Neue Arena von Tottenham Hotspur:Ein Stadion, das die besten Ideen vereint

Tottenham Hotspur v Crystal Palace - Premier League

Die Premiere der Profis im neuen Stadion glückte: Gegen Crystal Palace gab es ein 2:0.

(Foto: Getty Images)
  • Tottenham Hotspur hat das modernste Stadion in England eröffnet.
  • Die neue Arena hat den Verein rund eine Milliarde Euro gekostet.
  • Dem liegt eine simple Kalkulation zu Grunde: Mehr Fans im Stadion, die dort mehr Zeit verbringen, bringen auch mehr Geld.

Von Sven Haist, London

Am liebsten hätte Harry Kane nach dem Einlaufen ins Stadion überall zugleich hingeschaut. Aber das schafft selbst der Stürmer von Tottenham Hotspur nicht, obwohl er vor dem Tor aufgrund seiner Auffassungsgabe mehr als zwei Augen zu besitzen scheint. Auch Kane wollte nichts verpassen, er bestaunte die Eröffnungszeremonie, indem er den Kopf neugierig hin und her bewegte. Schnell konzentrierte sich die Aufmerksamkeit zu den Klängen der Vereinshymne aufs Feuerwerk: "When the Spurs go marching in ..." - so lautet der Refrain. Nach 689 Tagen sind die Spurs tatsächlich wieder einmarschiert in ihr altes, neues Zuhause.

Rund eine Milliarde Euro ist das Tottenham Hotspur Stadium teuer, das fürs Erste nach dem Klub benannt bleiben wird. Das Lichtspiel überm Dach rückte den auf der Südseite angebrachten goldenen Gockel in den Mittelpunkt. Dort thront das Klubemblem ähnlich einer olympischen Flamme über dem Spielfeld. Der Hahn ist fast schon alles, was übrig blieb von der zuvor an selber Stelle postierten Arena an der White Hart Lane, die am 14. Mai 2017 nach 118 Jahren endgültig eingestampft worden war. Wobei der Hahn eine Kopie ist - der neue ist mit viereinhalb Metern fast doppelt so hoch wie sein Vorgänger.

"Ein Tag, der im Herzen bleibt"

Unter dem Tagesmotto "Welcome Home" nahmen die Spurs-Fans am Mittwochabend ungewöhnlich früh vor Anpfiff des Ligaspiels gegen Crystal Palace ihre Sitze ein. Der Auszug aus der ungeliebten Wembley Arena, dem für anderthalb Jahre als Übergangslösung angemieteten Nationalstadion in London, konnte keinem schnell genug gehen. Zumal sich der avisierte Umzugstermin auch aus Sicherheitsgründen um ein halbes Jahr verzögert hatte. Angesichts des straffen Zeitplans und der Komplexität des Vorhabens ist die Fertigstellung in diesem Frühjahr dennoch erstaunlich, hatte sich Tottenham doch sehr viel vorgenommen. So soll die Multifunktionsarena die jeweils besten Ideen aus all den anderen Stadien der Welt vereinen. Im Untergrund ist deshalb auch ein Kunstrasen verbaut, der für Gastspiele von American-Football-Teams aktiviert wird.

Im Saisonendspurt der Premier League bekommt die neue Heimat sofort eine sportliche Funktion. Sie soll die Spurs beschleunigen - es geht um den Startplatz für die kommende Spielzeit in der Champions League. Nach sechs Partien ohne Sieg haben sie durch das 2:0 im Nachholspiel über Palace erstmals seit dem 10. Februar wieder gewonnen. Die Spurs streiten als Tabellendritter mit den nahezu gleichauf liegenden FC Arsenal, FC Chelsea und Manchester United, aber klar hinter Liverpool und Manchester City, um die Ränge drei und vier.

Der Trainer, der Argentinier Mauricio Pochettino, 47, war mit der Premiere jedenfalls zufrieden: "Das war einer der besten Momente meines Lebens. Ein Tag, der im Herzen bleibt." Als hätten seine Profis ihre Tore unbedingt vor der neuen Tribünen-Steilwand für die Heimfans erzielen wollen, trafen der Koreaner Heung-min Son (55.) und der Däne Christian Eriksen (80.) erst in der zweiten Halbzeit. Nur eines passte noch nicht: Harry Kane, der Local Hero, blieb ohne Treffer.

Ein finanzieller Kraftakt für Tottenham

Die Steilwand haben sie sich in Dortmund abgeschaut, mit 17 500 Zuschauern ist es jetzt die größte einstufige Tribüne in England. Sie verfügt im Innern über eine 65 Meter lange Theke. Selbst eine Stunde nach Spielende hatten viele Fans an den Getränke- und Essensständen noch nicht genug vom Auftakterlebnis. Wohl auch, weil sie ohnehin nicht nach Hause gekommen wären. Trotz der Kapazitätserweiterung von 36 280 auf 62 062 Zuschauer hat sich die Infrastruktur um das in einem Wohngebiet liegende Stadion kaum weiter entwickelt. An den nächstgelegenen Bahnhaltestellen bildeten sich bereits weit vor den Stationen lange Schlangen. Eine Schande, dass die Anreise so beschwerlich war, beklagte sich die Londoner Times.

Tottenham Hotspur v Crystal Palace - Premier League

Zur Feier ein Feuerwerk: Nach 689 Tagen sind die Spurs ins alte neue Zuhause eingezogen.

(Foto: Mike Hewitt/Getty Images)

Die zweitgrößte Arena der Premier League - nach Old Trafford von Manchester United - bildet das Kernstück des Northumberland Development Project, durch das der marode Bezirk Haringey aufgewertet werden soll. Zu dem riesigen Gelände gehören neben Wohnblocks ein Sportzentrum, ein Hotel sowie die Geschäftsstelle der Spurs samt dem größten Fanartikelshop Europas. Der Verein stellt dem Bezirk in Aussicht, die neue Arena werde der lokalen Wirtschaft mindestens 1700 Arbeitsplätze und circa 300 Millionen Euro jährlich einbringen.

Dem finanziellen Kraftakt des Klubs, der mehrheitlich dem britischen Geschäftsmann Joe Lewis, 82, gehört, liegt eine simple Kalkulation zu Grunde: Mehr Fans im Stadion, die dort mehr Zeit verbringen, bringen auch mehr Geld. Die Erlöse sollen die Spurs unter den zehn führenden Klubs der Welt etablieren. Bislang hat das Stadion mit dem goldenen Gockel aber nur viel Geld gekostet - und das wird wohl wegen der vornehmlich kreditgestützten Finanzierung erst einmal so bleiben.

Dabei lässt Trainer Pochettino keine Gelegenheit aus zu betonen, dass seine Elf Verstärkung benötige, um dauerhaft um die Meisterschaft mitspielen zu können. Vor dieser Saison verzichteten die Spurs auf teure Verpflichtungen. Ob das Tottenham Hotspur Stadium wirklich schon zur Stimulanz taugt, muss sich am Dienstag weisen: Zum Stimmungstest kommt Manchester City. Die Engländer duellieren sich im Viertelfinale der Champions League.

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