Die aktive Karriere des besten Quarterbacks der Geschichte ist nun also endgültig und offiziell vorbei. Weniger deshalb, weil es völlig okay ist, einen 47 Jahre alten Körper nicht mehr den Strapazen und Gefahren einer American-Football-Saison auszusetzen. Sondern, weil Tom Brady sich als Minderheitseigner der Las Vegas Raiders eingekauft hat. Denn das bedeutet qua Reglement der US-Footballliga NFL, dass er nicht mehr aktiv sein darf.
Eigentümer der 32 NFL-Franchises stimmten beim jährlichen Treffen in der vergangenen Woche dafür, dass Brady für etwa 300 Millionen Dollar fünf Prozent der Raiders-Anteile bekommt und eine Investorengruppe, an der Brady beteiligt ist, für den gleichen Betrag weitere fünf Prozent erhält. Die Raiders sind demzufolge etwa sechs Milliarden Dollar wert, und angesichts der Entwicklung von NFL und Las Vegas als Sportmetropole lässt sich prognostizieren: Das dürfte in den kommenden Jahren nicht weniger werden. Es ist also ein cleverer Schachzug für jeden, der genügend Geld hat, das zu tun – doch ist Geld sicher nicht der Hauptgrund für Brady.
Sport-Kapitalismus in den USA:Wie in Oakland eine Sportmetropole niedergeht
Am Donnerstag absolvieren die Baseballer der Athletics ihr letztes Spiel in der Stadt nahe San Francisco. Sie hat damit innerhalb von fünf Jahren drei Profiklubs verloren: die A’s, die Raiders und die Warriors – und mit ihnen ein großes Stück Identität.
„Ich habe ihn lange Zeit nicht besonders gemocht“, sagt Raiders-Mehrheitseigner Mark Davis und wirft damit die erste Frage dieses Deals auf: Warum will Brady ausgerechnet an den Raiders beteiligt sein? Als Kind war er Fan der San Francisco 49ers, als Spielmacher hat er mit den New England Patriots sechs, mit den Tampa Bay Buccaneers einen Super-Bowl-Titel gewonnen. Mit den Raiders verbindet ihn eher, dass seine so unwirklich grandiose Laufbahn gegen die Raiders erst begonnen hatte: Im ersten Playoff-Spiel seiner Karriere im Januar 2002 trafen die Schiedsrichter eine Entscheidung, über die sie in den USA heute noch debattieren wie in Europa übers Wembley-Tor 1966. Sie fiel gegen die Raiders und pro Brady aus, der ein paar Wochen später zum ersten Mal Meister wurde.
Wer mit Brady damals Erfolg haben wollte, der wurde besser selbst ein Football-Besessener
„Er hat ja mittlerweile zugegeben, dass er damals den Ball verloren hat; das war mir schon wichtig“, sagt Davis nun. Brady hat das in der Doku „The Tuck Rule“ getan, doch war dies nicht die bedeutsamste Aussage in diesem Film. Wichtiger ist diese, weil sie den Typen Tom Brady erklärt und auch, warum er künftig in Las Vegas tätig sein will: „Ich hatte sehr viel Glück in meiner Karriere. Aber: Ich hätte schon einen Weg gefunden, erfolgreich zu sein.“
Was Brady schon als Student kapiert hat: Der Beitrag des Einzelnen ist in Teamsportarten limitiert, zudem gibt es viele unwägbare und unkontrollierbare Elemente wie Verletzungen, Wetter oder, siehe Playoffs 2002: Schiedsrichterentscheidungen. Kann also sein, dass man selbst der Allerbeste ist und grandios spielt – und dennoch verliert. Was aber in Bradys Weltbild niemals passieren darf: dass sein Team verliert, weil er nicht vorbereitet gewesen ist. Sein Mantra („Kontrolliere das Kontrollierbare“) passte wie die Faust aufs Auge zu dem der Patriots, für die er 20 Spielzeiten lang tätig war: „Do your Job!“
Der Beste bestimmt über die Kultur; nicht nur bei einem Sportverein, sondern an jedem Arbeitsplatz. Welcher Mitarbeiter würde wagen, seinen Job nicht zu erledigen, wenn der Beste der Geschichte anderen vorlebt, was es bedeutet, das Leben voll auf Football auszurichten und dem Erfolg alles unterzuordnen? Das war Brady: ein Besessener. Wer gemeinsam mit ihm erfolgreich sein wollte, der wurde besser selbst zu einem Besessenen.
