Tour de France 2009:Deutschland kämpft

Zwar startet Etappensieger Haussler bald nicht mehr für seine zweite Heimat, doch die Talente aus Deutschland rücken nach.

Andreas Burkert

Der Lärm war beträchtlich, als Heinrich Haussler am Samstagmittag im Stadtzentrum von Colmar zur Startlinie rollte, so viele Bravo-Rufe gab es für ihn noch nie. Zahlreiche Deutsche waren einerseits über die Grenze gekommen, um beim Abstecher der Tour im nahen Elsass dabei zu sein. Und zum anderen ist Haussler, der inzwischen gleich nebenan, in Freiburg, lebt und trainiert, spätestens seit seiner imponierenden Siegfahrt auf der freitäglichen Regenetappe durch die Vogesen ein Name im Peloton.

Tour de France 2009: Heinrich Haussler muss wie alle deutschen Talente mit dem Generalverdacht leben, der seit der aufgedeckten Doping-Ära des Telekom-Teams in Deutschland gegenüber dem Radsport herrscht.

Heinrich Haussler muss wie alle deutschen Talente mit dem Generalverdacht leben, der seit der aufgedeckten Doping-Ära des Telekom-Teams in Deutschland gegenüber dem Radsport herrscht.

(Foto: Foto: Getty)

Am Samstagnachmittag hätte Gerald Ciolek das deutsche Wochenende bei der Tour de France fast komplettiert, der Milram-Sprinter aus Köln gehörte zu einer zwölfköpfigen Ausreißergruppe. Vor Besancon hat sich dann jedoch der Russe Sergej Iwanow abgesetzt, Ciolek trudelte enttäuscht und matt als Zehnter herein. Aber die Deutschen sind dabei bei dieser Tour, das ist unübersehbar. Nicht nur wegen des hellweißen Trikots von Tony Martin, dem bislang besten Nachwuchsfahrer von der US-Equipe Columbia.

Die Männer aus l'Allemagne tun sich allerdings schwer, mit ihren stetigen Lichtblicken die trübe Ära des Telekom-Rennstalls zu überstrahlen, für den übrigens viele Jahre auch der jetzige Katjuscha-Pilot Iwanow, 34, fuhr. "Deutschland, wie es lechzt und leidet" schrieb die Neue Zürcher Zeitung am Samstag in dem Versuch einer Bestandsaufnahme über Sippenhaft und Generalverdacht. Die Fahrer sind schuld, aber auch die Medien, die Deutschen seien "halt gründlich, nun sind sie gründlich gekränkt", sagt Hans-Michael Holczer. Dessen Lebenswerk, das Gerolsteiner-Team, fiel allerdings im vergangenen Jahr ebenso gründlich in sich zusammen als vermeintliche Bastion einer heileren Welt.

"Er fährt gut, also ist er gedopt"

Gerade am Etappensieger Haussler, 25, lässt sich nun ganz gut erkennen, wie schwer es seine Generation hat, mit ihren erstaunlich zuverlässig ausgesendeten Lichtblicken jene dunkle Ära zu überstrahlen, welche das Team Telekom und Freiburger Unimediziner begründet haben. Haussler fuhr selbst vier Jahre bei Gerolsteiner, doch weil der Deutsch-Australier erst jetzt bei der neuen Schweizer Cervélo-Mannschaft seinen Durchbruch schaffte, erzählt Teammanager Thomas Campana, "bekam er halt zu hören: ,Jetzt fährt er gut, also ist er gedopt'."

Vor allem deshalb wendet sich der in Australien aufgewachsene und ab dem 15. Lebensjahr in Cottbus ausgebildete Sprinter und Klassikerspezialist nun wieder vom Land seines Vaters ab. "Er ist ein emotionaler Mensch, das Gerede hat ihm wehgetan", sagt Campana über Haussler. "Und ich kann ihn verstehen, denn die Kritik ist zum Teil destruktiv."

Ab 2010 startet Haussler also definitiv wieder für Australien, in dem Jahr findet die WM in Melbourne statt. Haussler sagt diplomatisch, er fühle sich "eben mehr als Australier". Der deutsche Verbandspräsident Scharping hat zwar offenbar nach Hausslers Sieg von Gesprächen und einer Nominierung des 25-Jährigen für die WM 2009 in der Schweiz in Aussicht geredet. Hausslers Mentor Campana sagt jedoch am Sonntag: "Die Sache ist doch längst entschieden, der Antrag bei der UCI wird gerade gestellt. Und Heinrich hat die WM in diesem Jahr überhaupt nicht in seinem Plan."

Mehr Patriotismus erwünscht

Campana, 45, ist selbst Deutscher, der frühere Bahnfahrer lebte lange zwischen Opladen und Burscheid im Bergischen Land, vor einigen Jahren siedelte er in die Schweiz über. Etwas mehr Patriotismus würde er sich schon wünschen, deutschen Patriotismus, meint er, "denn wir haben so viele junge und unglaubliche gute Rennfahrer, nur wird das in der Öffentlichkeit zu wenig gesehen". Es werde verkannt, dass es zu wenige deutsche Talente gebe, sagt auch Rolf Aldag, der frühere Telekom-Helfer, der Martins Aufstieg bei Columbia begleitet.

Dort pflegt man eine "Partnerschaft" mit dem Thüringer Energie-Team, aus dem Martin stammt. Von dort werden nächstes Jahr zwei weitere Talente in Aldags ProTour-Team aufgenommen: John Degenkolb, 20, aus Gera, bei den Junioren 2007 WM -Zweiter im Einzelzeitfahren, sowie der Erfurter Marcel Kittel, 21, zweimaliger Junioren-Weltmeister bei den Junioren. Aldag sagt: "Sie kommen zu uns, wir haben schon mit beiden gesprochen."

Radsport-Deutschland kämpft weiter, im Regen wie Haussler oder auch frustriert wie der ehrgeizige Sprinter Ciolek, 22. "Wat kuckste so, deine Zeit kommt noch!", hat ihm der rheinische Landsmann Artur Tabat am Wochenende zugerufen beim Besuch im Milram-Hotel. Sein Rennen "Rund um Köln" werde nun doch 2010 wieder stattfinden, zwei Sponsoren und auch das WDR-Fernsehen hätten für den Fall zugesagt, "dass die Tour ordentlich verläuft", hat Veranstalter Tabat noch erzählt. Ordentlich fahren die Deutschen in Frankreich mit. Aber das ist wohl nicht gemeint.

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