Totilas und sein Reiter:Zweifelhafte Trainingsmethoden

Partnerschaft oder Unterwerfung? Matthias Rath und sein Ausnahmehengst Totilas entzweien die Reiterei: Es steht die Frage im Raum, ob die imponierenden Bewegungen des Wunderpferdes mit der umstrittenen Rollkur erzwungen sind.

Gabriele Pochhammer

Wenn man die Geschichte von ihrer unbeschwerten Seite aufzäumen will, kann man sagen: Totilas hat schon Geschichte geschrieben. Nie zuvor hat ein Dressurpferd so viele Menschen bewegt. Durch seine Schönheit, die Eleganz seiner Bewegungen, die Leichtigkeit, mit der es durch die Lektionen tanzt. Die Leute werden sich auch diesen Freitag wieder auf der Tribüne drängen, wenn in Balve die deutschen Meisterschaften in Dressur und Springreiten beginnen, für die Dressur-Equipe der erste Pflichtauftritt in Richtung Olympische Spiele.

Fuer 'Wunderhengst' Totilas beginnt Olympia im Sauerland

Pferd und Reiter: Totilas und Matthias Alexander Rath.

(Foto: dapd)

Die Leute kommen, um ihn zu sehen, Totilas, den Wunderhengst. Wahrscheinlich werden auch wieder einige auf Bäume klettern, um einen besseren Blick auf das Pferd zu erhaschen. Reitpublikum klettert normalerweise nicht auf Bäume.

Aber am Abreiteplatz werden die Menschen auch wieder mit Argusaugen verfolgen, wie Totilas' Reiter Matthias Alexander Rath, 27, seinen Rappen zum Tanzen bringen will. Wieder mit der umstrittenen Rollkur-Methode, die er öffentlich erstmals beim Turnier in Hagen im April anwandte, und die ihm viel Kritik eingebracht hat? Spätestens seit April stehen Leichtigkeit und Eleganz nicht mehr im Zentrum dieser Geschichte.

Es steht jetzt die Frage im Raum, ob Totilas' imponierende Bewegungen mit zweifelhaften Trainingsmethoden erzwungen sind. Bei der Rollkur wird die Nase des Pferdes Richtung Brust und Schulter gezurrt. Sie wird auch Hyperflexion oder LDR genannt. LDR - Low, deep, round. Tief, tief, rund? Semantisch ist das eher Blödsinn, aber es ist die Lieblingsbezeichnung von Sjef Janssen, dem niederländischen Trainer und Ehemann der Olympiasiegerin Anky van Grunsven, der Totilas nach den Spielen trainieren soll.

Der Sinn der Methode: Unterwerfung. In dieser Haltung kann das Pferd nicht entkommen. Die Folge sind exaltierte, unnatürliche Bewegungen, die zu Verkrampfungen im Rücken führen. Fachleute wie Paul Stecken, 95, der langjährige Ausbilder des sechsmaligen Olympiasiegers Reiner Klimke, lehnen die Methode deshalb ab. Weil sie das ist, was Dressur eigentlich nicht sein soll: Abrichtung statt Gymnastizierung, Zirkus statt Sport, Knecht- statt Partnerschaft.

Als junger Mensch müsse sein Sohn den Horizont erweitern dürfen und auch andere, modernere Trainingsmethoden kennenlernen, entgegnet Raths Vater und Trainer, Klaus Martin Rath. Moderner? Schon im Mittelalter versuchten die Ritter mit Hilfe der Rollkur, ihre eisenbehängten Rösser zu bändigen. Ein gewisser Herr Plinzner, Leibstallmeister des letzten deutschen Kaisers, wurde gefeuert, weil die dergestalt aufgerollten Pferde mitsamt Majestät auf die Nase fielen, sobald es ins Manöver ging. Sie konnten ja nicht sehen, wo sie hintraten.

Einsatz als Deckhengst umstritten

Ursprünglich hatten Vater und Sohn Rath vor, Totilas sogar lockerer zu reiten als Raths Vorgänger im Sattel, der Niederländer Edward Gal. Der hatte mit Totilas 2010 in Kentucky drei WM-Titel gewonnen. Kurz darauf kaufte Paul Schockemöhle, der frühere Springreiter und heutige Pferdehändler, Totilas für (nicht bestätigte) zehn Millionen Euro. Mit wie viel Geld Raths Stiefmutter Ann-Kathrin Linsenhoff an dem Geschäft beteiligt war, wird auch nicht verraten. Aber die Summe reicht wohl dafür, dass sich Schockemöhle nicht einen anderen Reiter aussuchen könnte, wenn er wollte.

Die gemeinsame Karriere von Rath und Totilas ließ sich zunächst gut an, 2011 in Balve gab es zwei deutsche Meistertitel, beim CHIO in Aachen gewann Rath drei Prüfungen. Bei der EM in Rotterdam waren sie das beste Paar im schwachen deutschen Team, blieben aber ohne Einzelmedaille - dabei hatte man doch von Gold gesprochen. Von der Rettung der deutschen Dressur. Immer wieder unterbrachen Verletzungspausen das Training, mussten Turnier-Starts abgesagt werden.

Dass Totilas regelmäßig als Deckhengst eingesetzt wird, um seinen Kaufpreis zu reerlösen, ist auch nicht unumstritten. Bei einer Hengstvorführung im Frühjahr rebellierte das Pferd offen gegen seinen Reiter. Da reifte wohl der Entschluss, den Hengst mit Hilfe von Tief-tief-rund zur Raison zu bringen. Zwar ritt Rath in Hagen nie länger als die vom Weltverband FEI erlaubten zehn Minuten in dieser Haltung. Das reichte aber, um die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) in Erklärungsnot zu bringen. Sollte hier etwa die klassische Lehre einer erfolgsorientierten Beliebigkeit geopfert werden? Immerhin gehört Rath dem Olympiakader an.

In der FN-Zentrale in Warendorf meldeten sich wütende Ausbilder und Reiter. FN-Sportchef Dennis Peiler versicherte in einer Pressemitteilung, dass diese Methode nicht den Ausbildungsrichtlinien der FN und ihrer Vorstellung von klassischer Reitweise entspreche, dass Rath aber auch weder gegen das Reglement noch gegen den Tierschutz verstoßen habe.

Damit saß der Verband zwischen allen Stühlen: Den einen war diese Stellungnahme zu lau, den anderen zu heftig. Klaus Röser, der Vorsitzende des FN-Dressurausschusses und zugleich ein Angestellter von Paul Schockemöhle, bestand auf einer zweiten Pressemitteilung, in der im Prinzip genau dasselbe stand - nur ohne die leiseste Kritik an der Methode.

Da hatte wohl jemand mächtig Druck ausgeübt. Auch auf den Ausbildungsleiter des Verbandes, Thies Kaspareit? Olympia fest im Blick, versucht Kaspareit sich durchzulavieren: "Wir können uns die Welt nicht schöner malen, als sie ist", sagt er, Leistungssport sei eben "eine Gratwanderung".

Den Menschen, die sich an dem schönen Pferd begeistern, ist es womöglich nicht egal, wie der Glanz zustande kommt. Das schwant auch Kaspareit: "Dann haben die Medaillen vielleicht einen Beigeschmack und sind nur noch die Hälfte wert."

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