Tony Martin bei der Tour de France:Der widersprüchliche Polizist

Tour de France 2015 - 5th stage

Tony Martin: Endlich in Gelb

(Foto: dpa)
  • Tony Martin ist der 15. Deutsche, der bei der Tour de France im Gelben Trikot fährt.
  • Er äußert sich bei heiklen Themen klarer als der Rest des Feldes.
  • Dennoch fährt er für ein Team, dessen Chef früher das Sagen beim Rennstall Mapei hatte, bei dem systematisch gedopt wurde.

Von Johannes Aumüller, Amiens

Im feinen Château de la Motte Fénelon haben sie sich am Abend zusammengefunden, und somit hatte Tony Martin einen der eindrücklichsten Tage seines Radfahrerlebens nicht nur seinen Beinen und einer noblen Geste eines Teamkollegen zu verdanken, sondern auch der glücklichen Reiseplanung seiner Etixx-Mannschaft. Bei der Tour de France landen die Fahrer nach den Anstrengungen einer Etappe bisweilen in eher zweckmäßigen Unterkünften und manchmal sogar in kleineren Absteigen, aber diesmal war sie in einem Schlösslein am Nordrand der Stadt Cambrai einquartiert.

So war dann alles gerichtet für eine kleine Party für den Mann im Gelben Trikot: Im Saal Richelieu feierten sie unter Kronleuchtern und stuckverzierten Wänden, durch den Vorgarten tanzten sie eine Polonaise, und das einzige Störende war der Hinweis, dass die Tour mit diesem Abend noch nicht beendet war, sondern noch mehr als zweieinhalb Wochen andauert - weshalb die Party dann auch bald wieder vorbei war.

Um kurz vor halb zwei, so ist es am nächsten Morgen berichtet worden, hat Martin endlich einschlafen können, das Maillot Jaune natürlich bei sich im Zimmer. Und um sieben Uhr saß er als Erster des Teams schon wieder am Frühstückstisch, um sich auf seinen ersten Karrieretag in Gelb vorzubereiten, von denen nun noch ein paar folgen sollen. Am Mittwoch auf der Flachetappe nach Amiens hat er es beim Tagessieg von André Greipel schon verteidigen können, und so soll das weitergehen bis zum Mannschaftszeitfahren in der Bretagne am Sonntag.

Martin gehört auch mit 30 zur "neuen Generation"

Es ist ja eine sehr spezielle Vorgeschichte, wie lange Martin um dieses Trikot gekämpft hat. In den Vorjahren hatte er es bei Einzelzeitfahren zum Auftakt zweimal knapp verpasst; in der laufenden Runde fuhr er auf den ersten drei Etappen jeweils nur um Sekunden dran vorbei; kurz vor Cambrai hatte er einen Defekt und übernahm das Rad vom Teamkollegen Matteo Trentin; und beim finalen Antritt musste er höllisch aufpassen, weil der Italiener Vorder- und Hinterbremse andersherum montiert hat als er selbst. "Ich werde Tage brauchen, um das alles zu realisieren", sagte er.

Tony Martin ist nun der 15. Deutsche, der das Führungsshirt der Tour trägt. Wenn man die beiden gelben Tage von Sprinter Marcel Kittel in den beiden vergangenen Jahren ignoriert, dann ist er der erste Deutsche in Gelb seit der Zeit, die der Radsport und speziell dessen deutscher Teil gern als schmutzige Vergangenheit ablegen möchten. Martin zählt ja gemeinhin zu einer "neuen" Generation, wobei das Etikett neu durchaus ulkig ist. Denn Martin ist jetzt immerhin schon 30 Jahre alt und bestreitet gerade seine siebte Tour; bei seiner Premiere ist er noch gegen einen Comebacker namens Lance Armstrong geradelt.

Aber der gebürtige Cottbuser, der sich vor seiner Radkarriere zum Polizisten ausbilden ließ, hat sich diese Beschreibung damit zu verdienen versucht, indem er sich bei den heiklen Themen der Branche etwas anders positioniert als das Gros des Feldes. So hat er schon mal die gefährliche Streckenplanung der Tour moniert.

Martin merkt die Skepsis beim Publikum

Er sieht es auch kritisch, dass die Astana-Truppe sich trotz ihrer diversen Dopingfälle und ihrer fragwürdigen Figuren im Umfeld noch immer mitten im Feld befindet; und in Deutschland hat er sich schon für ein Anti-Doping-Gesetz ausgesprochen, als das noch nicht allgemeiner politischer Wille war. Von alten deutschen Heldennamen wie Jan Ullrich distanziert er sich eher.

Andererseits gibt es auch ein paar Leute aus der Szene, die fänden es noch besser, wenn er mit dieser Haltung nicht gerade in diesem belgischen Etixx-Team von Patrick Lefevere führe. Der Belgier hat dort schon seit den Neunzigerjahren das Sagen, und früher, als die Mannschaft noch Mapei hieß, gab es diverse Dopingfälle - und von ehemaligen Fahrern auch Berichte über systematisches Doping, wovon der Patron Lefevere aber nie etwas mitbekommen haben will. Auch manch anderer Kämpe aus der Schmuddelzeit ist dort noch aktiv.

Martin weiß, wie schwer es ist, die lange angewachsene Skepsis beim Publikum zu reduzieren. Er merkt es auch in diesen Tagen wieder, in denen die ARD erstmals seit 2011 Live-Bilder von der Tour zeigt, dass der Radsport beim deutschen Zuschauer noch nicht so recht landet: Bei zehn Prozent Marktanteil pendeln sich die Sendungen ein, und als Martin in Cambrai triumphierte, verfolgten das in der ARD weit weniger Zuschauer als im ZDF die Boulevard-Berichte von Hallo Deutschland.

Martin über die Bergetappen: "Wie soll ich da rüberkommen?"

Vielleicht ändert sich das noch ein wenig, nachdem sich die Deutschen in den ersten Tagen schon wieder so eindrücklich in Szene gesetzt haben, wie in den beiden Vorjahren, als sie jeweils die Nation mit den meisten Etappensiegen waren. Wenn es nächste Woche in die Pyrenäen geht, wird Tony Martin im Gesamtklassement jedenfalls wieder weiter unten zu finden sein.

Zwar ist er ein sehr vielseitiger Fahrer; er brilliert im Zeitfahren, wo er bald in Richmond seinen vierten WM-Titel und 2016 in Rio sein erstes Olympia-Gold einfahren will; er kann bei kleineren Rundfahrten wie der Tour de Suisse reüssieren; er hat auf dem Weg nach Cambrai gezeigt, dass er auch bei der Hatz über die Kopfsteinpflaster mithalten kann und daher gar die Frühjahrsklassiker anpeilen kann; und er kann an einzelnen Tagen eine Bergetappe mitgestalten.

Aber auf Dauer sind ihm die Belastungen in Pyrenäen und Alpen zu hoch: "Bei jeder Tour stehe ich vor mindestens zwei Etappen, wo ich mir denke: Oh Mann, wie soll ich da rüberkommen?"

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