Totilas vor Karriere-Aus:Missbrauchtes Wunderpferd

Lesezeit: 3 min

  • Millionenhengst Totilas kann bei der Dressur-EM in Aachen nicht mehr weiterreiten.
  • Es mehren sich die Vorwürfe, dass er gar nicht an den Start hätte gehen dürfen.

Von Gabriele Pochhammer, Aachen

Pferde haben den Menschen einiges voraus: Sie sind unbestechlich. Sie lassen sich nicht beeindrucken von großen Namen und dicken Konten, sie sind nicht von Geltungsdrang getrieben, und die Medaillen, die ihren Reitern umgehängt werden, sind ihnen herzlich egal. Totilas hat bei der Europameisterschaft in Aachen allen, die ihn seit Jahren für ihre Zwecke missbrauchten, die Maske vom Gesicht gerissen. Zu einem hohen Preis: Denn vermutlich hatte der 15-jährige Hengst Schmerzen bei seinem hoffentlich letzten sportlichen Auftritt.

Immer wieder trat er hinten unregelmäßig auf, entlastete das linke Hinterbein bei jedem Halten, alle konnten das sehen. Erst am nächsten Tag gab Equipechef Klaus Roeser zu: "Das Pferd war nicht in Ordnung." Vorher will keiner etwas bemerkt haben, nicht Roeser, nicht Bundestrainerin Monica Theodorescu und schon gar nicht der Reiter, der doch als erster hätte fühlen müssen, dass mit seinem Pferd etwas nicht stimmte. Ihm waren nicht nur die Taktstörungen entgangen, sondern auch die Fehler in den Galoppwechseln. Schon bei der Veterinärkontrolle am Tag vor dem Start hatte ein Tierarzt eine Nachuntersuchung gefordert, war aber überstimmt worden von seinem Kollegen und zwei Richtern.

Es mehren sich die Vorwürfe: Warum wurde Totilas überhaupt nominiert?

Die Mitteilung von Equipechef Klaus Roeser, einem Angestellten von Totilas-Mitbesitzer Paul Schockemöhle, dass Totilas zurückgezogen und nun in einer Tierklinik untersucht werde, war der Schlusspunkt unter eine Serie von Pannen und Fehlentscheidungen, in deren Zentrum ein Pferd stand, das sich nicht wehren konnte. Die Verbandsführung muss sich den Vorwurf gefallen lassen, ein Pferd mit Gesundheitsproblemen quasi auf Abbruch ins Team genommen zu haben, um den Titel zu retten. "Das kann man so sehen", sagte Röser, "aber ich kenne kein Pferd, das nicht irgendwo ein Problem hat."

Verletzte Pferde sind also die Regel und nicht eine bedauerliche Ausnahme? Man kann wohl sagen, dass sich Roeser damit selbst als das größte Problem der Dressur geoutet hat, Rücktrittsforderungen wurden bereits laut.

Das einstige Wunderpferd Totilas, lackschwarz und immer noch bildschön, berührte in seinen besten Zeiten die Herzen wie kein Dressurpferd zuvor. Zu seinen Auftritten strömten Menschen ans Dressurviereck, die sich vorher noch nie für Piaffen, Pirouetten und Traversalen interessiert hatten.

Nach einer Aufsehen erregenden Karriere unter dem Niederländer Edward Gal, die 2010 in drei Weltmeister-Titeln gipfelte, wechselte Totilas für angeblich zehn Millionen Euro zu dem Luxuspferdehändler und Hengsthalter Paul Schockemöhle, der die Sportrechte an die Mannschaftsolympiasiegerin Ann-Kathrin Linsenhoff weiter verkaufte. Sie wollte ihrem Stiefsohn Matthias Rath den Weg zu den Olympischen Spielen in London ebnen. Für Schockemöhle hätte die Rechnung durchaus aufgehen können: Im besten Fall hätte Totilas seinen Kaufpreis durch Deckgelder wieder eingespielt. 8000 Euro sollten die Züchter für die Gene des Superhengstes pro Stute bezahlen, doch die Nachfrage sank im selben Maß, wie die Erfolge ausblieben - trotz einer gewaltigen PR-Maschinerie, die nicht von Schockemöhle, aber von der Familie Rath-Linsenhoff angeworfen wurde. Totilas wurde als Marke mit Copyright eingetragen. Er erhielt einen ehemaligen Polizisten als Leibwächter, auf Ständen wurden Devotionalien wie T-Shirts und Kaffeebecher mit dem Konterfei von Reiter und Pferd verkauft.

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Doch eine Enttäuschung reihte sich an die nächste. Zwar half Totilas 2011 in Rotterdam, das Teamsilber zu sichern, für eine Einzelmedaille reichte es aber nicht. 2012 brach vor Olympia beim Reiter das Pfeiffersche Drüsenfieber aus, im Jahr darauf fiel Totilas vom Phantom, dem Gestell, das in der Pferdezucht für den Deckakt benutzt wird, vor der Weltmeisterschaft 2014 zog er sich angeblich im Trainingslager ein Überbein zu. Und dazwischen lag der Tag, an dem Totilas beschlossen hatte, den Chef rauszukehren. Um den rebellierenden Hengst zur Räson zu bringen, wurde der umstrittene niederländische Trainer Sjef Janssen, Ehemann der dreifachen Olympiasiegerin Anky van Grunsven engagiert. Mit seiner Unterwerfungsstrategie, von den einen Rollkur genannt, von Trainer selbst LDR (Low, deep and round), ging Totilas wieder in der Spur. Sein Reiter wurde dafür kritisiert und sogar von einem Richter auf dem Abreiteplatz verwarnt.

Die dritte Karriere: Deckhengst bei Schockemöhle

Wäre Totilas in Aachen statt mit 75,971 Prozent mit den erhofften 80 Prozent aus dem Viereck gekommen, hätte es zum Gold für die Deutschen gereicht, so wurde Bronze draus. Den Titel gewannen die Niederländer. Der Beste im Grand Prix war ausgerechnet Edward Gal auf Undercover, der Totilas nicht das Wasser reichen kann, aber von seinem gefühlvollen Reiter in die Weltspitze gebracht wurde.

Totilas wird wohl von weiteren Wettkämpfen verschont bleiben. Als dritte Karriere bleibt ihm nun ein Dasein als Deckhengst bei Schockemöhle in Mühlen. Denn das Leben, das man jedem Pferderentner wünscht, fällt für ihn wohl aus: nach Herzenslust auf der Weide herumtoben, sich die Sonne auf den Buckel scheinen lassen und den Jungspunden von guten alten Zeiten erzählen.

© SZ vom 16.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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