Bayern-Gegner in der Champions League:Bei Tottenham sitzt der Frust tief

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Nicht frisch genug im Finale der Champions League: Mauricio Pochettino (re.) mit Harry Kane und Heung-Min Son bei der 0:2-Niederlage gegen Liverpool. (Foto: Matthias Hangst/Getty Images)
  • Seit dem verlorenen Champions-League-Finale sucht Tottenham Hotspur Stabilität.
  • Ein Sieg der Spurs gegen die Bayern soll Mut machen.
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Von Sven Haist, London

Alles musste raus, auch auf sich selbst nahm Mauricio Pochettino keine Rücksicht. Nach der Blamage gegen den Viertligisten Colchester im Ligapokal redete sich der Trainer von Tottenham Hotspur zuletzt knapp 50 Minuten lang den Frust von der Seele - mit einer außergewöhnlichen Ansprache, die zu einer seiner umfangreichsten Presserunden bei Tottenham gehörte. Angesprochen auf seine ins Gesicht geschriebene Unzufriedenheit, erzählte der sensible, öffentlich stets reservierte Argentinier von seinen beiden bisher größten Enttäuschungen im Fußball.

Bei der WM 2002 hatte Pochettino, 47, als argentinischer Verteidiger durch einen an Michael Owen verursachten Elfmeter das 0:1 gegen England eingeleitet, das verantwortlich war für das Vorrunden-Aus seines Teams. Jahre später gab Owen zu, gar nicht berührt worden zu sein und eine Schwalbe hingelegt zu haben. Über die Szene hatte Pochettino mit englischen Reportern stets gefeixt. Wie nahe ihm der Strafstoß wirklich ging, war erst klar, als Pochettino nun erzählte, sich damals zehn Tage zu Hause eingeschlossen zu haben.

Champions League
:"Ein schwerer Prüfstein für uns"

Vor dem Champions-League-Spiel in London ahnt der FC Bayern, dass die jüngsten Liga-Leistungen für Tottenham nicht reichen werden. Trainer Kovac muss wahrscheinlich auf Lucas Hernandez verzichten.

An der Langzeitwirkung dieses Erlebnisses, das 17 Jahre her ist, lässt sich bemessen, welche Folgen die zweite riesige Enttäuschung für Pochettino hatte - erlitten als Tottenham-Trainer jüngst im Juni beim 0:2 im Finale der Champions League gegen Liverpool: "Das war noch schlimmer. Der Sieg wäre mehr als ein Traum gewesen, und ich habe mich deshalb so deprimiert gefühlt", sagte Pochettino. Am nächsten Tag habe er sich niedergeschlagen in einen Zug nach Barcelona gesetzt: "Man kann nicht glücklich sein. Für mich geht es im Fußball um Ruhm. Nichts ist wichtiger als das. Natürlich leide ich deswegen", gab er jetzt offen zu. Auf Nachfragen hatte Pochettino zuvor stets die Bedeutung von Titeln für sich selbst heruntergespielt.

Pochettino appelliert an die Mannschaft

Mit dem Eingeständnis, das bisher wichtigste Spiel seiner Karriere nicht einfach abschütteln zu können, versuchte Pochettino in der Vorwoche irgendwie trotzdem, dieses unliebsame Endspiel-0:2 endlich hinter sich zu lassen. Sein verbaler Befreiungsschlag war verbunden mit dem Appell an seine Mannschaft, die aktuelle Arbeit auf dem Platz wieder in den Vordergrund zu stellen. Das gelang prompt: In Unterzahl erkämpfte sich Tottenham am Samstag in der Premier League ein 2:1 über Southampton, es war erst der dritte Sieg im neunten Pflichtspiel der Saison.

Nach dem mageren 2:2 gegen Olympiakos Piräus zum Auftakt der Champions League bietet nun das Spitzenspiel gegen den FC Bayern am Dienstagabend im nagelneuen "Tottenham Hotspur Stadium" die Chance, neuen sportlichen Lebensmut zu fassen. Denn Tottenham fühlte sich zuletzt wirklich nicht wohl in der eigenen Haut.

Dabei geriet fast in Vergessenheit, dass Pochettino sich mit dem Team vier Mal in Serie für die Champions League qualifiziert hat. Der Trübsinn nahm die Spurs in Beschlag, zu viele Chancen auf einen Titel waren schon jäh vergeben worden in den zurückliegenden Jahren. Seit dem Gewinn des Ligapokals 2008 hat Tottenham keine Trophäe gewonnen. Pochettino durfte als Trainer noch nie einen Pokal hochhalten, auch nicht in seiner Anfangszeit bei Espanyol Barcelona oder in Southampton.

Die Ungeduld, einen Titel zu erringen, klang bei ihm bereits in der Vorsaison durch, als er oft Spekulationen nährte über einen möglichen Abschied nach fünf Jahren. Das bewusste Kokettieren mit besseren Alternativen - obwohl er erst 2018 einen neuen Fünfjahresvertrag bei Tottenham unterschrieben hatte - legitimierte auch einige Spieler, sich Gedanken machen zu dürfen um die eigene Zukunft. Sechs Spurs-Profis drängten in der zurückliegenden Transferphase auf einen Wechsel, darunter der ab 2020 ablösefreie Spielmacher Christian Eriksen sowie das Innenverteidigerduo Toby Alderweireld und Jan Vertonghen. Am vehementesten trieb der Däne Eriksen seinen Abschied zu Real Madrid voran: "Ich wünschte, ich könnte wie beim Fußballmanager-Spiel entscheiden, aber leider geht das nicht", sagte er.

Harry Kane kämpft für sein Lebensziel

Die Wechselambitionen brachten zum Ausdruck, dass ein Teil der Mannschaft offenbar wenig überzeugt ist, mit den Spurs doch noch nach ganz oben zu gelangen. Aktuell liegen die Londoner in der Liga als Fünfter schon zehn Punkte hinter Tabellenführer Liverpool, der bisher letzte Auswärtssieg gelang im Januar. Dem entgegen steht das Lebensziel des Topstürmers Harry Kane, unbedingt mit seinem Lieblingsklub einen großen Coup zu landen. Kürzlich rief Kane seine Mitspieler auf, das eigene Wohl hinters Team zurückzustellen.

Wie in den Vorjahren muss Tottenhams Team seine Inspiration aus sich selbst ziehen - durch den Versuch, weiterhin am absoluten Leistungslimit zu spielen, ohne sich auf die Nerven zu gehen. Zwar investierte der Klub zuletzt 115 Millionen Euro in neue Spieler, 60 davon für Rekordzugang Tanguy Ndombélé aus Lyon. Aber im Vergleich zu Liverpool oder zum enteilten Meister Manchester City reicht das wohl nicht aus. Obwohl sich Tottenham weltweit unter den zehn Vereinen mit den meisten Einnahmen befindet, belastet das rund eine Milliarde Pfund teure "Northumberland Development Project", das sich ums neue Stadion dreht, die Klubkasse.

Immerhin konnte der Vorsitzende Daniel Levy soeben vermelden, einen Großteil der bis 2022 geliehenen Kredite umgewandelt zu haben. Aber Levy sagte der Financial Times auch: "Das richtige Vorgehen ist es, von unten aufzubauen. Es gibt keine schnelle Lösung, um ein wesentlich bedeutungsvollerer globaler Klub zu werden." Bis das geschafft ist, könnte es für Pochettino zu spät sein.

© SZ vom 01.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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