Equipe habe damit experimentiert, wie Teamchef Denk der Deutschen-Presse-Agentur bestätigte. Ob sein Team die Präparate weiter nutze, ließ er offen. Die Ärzte der französischen Mannschaften AG2R, FDJ und Arkea Samsic entgegneten derweil in der L'Équipe, sie würden das nicht empfehlen - man wisse noch nicht, was das langfristig mit dem Körper anstelle. David Lappartient, Präsident des Weltverbands UCI, sagte am Donnerstag, man müsse den Gebrauch der Teams beobachten und dann eventuell handeln - ähnlich wie bei dem Schmerzmittel Tramadol, das die UCI mittlerweile verbietet, im Gegensatz zur Wada.

Die Tour ist seit 2015 offiziell sauber (als Luca Paolini mit Kokain erwischt wurde), und tatsächlich ist die UCI im Anti-Doping-Ressort aktiver als viele andere Verbände. Am Donnerstag bestätigte der Verband, dass man Juan José Cobo dessen Sieg bei der Spanien-Rundfahrt von 2011 abgenommen habe, wegen Auffälligkeiten im Blutpass. Details nannte sie nicht. Neuer Sieger ist der zuletzt schwer gestürzte, viermalige Tour-Sieger Christopher Froome; sein Ineos-Team war zuletzt aber immer wieder selbst ins Zwielicht geraten. Und jetzt?

"Was nehmen Sportler ein? Da bräuchten wir endlich totale Transparenz, bei allen Medikamenten", findet Sörgel: "Juristen haben da sicher Einwände, aber das sollte zum Geschäft dazugehören."

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