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Super Bowl:Tom Brady, der Held per Zufall? Von wegen!

Wie viel Glück hat der gefeierte Quarterback der Patriots in seiner Karriere gehabt? Diese Frage beschäftigt viele Football-Fans - dabei steckt hinter seinem Erfolg auch mörderisch harte Arbeit.

Kommentar von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Sie spielen im amerikanischen Sport gerne diese Was-wäre-wenn-Szenarien durch, und ganz besonders gerne tun sie das bei Tom Brady, weil sich an seiner Karriere so schön darstellen lässt, welch immensen Einfluss der Zufall auf ein Sportlerleben haben kann. Es gibt sogar Sondersendungen der US-Profiliga NFL, die in Anlehnung an den Liganamen "N if L" genannt werden und sich mit dem scheinbar unfassbaren Glück dieses Typen beschäftigen, der am Sonntag seinen sechsten Titel als Quarterback der New England Patriots gewonnen hat.

Was wäre also, wenn die Patriots im Jahr 1999 in der sechsten Runde nicht Brady, sondern Tim Rattay gewählt hätten, den sie für ebenso talentiert hielten? Brady wäre wohl nicht Profisportler geworden, sondern Versicherungsvertreter. Wenn sich der damalige Patriots-Quarterback Drew Bledsoe ein Jahr später nicht schwer verletzt hätte? Brady wäre wohl nur ein unbekannter Stellvertreter geblieben. Wenn die Schiedsrichter im Viertelfinale 2001 nicht diese höchst umstrittene Entscheidung pro Brady getroffen hätten? Er hätte keinesfalls seinen ersten Super Bowl gewonnen. Wenn die Carolina Panthers im Finale 2004 den Ball am Ende nicht ins Aus getreten hätten? Wenn die Seahawks beim Super Bowl 2014 den Ball einfach in die Endzone getragen und die Atlanta Falcons zwei Jahre später am Ende einen Laufspielzug gewählt hätten? Und so weiter und so weiter.

Seit fast 20 Jahren trinkt Brady keinen Alkohol

Brady ist tatsächlich einer, mit dem es die Götter besonders gut gemeint haben, und es streitet niemand ab, dass jeder Mensch zum Erreichen seiner Ziele auch sehr viel Glück benötigt. Allerdings werden diese andauernden Verweise auf Zufall seiner erfolgreichen Karriere nicht gerecht. Wer Brady mal persönlich näher kennengelernt, die Doku-Serie Tom vs Time gesehen oder das Fitnessbuch The TB12 Method gelesen hat, der weiß: Er ist ein Besessener, der sein komplettes Leben dem Erfolg unterordnet.

Gewiss, so was behauptet fast jeder Sportler, aber: Wer tut es tatsächlich, mit allen daraus folgenden Konsequenzen?

Brady beschäftigt den selbst bei den Patriots umstrittenen Fitnesstrainer Alex Guerrero, der den mittlerweile 41 Jahre alten Körper von Brady derart mörderisch bearbeitet, dass der noch immer mithalten kann. Er beschäftigt einen Koch, der ihm seit fast 20 Jahren keinen Alkohol gönnt, nur ab und zu ein bisschen Avocadoeis. Er hat viel Geld von den Patriots bekommen, insgesamt mehr als 212 Millionen bislang, er ist jedoch niemals der bestbezahlte NFL-Spieler gewesen und hat insgesamt auf mindestens 60 Millionen Dollar verzichtet, damit die Patriots wegen der Gehaltsobergrenze stets einen Kader mit realistischer Titelchance haben.

Brady hat neun Mal in seiner Karriere den Super Bowl erreicht, als Einzelspieler also häufiger als jede andere NFL-Franchise außer eben seinen Patriots. Er hat ihn sechs Mal gewonnen, so oft wie sonst kein anderer Spieler in der Geschichte. Es kann kein Zufall sein, wenn sich Dinge derart häufig wiederholen. Brady hat nicht überragend gespielt am Sonntag, aber er hat seine Mannschaft zum Titel geführt, mal wieder. Er ist keiner, der geliebt werden möchte, er zieht Motivation aus all diesen Verweisen auf Zufall. Er nimmt das alles wahr, er liest fast jeden bösen Bericht über ihn - auch deshalb, weil er weiß: Die höchste Form der Anerkennung ist noch immer der Neid.

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Quelle:
SZ vom 5.2.2019/jbe/rus
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