Toni Kroos:Im Alltag ein trauriger König

ZSKA Moskau - Real Madrid

Toni Kroos im Trikot von Real Madrid.

(Foto: dpa)
  • Real Madrid steckt in einem torlosen Tief, das es schon seit mehr als 30 Jahren nicht mehr gegeben hat.
  • Der Champions-League-Titel im vergangenen Sommer lenkte ab von den eigentlichen Streitigkeiten im Verein - nun machen sie sich bemerkbar.
  • Trainer Julen Lopetigui wird mittlerweile von vielen angezweifelt, ob ihm der Umbruch nach der Ära Ronaldo mit Real gelingt.

Von Javier Cáceres, Berlin

Es ist nicht ganz so einfach, der Wahlheimat zu entfliehen. Jedenfalls dann nicht, wenn man wie Toni Kroos in Madrid lebt und die deutsche Nationalmannschaft sich im Vorfeld der Nations-League-Partien in den Niederlanden und in Frankreich in einem Luxushotel im Berliner Tiergarten trifft, die genau neben der spanischen Botschaft gelegen ist, einem Gebäude, das einst Adolf Hitler dem spanischen Diktator Francisco Franco schenkte. Es ist längst aufgemotzt; der alte faschistische Adler ist längst durch das aktuelle Wappen des Königreichs ersetzt, und auch ein Ausstellungssaal ist dort eröffnet worden, keine 20 Meter von der Hotellobby entfernt. Die aktuelle Exhibition kreist um die Transformation Madrids; ein Thema, das so gut zur Lage bei Kroos' Arbeitgeber Real passt. Und auch das ausgestopfte Tier, an dem Kroos vorbeikam, als er an der Rezeption seinen Zimmerschlüssel entgegennahm, passt, irgendwie: Es ist ein ausgestopftes Krokodil, mit weit aufgerissenem Maul und bedrohlichen Zähnen.

Kroos dürfte der Realität Madrids vor allem deshalb entfliehen wollen, weil der Klub in eine Krise geraten ist, wie er sie im Grunde seit den Jahren nicht mehr erlebt hat, als Pedro Almodóvar durch die "Vía Láctea" tanzte, eine der Bars, die im postfranquistischen Madrid zum Epizentrum der Movida wurde, einer Bewegung der Jugend, der Drogen, der kulturellen Revolution, der rebellischen Musik, der sexuellen Befreiung. Seit fast sieben Stunden ist Real Madrid ohne Torerfolg, eine Marke, die es zuletzt damals, Mitte der 80er-Jahre, gegeben hatte. Am Samstag verlor Real auch noch bei Club Deportivo Alavés - erstmals seit 1931, als Franco noch lange nicht Generalísimo und der Spanische Bürgerkrieg noch fünf Jahre entfernt war. Nun leidet Real unter einer anderen Art von "movida", das Wort steht im Spanischen umgangssprachlich auch für ein wirres Durcheinander, für Ärger, für solche Dinge, die sie bei Real zurzeit zuhauf haben. Denn der Klub schafft es nicht, die Krise in den Griff zu bekommen, die ausbrach, als der Verein am 26. Mai einen der größten Erfolge seiner Geschichte verbuchte: den dritten Champions-League-Sieg in Serie.

Cristiano Ronaldo kokettierte nach dem Finale in Kiew noch auf dem Rasen mit seinem Abschied (und ging schließlich zu Juventus Turin); fast noch schlimmer aber wog, dass wenige Tage nach der triumphalen Rückkehr Madrids aus der ukrainischen Hauptstadt Zinédine Zidane den Job als Trainer quittierte. Niemand konnte sich recht einen Reim darauf machen, warum die französische Legende damals überraschend ging. Nun sickern Details durch, die den Vereinspräsidenten Florentino Pérez zum Auslöser der Krise stilisieren.

