Süddeutsche Zeitung

Karriereende von Tom Brady:Alles richtig gemacht

Der beste Footballspieler der Geschichte hört auf. Diesmal wirklich - und auch wenn Tom Brady in seiner letzten NFL-Saison keinen Titel mehr holte: Er hat den Leuten dennoch etwas geschenkt zum Abschluss dieser Weltkarriere.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Tom Brady hat alles richtig gemacht am Dienstag. Er sitzt auf einer Wiese, hinter ihm ein hässlicher Plattenbau. Er bedient die Handy-Kamera selbst und sagt: "Ich will gleich zum Punkt kommen: Ich höre auf, endgültig diesmal. Ich weiß, dass es beim letzten Mal ein großes Tamtam gegeben hat. Als ich heute Morgen aufgewacht bin, habe ich gedacht: Ich drücke jetzt einfach auf den Aufnahmeknopf und lasse euch das wissen. Wird nicht zu lange dauern; man kriegt nur einen superemotionalen Essay am Karriereende, und ich hatte meinen schon letztes Jahr. Danke an alle, dass ich meinen Traum leben durfte."

Besser hätte es der beste Footballspieler der Geschichte nicht machen können - denn so wie er seinen Essay bereits im vergangenen Jahr geschrieben hat, sind auch alle Lobeshymnen und Dokus bereits erschienen. Brady hat seiner unfassbaren Karriere in der vergangenen Saison sportlich nicht besonders viel hinzugefügt - obwohl das, was er hinzugefügt hat, noch immer mehr war, als die meisten Footballprofis in ihrer Karriere erreichen: Die Tampa Bay Buccaneers haben die Playoffs erreicht (und dort in der ersten Runde gegen die Dallas Cowboys verloren), und er hat in München gespielt, 21:16 gegen die Seattle Seahawks. Es war ein Geschenk an die vielen deutschen Footballfans, diesen Typen mal mit eigenen Augen gesehen zu haben.

Es bleiben die Zahlen, die man schon beim ersten Rücktritt vor genau einem Jahr genannt hatte: Zehn Finalteilnahmen, sieben Super-Bowl-Triumphe, Titel in drei verschiedenen Jahrzehnten, mit den Patriots 2002, '04, '05, '15, '17 und '19 sowie 2021 mit den Buccaneers.

Ein paar Statistiken musste man aktualisieren: 251 Siege, davon 35 in den Playoffs. 649 Touchdown-Pässe. 89 214 Yards Raumgewinn mit Pässen. Alles Rekorde - es wäre einfacher, alle NFL-Bestmarken zu nennen, die er nicht aufgestellt hat. Besser geht es nicht, und wahrscheinlich wird auch nie wieder einer so erfolgreich sein, weshalb die Bezeichnung "Greatest of all Time" (die ja die Zukunft beinhaltet) in seinem Fall wahrscheinlich sogar stimmt.

Das wichtigste Organ eines Profis ist oft das zwischen den Ohren

Er hat den Leuten dennoch etwas geschenkt in dieser Saison. Man fragt sich bei solch Einzigartigen bisweilen, was man mitnehmen kann für sich, fürs eigene Leben. Bei Brady waren das drei Lektionen: Es gewinnt im Leben nicht immer der Begabteste; sondern häufig der, der am härtesten dafür arbeitet (seine Fitness- und Diätpläne sind berüchtigt). Zweitens: Nicht alles lässt sich statistisch erfassen, das wichtigste Organ eines Profis ist oft das zwischen den Ohren; ein Bereich, der noch immer völlig unzureichend erforscht ist und deshalb meist nur als "mentale Stärke" bezeichnet wird.

Drittens: Der Beste verdient nicht immer das meiste Geld. Brady war in seiner Karriere niemals der bestbezahlte NFL-Profi, er war noch nicht mal der bestbezahlte Quarterback. Dadurch ermöglichte er seinen Vereinen aber angesichts der Gehaltsobergrenze, ihm bessere Leute an die Seite zu stellen. Ja, Brady hatte sehr häufig grandiose Mitspieler, aber man könnte mal fragen, ob er nicht einen gewaltigen Anteil hatte mit seinem Verzicht auf noch mehr Geld. Antwort: Ja, hatte er.

Was Brady den Leuten in dieser Saison beigebracht hat, ist im Doku-Film "The Tuck Rule" zu sehen. Es geht um diese Schiedsrichterentscheidung im ersten Playoff-Spiel seiner Karriere, Januar 2002 gegen die Oakland Raiders, über die noch heute heftig debattiert wird, wie im Fußball übers Wembley-Tor. Irgendwann geht es deshalb auch um die Frage: Was wäre gewesen, wenn die Referees gegen ihn entschieden hätten? Er wäre, da sind sich fast alle einig, in der Saison danach Bankdrücker gewesen statt Super-Bowl-Champion und Stammspieler - und die Leute hätten über diese Situation gesagt: Im entscheidenden Moment versagten ihm die Nerven, er verlor ja den Ball.

Bradys Botschaft: Sei immer bereit, dann bist du es auch, wenn das Glück dir hold ist

"Ich hatte sehr viel Glück in meiner Karriere", sagt Brady: "Aber: Ich hätte schon einen Weg gefunden. Großartige Dinge passieren, wenn Glück und gute Entscheidungen zusammenkommen - und ich glaube, dass ich einige richtige Entscheidungen getroffen habe." Der Mann, der am meisten unter dieser Entscheidung gelitten hatte - Charles Woodson, einst Studienkumpel an der University of Michigan, hatte ihn damals umgerissen -, sagt heute darüber: "Ich mag den Begriff Schicksal nicht. Für viele Dinge im Leben bist du verantwortlich."

Brady war: bereit. Immer. Das ist der wirkliche rote Faden dieser Karriere. Er war nicht einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort - er war fast immer am richtigen Ort. Wie oft sagt man: "Wenn ich auch mal die Chance kriegen würde, wenn dies und das anders gelaufen wäre, wenn jemand mein Talent erkennen würde ..." Aber: Wie oft im Leben lässt man Gelegenheiten verstreichen, weil man in diesem einen Moment doch nicht bereit ist? Bradys Botschaft ist: Sei immer bereit, dann bist du es auch, wenn das Glück dir hold ist.

Er ist nun offenbar bereit für ein neues Leben. Endgültig. Er hat viel richtig gemacht in seiner Laufbahn, und er hat alles richtig gemacht am Dienstag. Als er sentimental wird, als man merkt, dass die Tränen in ihm hochsteigen, tut er das, was er auch mit seiner Karriere getan hat: Er sagt, dass er alle lieb hat, drückt auf "Stop", und das war's.

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