Süddeutsche Zeitung

Champions League:Ajax nähert sich dem Finale

  • Ajax Amsterdam gewinnt im Halbfinal-Hinspiel der Champions League 1:0 bei Tottenham Hotspur.
  • Donny van de Beek gelingt der einzige Treffer.

Von Benedikt Warmbrunn

Die Mannschaft, die sonst nur nach vorne spielen will, die passen und passen und passen will, immer in Höchstgeschwindigkeit, hatte auf einmal ganz viel Zeit. Gemütlich spielten sie sich den Ball hin und her, aber nicht nach vorne, sondern zur Seite, irgendwann nach hinten, zu Matthijs de Ligt, dem Innenverteidiger. Fünf Minuten waren noch zu spielen, es zählte jede Sekunde, also machte de Ligt etwas, was so im Spiel seiner Mannschaft eigentlich nicht vorgesehen ist. Er schoss den Ball weit und hoch nach vorne, der Ball flog, eine Sekunde, zwei Sekunden, er hüpfte ein bisschen die Linie entlang, dann landete er im Aus. De Ligt wirkte nicht unzufrieden mit seiner Aktion.

Das war vielleicht die größte Überraschung in diesem ersten Halbfinale der Champions League am Dienstag: dass Ajax Amsterdam auch verteidigen kann. Dass diese Mannschaft, die in dieser Saison Fußballeuropa mit ihrem Offensivfußball berauscht hat, auch abgezockt eine Partie zu Ende spielen kann, ohne offensiven Tempofußball.

1:0 (1:0) gewann Ajax Amsterdam am Dienstag bei Tottenham Hotspur, die Gäste hatten eine halbe Stunde lang wieder ihren Fußball im Rausch gezeigt. Danach hatten sie die wuchtigen, unermüdlich angreifenden Gastgeber weitgehend vom eigenen Tor ferngehalten. Mit diesem seriös herausgespielten Ergebnis geht Ajax nun leicht favorisiert ins Rückspiel am nächsten Mittwoch in Amsterdam.

Tottenham gegen Ajax, das war auch das Duell der beiden Überraschungsmannschaften im Halbfinale dieser Champions-League-Saison. Tottenham hatte sich in der K.o.-Runde zuvor gegen Dortmund und das Manchester City von Pep Guardiola durchgesetzt, Ajax gegen Real Madrid und Juventus Turin mit Cristiano Ronaldo; in der Gruppenphase hatte Amsterdam zweimal gegen den FC Bayern Unentschieden gespielt. Und das war nun die große Frage vor diesem Halbfinale: Ob Ajax, das so begeistern konnte gegen Gegner mit gealterten Helden, sich seinen Stil auch bewahren kann gegen eine Mannschaft, die ihre Überzeugung nicht aus der eigenen Großartigkeit zieht, sondern ebenfalls aus einer verinnerlichten Spielidee.

Ajax spielte einfach so wie immer

Es dauerte nur wenige Minuten, dann war nicht mehr zu übersehen: Es war für Ajax kein Problem. Sie spielten einfach so, wie sie immer spielen, schnell, direkt, gewitzt, und dabei doch so ruhig, so überlegt, so reif.

Ajax dominierte von der ersten Minute an, das Team passte und passte und passte, und mit jedem Pass näherte es sich dem gegnerischen Tor noch mehr. Tottenham, das ohne die Angreifer Harry Kane (verletzt) und Son Heung-min (gesperrt) spielen musste, kam mit dem Gucken nicht hinterher, der Gastgeber zog sich weit zurück vor das eigene Tor. Hatten die Spurs einmal den Ball, blieb Ajax dennoch vorne, attackierte sofort wieder den Gegner, und dann war der Ball schnell wieder in den eigenen Reihen. Nach 20 Minuten hatte Ajax 133 Pässe gespielt, Tottenham 40. Einer dieser 133 Pässe hatte bereits die Führung eingeleitet.

In der 15. Minute verlagerte Ajax das Spiel, der Ball kam zu Hakim Ziyech, der sofort weiterpasste zu Donny van de Beek. Schon stand dieser alleine vor Spurs-Torwart Hugo Lloris, er verzögerte, er verzögerte noch einmal, Lloris ging in die Knie, dann schob van de Beek den Ball ins Tor. Es waren schlichte Abfolgen. Doch zusammen ergaben sie die Schönheit, die in dieser Saison das Ajax-Spiel ausmacht.

Auch nach dieser Führung passte und passte und passte Amsterdam weiter. Eine dieser Passfolgen endete wieder bei van de Beek, der im spitzen Winkel vor dem Tor stand. Lloris spekulierte wieder, auf eine Flanke, van de Beek schoss aber aufs Tor. Lloris wehrte den Ball mit dem Bein ab (24.).

Tottenham hatte die erste Chance in der 26. Minute, nach einem Freistoß köpfte Fernando Llorente den Ball über das Tor. Fünf Minuten später rauschte Ajax-Torwart André Onana heraus zu einer Faustabwehr, er knallte mit Jan Vertonghen und Toby Alderweireld zusammen. Vertonghen musste minutenlang behandelt werden, er versuchte noch einmal zu spielen. Dann sah er selbst ein, dass es nicht mehr ging. Für ihn kam in der 38. Minute Moussa Sissoko.

Es wirkte so, als ob dieser Zusammenknall Tottenham wachgerüttelt hätte. Vor allem aber hatte Vertonghens Verletzung eine taktische Umstellung zur Folge, die Spurs spielten nun mit einer Viererkette in der Abwehr sowie mit einer Raute im Mittelfeld, und in dieser Formation gelang es dem Gastgeber besser, sich aus der eigenen Hälfte zu befreien. In der 40. Minute endete die bislang beste Aktion von Tottenham nach einer Flanke von Lucas Moura in den Händen von Onana. In der Nachspielzeit der ersten Halbzeit setzte Alderweireld einen Kopfball auf das Tornetz, wieder nach einem Freistoß. Kurz danach verfehlte Sissoko das Tor mit einem Distanzschuss.

Auch in der zweiten Halbzeit gab es zunächst eine Mannschaft, die dominierte, doch nun war es die des Gastgebers. Die Spurs bewiesen, dass auch sie mit dem Ball etwas anzufangen wissen, wenn auch auf eine andere Weise. Tottenham spielte zielstrebiger und mit weniger Stationen nach vorne, dazu robuster, nun waren es kurzzeitig die Gäste, die überfordert wirkten, dazu fahrig, hatten sie einmal den Ball, war er meist schnell wieder verloren. So kam Tottenham auch häufiger an den gegnerischen Strafraum, doch dann passierte nicht mehr viel, dann zeigte Ajax, dass das Team auch gut verteidigen kann. Dele Alli hatte zwei gute Gelegenheiten (50., 56.), sie blieben ungenutzt.

Nach einer knappen Stunde löste sich Ajax langsam aus dem Druck, hatten die Gäste den Ball, passten sie nicht mehr ganz so stürmisch nach vorne, sie ließen sich nun mehr Zeit. Das reichte, um dem Spiel ein wenig diese Intensität zu nehmen, die für Ajax gefährlich zu werden drohte. David Neres erhöhte beinahe auf 2:0 - er traf den Pfosten (78.). Für Tottenham hatte Alderweireld die beste Gelegenheit, wieder mit einem Kopfball, wieder nach einem Freistoß, wieder landete der Ball auf dem Tornetz (82.).

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