Wie die Zeitung El País berichtet, hatte Pérez im Januar Zidane versprochen, Gareth Bale zu verkaufen. Zidane war es leid, dass der Waliser ständig verletzt war, zudem hielt er ihn für "taktisch zerstreut", zu schwankend in seinen Leistungen und für "individualistisch", schreibt das Blatt. Pérez habe Zidane versprochen, Neymar von Paris Saint-Germain nach Madrid zu holen; Zidane favorisierte zwar Eden Hazard (FC Chelsea), war aber mit dem Neymar-Kauf einverstanden, vorausgesetzt: Bale geht. Nach dem Finale von Kiew aber, bei dem Bale wie zuvor schon in anderen Schlüsselspielen zunächst auf der Bank saß, war von einer Veräußerung des Briten keine Rede mehr. Pérez sah sich nach den beiden Finaltoren, die Bale zum 3:1 gegen den FC Liverpool beisteuerte, darin bestätigt, dass er selbst eine Legende entdeckt hatte. Als ihm zu Ohren kam, dass Bale wie Ronaldo nach dem Finale von Kiew Abwanderungsgedanken geäußert hatte, setzte Pérez alles daran, den Spieler zu beschwichtigen.

Er versicherte ihm, dass Ronaldo gehen und Neymar kommen würde; dass er Teil eines Traumpaars werden würde. Bale blieb. Zidane aber erfuhr von diesem plötzlichen Strategiewechsel über Dritte und war beleidigt, weil er nicht mit ihm abgesprochen wurde. Am Morgen des 30. Mai trat er zu einer Unterredung mit Pérez an - und präsentierte seinen unwiderruflichen Rücktritt.

Der Courtois-Transfer sorgt für Unruhe

Das waren bei Weitem nicht die einzigen Personalien, die für Unruhe sorgten. Laut El País zeichnete der Beraterstab dem Präsidenten ein düsteres Bild des Kaders. Die vergangene Saison war zwar vom Finalsieg von Kiew gegen den FC Liverpool von Jürgen Klopp gekrönt. Die Analysten fanden, dass das Pokal-K.-o. gegen Leganés und die verlorene Meisterschaft nicht zufällig waren. Weit weniger jedenfalls als die Champions-League-Siege gegen Paris, den FC Bayern und Juventus Turin.

Bereits im April sei der Kader von den Planern Reals in zwei Gruppen unterteilt worden: in Spieler, die unter allen Umständen bleiben müssten (Asensio, Varane, Marcelo, Ramos, Carvajal, Casemiro und Kroos), sowie in jene, die man bei guten Angeboten ziehen lassen sollte: Ronaldo, Bale, Benzema, Modric, Isco und Lucas Vázquez. Aus dieser Gruppe aber ging nur einer: Ronaldo, Garant für 50 Saisontore, die nun fehlen. Es kamen Spieler, die bestenfalls Komparsen sind, wie Odriozola oder Mariano, oder noch so unerfahren, dass sie in der zweiten Mannschaft spielen, obwohl sie 45 Millionen Euro gekostet haben (der Brasilianer Vinícius). Zudem wurde Torwart Thibaut Courtois (FC Chelsea) geholt, und brachte Unruhe ins Team, weil die bisherige Nummer eins, Keylor Navas, im Mannschaftskreis beliebt ist und erfolgreich war. Vor allem aber kam als Zidane-Nachfolger ein Trainer, der zunehmend aussieht wie ein Ritter der traurigen Gestalt: Julen Lopetegui.

Die anfängliche Begeisterung im Kader Real Madrids weicht zunehmend der Skepsis, heißt es in der spanischen Hauptstadt. Der Mann, der am Vorabend der WM in Russland vom Verband als Nationaltrainer rausgeworfen wurde, weil er schon bei Real Madrid unterschrieben hatte, steht dem phänomenalen Fehlstart ratlos gegenüber. Eine Reihe von Verletzungen - vor allem die Außenverteidiger Marcelo und Carvajal werden aktuell vermisst - dienen ihm noch als Alibi. Aber eine Reihe von Spielern sollen sich schon bei Pérez beschwert haben, weil sie gewisse Entscheidungen nicht nachvollziehen können. Kroos etwa fand sich zuletzt anstelle von Casemiro als Sechser vor der Abwehr wieder - was weder seinem Talent entspricht, noch der Mannschaft hilft. Er fehlt ihr im Spiel nach vorne.

Am Wochenende glühten bereits die Telefone zwischen den Präsidiumsmitgliedern Madrids, es gibt gewichtige Vorstände, die für eine sofortige Ablösung Lopeteguis plädierten. Der Markt wird schon seit Wochen sondiert.

Kurzfristig würde Santi Solari als Übergangslösung infrage kommen; als Favorit für die Folgezeit gilt der Italiener Antonio Conte. In den Zeitungen Madrids herrscht längst ein Konsens: Lopetegui spielt am 29. Oktober beim Clásico in Barcelona um seine Zukunft.

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