Torwartfrage beim FC Bayern:Mein Stammplatz, dein Stammplatz

Thomas Kraft wird am Wochenende gegen Leverkusen voraussichtlich seinen Platz im Tor der Bayern an Jörg Butt abtreten müssen. Damit bestätigt sich ein Trend dieser turbulenten Bundesliga-Saison.

Christof Kneer

Uli Hoeneß hat es nicht so gemeint, aber er hat es gesagt. Er hat gesagt, "dass mit der Entscheidung, Jörg Butt aus dem Tor zu nehmen, die ganze Scheiße losging". Er hat gesagt, dass "durch die Kraft-Entscheidung Unruhe in der Abwehr entstanden ist". Gemeint hat Uli Hoeneß, dass Louis van Gaal, dieser unverschämte Mensch, die bayerische Vereinspolitik sabotiert hat, weil er Thomas Kraft berühmt gemacht und damit Manuel Neuers Verpflichtung erschwert hat. Aber was in der öffentlichen Wahrnehmung hängenblieb, war: Kraft. Scheiße. Unruhe in der Abwehr. Was hängenblieb, war: Der Kraft, der ist schuld.

Thomas Kraft und Jörg Butt

Torwart, wechsle dich: Am Wochenende wird Thomas Kraft voraussichtlich seinen Platz zwischen den Pfosten an Jörg Butt abtreten müssen.

(Foto: dpa)

Drei Monate ist Thomas Kraft, 22, jetzt im Tor des FC Bayern gestanden, und er hat in dieser Zeit schon fast ein ganzes Torwartleben durch. Er war schon alles in diesen drei Monaten. Er war der überraschend beförderte Nachwuchstorwart. Er war der Mann, der Inter Mailand zur Verzweiflung bringt. Er war der junge Keeper, der so gut ist, dass man den Neuer vielleicht gar nicht mehr braucht. Und jetzt kommt er aus dieser Geschichte raus wie das früh verheizte Talent, dessen grotesker Fehler in Nürnberg das Potenzial hat, es bis in die Jahresrückblicke zu schaffen.

Thomas Kraft fühle sich "sehr ungerecht behandelt", hört man aus Krafts Umfeld. "Das ging voll gegen mich", hat er in einer ersten Reaktion gesagt und sich ansonsten erstmal ein Schweigegelübde auferlegt. Was soll er auch sagen? Thomas Kraft ist ein Opfer, er ist ein Opfer, wie Michael Rensing eines war.

Der FC Bayern ist seit Oliver Kahns Abschied kein Milieu mehr für junge Torhüter. Seit Kahn durften die Keeper in München nicht mehr einfach Sportler sein. Rensing versuchte, das Kahn-Erbe anzunehmen, er versuchte, Spielstil und Gesten des großen Alten zu kopieren, und mit diesem gewagten Plan geriet er mitten hinein in die Klinsmann-Zeit, in der der Klub zu durcheinander war, um einem jungen Torwart Orientierung zu bieten.

Und Kraft hat nun das Glück und das Pech gehabt, von van Gaal gefördert zu werden; er konnte nichts dafür, dass seine Beförderung zum Politikum wurde, dass van Gaal mit dieser Personalie die Bosse irreparabel vergrätzte. Unter diesen Voraussetzungen hat Kraft ganz schön gut gehalten - das weiß auch Hoeneß, der den jungen Mann, wenn man van Gaal abzieht, durchaus schätzt.

Überschätzte Hände

Es gilt als abgemacht, dass am Wochenende wieder Jörg Butt das Tor der Bayern bewachen wird, Krafts hochseriöser Vorgänger und Nachfolger. Butt, 36, hat auf seiner langen Reise durch die Fußballwelt so viel Gelassenheit angesammelt, dass ihn auch Frans Hoek nicht mehr aus der Ruhe bringen konnte, der fundamentalistische Torwarttrainer van Gaals. Der hält die Hände beim Torwart für überschätzt, er vertritt weltexklusiv die Meinung, dass ein Torhüter seine Hände kaum trainieren muss, weil er die ja ohnehin beherrscht.

Hoeks Leidenschaft ist es, Torhütern das Spiel mit dem Fuß beizubringen, eine Leidenschaft, die so radikal ist, dass sie schon manchen Torwart verrückt gemacht hat. Auf die Idee, den Ball in Nürnberg riskant zum Mitspieler zu schlenzen, wäre Kraft von alleine nicht gekommen. Es wurde der Fehler, der ihm den Platz im Tor kosten sollte.

Die Geschichte von Hoeneß und van Gaal, von Hoek, Butt und Kraft ist eine ganz und gar münchnerische Geschichte. Einerseits. Andererseits taugt sie als perfekte Zuspitzung eines Saisontrends, der den Torhütern nicht gefallen kann. Dieser Trend besagt, dass die Torhüter den Trainern immer ähnlicher werden. Wenn die Trainer, wie es so schön heißt, "das schwächste Glied in der Kette" sind, dann sind die Keeper inzwischen das zweitschwächste.

So viele Torwartwechsel wie diese Saison gab es noch nie, zwei Drittel der Ligakeeper haben in dieser Saison ihren Stammplatz verloren, manche haben ihn sich zurückerkämpft, wieder andere mussten ihren stolz erkämpften Stammplatz gleich an den übernächsten Kollegen weiterreichen. Köln (Mondragon, Varvodic, Rensing), Mönchengladbach (Bailly, Heimeroth, ter Stegen), St. Pauli (Kessler, Hain, Pliquett) und Wolfsburg (Benaglio, Hitz, Lenz) haben es mit je drei Keepern versucht, zum Teil wurde munter hin- und hergewechselt, rein, raus, rein, raus, so schnell ging das, dass sich manchmal die Abwehrspieler umdrehen und vergewissern mussten, wer jetzt eigentlich heute im Tor steht.

Die Bundesliga erlebt eine turbulente Saison, und unverkennbar ist die Tendenz, die Torhüter für die Turbulenzen verantwortlich zu machen. Immerhin hat das zu einigen bemerkenswerten Entdeckungen geführt, der Freiburger Oliver Baumann, 20, oder der Hannoveraner Ron-Robert Zieler, 22, könnten die Liga künftig prägen, vorausgesetzt natürlich, sie verlieren nicht demnächst wieder ihren Stammplatz.

Thomas Kraft wird ihn sich wiedererkämpfen, anderswo. Er wird München im Sommer verlassen, weil Manuel Neuer kommt, und im Moment sieht es so aus, als fände das Torwartwechsel-Spiel eine hübsche Pointe. Kraft könnte in Schalke jenen Stammplatz übernehmen, den Neuer freimacht.

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