Torwartduell beim FC Bayern:Van Gaals gefährliches Spiel

Mit dem beabsichtigten Torwartwechsel von Jörg Butt auf Thomas Kraft riskiert der Trainer des FC Bayern seinen Job. Denn nicht alle wollen Kraft als neue Nummer eins mittragen.

Andreas Burkert, Doha

Die Scheichs im Foyer des Grand Hyatt beachteten Thomas Kraft nicht. Die Herren sind aufgeregt wegen des gestarteten Asien-Cups, das gastgebende Team Katars wohnt wie der FC Bayern in diesem Refugium in Doha. Sie konnten aber auch noch nicht wissen, dass soeben die aktuelle Nummer eins des deutschen Meisters an ihnen vorbei in den Reisebus geschlendert war, der die Münchner zum Training unter milder Wüstensonne transportiert.

Gaal Kraft

"Ich muss diesem Torwart auch eine Chance geben, dass er spielen kann unter Druck": Louis van Gaal (rechts) über Thomas Kraft.

(Foto: imago sportfotodienst)

Bislang hütete ja nicht Kraft, 22, sondern Jörg Butt, 36, das Tor. Dass den Routinier die unerwartete Umstellung seines Trainers Louis van Gaal zermürbt, war seinem Blick anzusehen - und Butt ging hinter Kraft.

Nach der Ankunft in Doha vor einer Woche hatte van Gaal, 58, den Torhütern seine überraschende Entscheidung mitgeteilt. Sportdirektor Christian Nerlinger, der einen Tag später anreiste, informierte der Holländer erst nach dessen Eintreffen. Aus Klubkreisen ist zu hören, dass Nerlinger "geschockt" gewesen sei. Er informierte telefonisch Vorstand Karl-Heinz Rummenigge und Präsident Uli Hoeneß. Auch sie ahnten nichts von diesem plötzlichen Wechsel.

Nerlinger, 37, ist bislang derjenige gewesen, der den eigenwilligen Trainer intern stützte. Auch im Herbst, als der Champions-League-Finalist die Ligaspitze aus den Augen verlor und van Gaal von Hoeneß attackiert wurde - wegen "Beratungsresistenz". Doch den nun beabsichtigten Torwartwechsel wird Nerlinger nach SZ-Informationen keinesfalls mittragen, ein Bruch droht. Van Gaal, heißt es, riskiere mit dem Alleingang in dieser Personalie "sogar weitreichende Konsequenzen".

Gemeint ist sein Job.

Die Verärgerung der Bayern ist nachvollziehbar. Zum einen gibt es aus sportlicher Sicht kaum einen Grund, gerade jetzt einen - unbestritten außergewöhnlich talentierten - Bundesliga-Debütanten ins Tor zu stellen. Hinter die geplante Innenverteidigung mit Badstuber (links) und Breno (rechts), die noch nie zusammenspielte. Zudem darf Butt für sich in Anspruch nehmen, die konstanteste Münchner Kraft der Vorrunde gewesen zu sein.

Es geht aber nicht nur um Butt oder Kraft, der bei den eher bedeutungsarmen Europacup-Spielen in Rom (2:3) und gegen Basel (3:0) erste Profieinsätze mit Bravour absolvierte. Denn die Bayern haben offenbar bereits eine Abmachung mit Schalkes Nationaltorwart Manuel Neuer geschlossen und sind mehr denn je davon überzeugt, ihn bereits im Sommer begrüßen zu können.

Van Gaal, der Diamantschleifer

Van Gaal hatte sich intern zunächst gegen Neuer ausgesprochen, 15 Millionen Euro Ablöse für einen Torwart seien Geldverschwendung. Im Zuge atmosphärischer Entspannungen im Spätherbst schien dieses Thema jedoch beigelegt zu sein im Sinne der Bayern, die nach dem missglückten Versuch mit dem Talent Michael Rensing als Oliver-Kahn-Nachfolger ein weiteres Experiment auf dieser Position scheuen.

Aber van Gaal versteht sich eben als Diamantenschleifer, als ewiger Talentförderer: Während der Saison 1992/1993 beispielsweise wechselte er bei Ajax Amsterdam plötzlich auf einen gewissen Edwin van der Sar. Dieser war damals 22, und sein Fachlehrer war der van-Gaal- Vertraute und heutige Bayern-Torwarttrainer Frans Hoek. Beim FC Barcelona stellte van Gaal Víctor Valdés mit 20 ins Tor (jedoch nur für 14 Spiele); Valdés fängt heute noch die Bälle für Barça.

Als van Gaal am Freitag auf diese Beispiele angesprochen wurde, zwecks Erforschung, weshalb er offenbar auf Kraft setzt, reagierte er gereizt. Aber er ließ - trotz des Hinweises, er wolle "noch abwarten, denn wir haben noch zehn Tage Training" - die Präferenz für den Jüngeren erkennen. "Ich muss diesem Torwart auch eine Chance geben, dass er spielen kann unter Druck", sagte er. Und weiter: "Meine Verantwortung ist es, Spieler auszubilden, und es ist jetzt eine gute Zeit dafür, denn es ist ein Trainingslager."

Dass van Gaal nun auf neuralgischer Position ein weiteres Talent formen will, obwohl sich das Team als Fünfter "in der Bundesliga weiterhin mit dem Rücken zur Wand befindet", wie Nerlinger dieser Tage betont, wollen ihm die Münchner nicht gestatten. Sie können aber wenig dagegen tun. Dem Vernehmen nach hat Nerlinger mehrere Gespräche mit van Gaal geführt, sehr emotional seine Meinung zum Tausch vorgebracht und auf die Gefahr des Scheiterns hingewiesen.

Der FC Bayern sei kein Ausbildungsverein, sondern müsse Erfolg haben, habe Nerlinger argumentiert. Zudem würde ein Votum für Kraft den Transfer von Neuer, gegen den sich Widerstand in Fankreisen regt, erschweren. Van Gaal, so Nerlinger, handele deshalb auch "gegen vereinspolitische Interessen".

Insofern spielt van Gaal ein gefährliches Spiel, das kaum Gewinner verspricht. Sollte nämlich die Qualifikation zur Champions League oder eine Trophäe durch Krafts Hände entgleiten, dürfte dies eine Trennung vom Trainer nach sich ziehen, dessen Kontrakt gerade erst bis 2012 verlängert wurde. Und sollte Nerlinger wider Erwarten den jetzt durchaus ins Grübeln geratenen Coach noch überreden, seine Entscheidung zu revidieren bis zum Rückrundenstart in einer Woche beim VfL Wolfsburg, so wäre Jörg Butt bereits jetzt beschädigt durch den Vertrauensentzug von Doha.

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