Torwartprobleme bei Schalke 04:"Wir müssen gucken, wer noch Handschuhe hat"

Erst Ralf Fährmann, dann Lars Unnerstall und Timo Hildebrand: Schalkes groteske Verletzungsprobleme von Torhütern führen zum Comeback von Mathias Schober. Der wähnte sich bereits in Ehren gealtert, hat schon Bartstoppeln - jetzt muss er wieder in der Bundesliga ran.

Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Als Mathias Schober sein erstes Bundesligaspiel für Schalke 04 bestritt, beherrschten noch Patriarchen wie Helmut Kohl und Rudi Assauer das Land. Im Schalker Tor stand der Patriarch Jens Lehmann, Schober hatte die Ehre, ihn am vorletzten Liga-Spieltag für eine Viertelstunde vertreten zu dürfen, er konnte nicht ahnen, dass zu diesem Zeitpunkt der größte Erfolg seiner Fußballerkarriere schon fünf Tage alt war: Bei Schalkes Uefa-Cup-Triumph in Mailand am 19. Mai 1997 hatte er auf der Ersatzbank gesessen, dafür wurde er als "Eurofighter" in den königsblauen Adelsstand erhoben.

FC Schalke 04 v Athletic Bilbao - UEFA Europa League Quarter Final

Hat noch Handschuhe: Schalkes Ersatzkeeper Mathias Schober.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Schobers unverhofftes Comeback im Europapokal am Donnerstagabend bei Schalkes heftig betrauerter 2:4-Niederlage gegen Athletic Bilbao war die spezielle Note eines speziellen Spiels. Die Schalker Verantwortlichen hatten zwar dem Team den Auftrag erteilt, den Coup ihrer Ahnen zu wiederholen und beim Endspiel in Bukarest eine zweite Eurofighter-Ritterschaft zu gründen, aber für Schober, den letzten Aktiven aus der Mailänder Zeit, hatten sie wieder nur den Platz auf der Bank vorgesehen. Schon die Rolle als Ersatztorhüter war mehr, als ihm zugedacht war.

In der Rangfolge der Schlussleute blieb er beständig die dritte Wahl - solange Schalke drei Torhüter hatte. Inzwischen ist aber nur noch Schober übrig, denn nach Ralf Fährmann und Lars Unnerstall verletzte sich während des Bilbao-Spiels auch Timo Hildebrand, und nun hat Schalke nicht nur das Aus in der Europa League vor Augen, sondern auch ein groteskes Torwartproblem. "Jetzt müssen wir gucken, wer im Verein überhaupt noch Handschuhe hat", meinte Manager Horst Heldt mit Blick aufs Spiel in Hoffenheim am Sonntag, bei der Schober sein erstes Bundesligaspiel seit drei Jahren bestreiten wird.

Hildebrand hat eine Kapsel- und Bänderverletzung am Ellbogen, das kann dauern. Trainer Huub Stevens veranstaltete am Freitag ein Casting mit den Torhütern der A-Jugend und der Regionalliga-Elf. Die Situation sei "kurios, aber nicht mehr schön", resümierte Heldt.

Schober, der aus Marl in der Nachbarschaft stammt, ist Schalker aus Gesinnung und in seinem Klub, dem er als 14-Jähriger beitrat, in Ehren gealtert, in ein paar Tagen wird er 36. Die Bartstoppeln sind hier und da schon grau, und in das sich lichtende Harr mischen sich ebenfalls graue Elemente. Seine Statur ist stattlich, aber über das Gewicht eines Mannes sollte man ja ebenso wenig spekulieren wie über das Alter einer Frau. Es klang zwar zweideutig, als er nun bemerkte, er habe ja "schon einiges auf dem Buckel", doch sprach er damit seine Einsatzerfahrung in den sechs Jahren bei Hansa Rostock an.

Es fehlten nur Zentimeter

Schober war am Donnerstag ein guter Vertreter des weniger guten Hildebrand, dessen Fehler Bilbao die Führung beschert hatte. An den drei Gegentoren, die er im Laufe der zweiten Halbzeit fing, traf den Ersatzmann keine Schuld, fast hätte er sich sogar als Assistent des 3:3 verdient gemacht: Seinen langen Abschlag schnappte sich Klaas-Jan Huntelaar, um den Ball mit Gewalt Richtung Bilbao-Tor zu donnern, aber die Kugel sprang gegen den Innenpfosten und schließlich zu einem spanischen Verteidiger, der die Lage sicherte.

Letzteres sei irgendwie typisch gewesen, sinnierte Schober: Beim 3:2 für Bilbao war es ja umgekehrt, "da haben wir das Pech, dass der Ball nach meiner Abwehr nicht zu einem Verteidiger von uns, sondern zu einem Stürmer springt".

Diese Niederlage war das selbstproduzierte Missgeschick einer Mannschaft, die den Kopf und die Kontrolle verlor, als mitten in ihre Angriffseuphorie der Ausgleich platzte (73.). "Danach haben wir vielleicht gedacht: Mist, jetzt müssen wir das Ding unbedingt noch gewinnen", erzählte Schober, "und dann sind wir etwas wild angerannt und wurden ausgekontert."

Jenseits der manchmal naiven Verfehlungen von Spielern wie Holtby, Jones, Jurado oder Fuchs ergab das temperamentvolle Spiel aber auch ein Melodram, das ins Schalker Gefühlstheater passt. Schalke hatte gegen einen starken Gegner stark gespielt und sich die 2:1-Führung verdient, besonders Raúl erinnerte seine Landsleute im Stadion und vor den Fernsehern daran, dass er auch mit 34 Jahren ein grandioser Stürmer und großer Kämpfer ist. Die Gedanken an die Heimat befeuerten ihn an wie ein Zwölfzylindermotor mit doppelter Turboaufladung. Er schoss zwei Tore, das zweite mit einem furiosen Volleyschuss, der von purem Willen getrieben wurde. Zum 3:1 und zum 3:3 fehlten ihm jeweils bloß Zentimeter.

Als er aber später das Stadion verließ, guckte er so finster, dass sämtliche Passanten ängstlich zur Seite traten und keiner ihn auch nur anzugucken wagte. "Das war für ihn ein bitterer Abend, zu Hause gegen eine spanische Mannschaft zu verlieren", meinte Heldt. Prognosen über Raúls Verbleib mochte an diesem Abend keiner geben.

Auch nach mutigen Ansagen für ein Rückspiel-Wunder drängte es niemanden. Das Tor zum 2:4, "das war wie ein Todesstoß", stellte Heldt resigniert fest. Schober meinte zur Chancenlage: "Ich hatte Mathe-Leistungskurs, aber in Prozenten will ich das nicht ausdrücken." Die Schalker hoffen erst mal, dass wenigstens ihr Oldie am nächsten Donnerstag noch fit ist.

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