Nationalelf:Politik des offenen Tores

  • Gegen Serbien spielt Manuel Neuer die erste Halbzeit im Tor der Nationalmannschaft, Marc-André ter Stegen die zweite Halbzeit.
  • Der Bundestrainer eröffnet damit den Kampf ums Tor der Nationalmannschaft - zumindest ein bisschen.
  • Denn gegen die Niederlande am Sonntag wird erneut Neuer im Tor stehen.

Von Javier Cáceres, Wolfsburg

Der Arbeitstag des Bundestrainers Joachim Löw umfasste am Mittwoch in Wolfsburg auch den Besuch der Betriebsversammlung bei Volkswagen. Beim neuen Sponsor des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) sollen bekanntlich bis zu 7000 Stellen wegfallen; um das "sozialverträglich" zu gestalten, wie der gängige Euphemismus lautet, sind einige Modelle im Gespräch. Unter anderem auch: Altersteilzeit.

Seit einiger Zeit experimentiert VW auch aus anderen Gründen mit dem so genannten Jobsharing-Modell, es geht dabei um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Derlei spielt im Profifußball keine Rolle, das Prinzip Arbeitsteilung hielt in der deutschen Nationalelf gleichwohl Einzug: Beim Testspiel gegen Serbien stand in den ersten 45 Minuten der Weltmeister Manuel Neuer vom FC Bayern im Tor, in den zweiten 45 Minuten der Confed-Cup-Sieger Marc-André ter Stegen vom FC Barcelona.

Das hatte eine gewisse Logik, die weniger fachlichen als atmosphärischen Überlegungen gehorchte. Zuletzt hatte sich die Debatte um die deutsche Nummer 1 ja gordisch verknotet. Da der etablierte, 32 Jahre alte Neuer, der nach den Frakturen am Mittelfuß den Nimbus der Unantastbarkeit verloren hat. Dort der 26 Jahre alte Herausforderer, der in Barcelona derart beständig weltklasse hält, dass die in Barcelona beheimatete Zeitung Sport dem Bundestrainer gar vorhielt, ein "Verbrechen" zu begehen.

Sie forderte - bei aller Wertschätzung für die revolutionären Verdienste Neuers - dessen Entmachtung. Doch dazu will sich Löw bislang nicht durchringen. Chancen, immerhin, wolle er ter Stegen schon einräumen, sagte Löw; durch die Politik des offenen Tores wollte er nun dokumentieren, dass es ihm damit ernst ist. Doch im Grunde hat er auch vor der Partie gegen Serbien anklingen lassen, dass Neuer seine Nummer 1 ist - und vorerst bleiben soll. Nach dem Spiel sagte der Bundestrainer jedenfalls auf die Frage, ob am kommenden Sonntag in Amsterdam gegen die Niederlande Manuel Neuer im Tor stehen wird: "Davon kann man ausgehen, ja."

Neuer hatte gegen Serbien auch keine Chance, den Führungstreffer durch Luka Jovic (12.) zu verhindern. Und ob man ihm eine Mitverantwortung bei der Desorganisation der Abwehr attestieren sollte, erscheint sehr zweifelhaft. Auch bei zwei, drei serbischen Großchancen konnte er sich nicht auszeichnen.

Neuer tritt wütend gegen den Pfosten

Wie sehr diese ersten 45 Minuten aber an ihm genagt hatten, war zu sehen, als der Schiedsrichter zur Pause pfiff: Neuer drehte sich um und trat wütend gegen den linken Pfosten, ehe er seine Utensilien zusammen packte und, nach einem Schulterklopfer von Torwarttrainer Andreas Köpke, den Platz verließ. Dann okkupierte ter Stegen das Tor, um sich warm zu machen.

Ter Stegen kennt Jobsharing-Modelle aus Barcelona zur Genüge: Zunächst musste er sich dort die Wettbewerbe mit dem Chilenen Claudio Bravo teilen, aktuell überlässt er dem Niederländer Jasper Cillesen die Spiele im spanischen Pokal und spielt die Partien in der Meisterschaft und in der Champions League. Er kann also mit einer derartigen Situation gut umgehen. Und wer weiß? Vielleicht war das tatsächlich ein Grund dafür, dass er eine größere Ruhe zu vermitteln schien als Neuer.

Nicht, dass er häufiger mit der Hand hätte intervenieren müssen als zuvor Neuer. Im Gegenteil. Aber er wirkte von Beginn an präsenter, dominanter, interventionsfreudiger - mit dem Fuß. Dass das DFB-Team in der zweiten Halbzeit stabiler wirkte, hatte durchaus auch damit zu tun, dass ter Stegen da war, als die Mannschaft ihn suchte; stets hatte er Antworten parat, um im Spielaufbau Ruhe zu vermitteln.

Zehn, fünfzehn Minuten verstrichen, und es drängte sich der Eindruck auf, dass durch die Spieler, die vor ter Stegen agierten, der Gedanke ging: Es gibt keine Notwendigkeit, bang in den Rückspiegel zu schauen. Das bewies er auch in den Schlussminuten, als er einen Schuss von Radonjic parierte. Doch wichtiger war die Ausstrahlung der beiden Torhüter: Seit Mittwoch spricht durchaus etwas dafür, den sogenannten Neuanfang ganz durchzuziehen, auch im Tor. Es sind Nuancen, die den noch immer sehr guten Torwart Neuer und den zuletzt brillanten, erkennbar gereiften ter Stegen im Moment voneinander trennen. Aber es könnten mal entscheidende Nuancen werden.

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