Und was macht einer, der nicht mehr besessen sein darf, weil er alles gewonnen hat?
Er wurde wie so viele ehemalige Quarterback-Berühmtheiten Kommentator. Der TV-Sender Fox gab ihm einen Zehnjahresvertrag, der mit 375 Millionen Dollar vergütet wird und Bradys Privatvermögen auf mehr als eine Milliarde Dollar anwachsen lassen wird. Er kommentiert gemeinsam mit Kevin Burkhardt jeweils das Fox-Topspiel, am Sonntag ist das: 49ers gegen Titelverteidiger Kansas City Chiefs. Burkhardt schreibt in einer Textnachricht an die SZ, dass er noch nie jemanden erlebt habe, der sich so penibel vorbereitet habe auf diesen Job: Brady habe gefordert, dass die beiden eine komplette 17-Spiele-Probesaison kommentieren als Vorbereitung auf das, was tatsächlich kommen würde.
Nur: Reicht es, von der Kommentatorenbox aus mit anderen einstigen Quarterbacks wie Tony Romo (CBS), Drew Brees (Amazon), Peyton Manning und Troy Aikman (beide ESPN) zu konkurrieren? Der Quarterback mag die wichtigste Figur auf dem Spielfeld sein, wer aber wirklich bestimmt, was in NFL und American Football passiert, sind die Eigentümer der 32 Vereine, die mit Commissioner Roger Goodell (Angestellter der Eigner) sämtliche Entscheidungen treffen. Brady hat also seine Macht in diesem Kosmos, der seit der Kindheit sein Leben ist, nun weiter ausgebaut.
Las Vegas ist der perfekte Ort für ihn, denn: Er will gewinnen; kaum eine Sportstadt ist dafür so prädestiniert wie Vegas, das vom Sündenpfuhl zum Sport-Mekka werden will. Brady war bereits Minderheitseigner des Frauenbasketballteams Aces, das 2022 und 2023 Meister geworden ist. Es gibt Gerüchte, dass er an jenem NBA-Team beteiligt sein könnte, das bei der geplanten Expansion 2027 in Vegas angesiedelt und von LeBron James geleitet werden dürfte.
Nun aber erst mal die Raiders, die seit mehr als 40 Jahren keinen Titel mehr geholt haben und sich derzeit mal wieder im Umbau befinden – wie das jüngste Tauschgeschäft zeigt, bei dem Vegas den Receiver Davante Adams zu den New York Jets schickte und dafür das Wahlrecht bei der Talentbörse in der kommenden Sommerpause bekam.
In seiner aktiven Zeit bog Brady die Regeln so, dass er größtmöglichen Erfolg hatte
Brady dürfte behilflich sein bei der Suche nach einem Franchise-Quarterback für die Zukunft, auch wenn er wegen seiner Kommentatoren-Tätigkeit ein bisschen aufpassen muss: Qua Reglement darf er neben anderen Einschränkungen (keine öffentliche Kritik an Schiedsrichtern) kein Training anderer Teams besuchen oder Akteure so sehr loben, dass es als Locken zu den Raiders ausgelegt werden könnte. Wenn Brady aber während seiner aktiven Karriere noch etwas bewiesen hat, dann dies: Er biegt Regeln so, dass er größtmöglichen Erfolg hat und immer damit durchkommt. Im US-Sport gilt das nicht als Schwäche, sondern als Qualität.
„In meiner aktiven Karriere habe ich gelernt, dass es bei Football um Teamwork geht, um Resilienz und das unermüdliche Streben nach Spitzenleistung. Las Vegas und die Raiders verkörpern diese Werte“, sagt Brady in einem Statement, das damit endet, was er für das Wichtigste hält: „Footballspiele gewinnen“. Genau das war der Fixstern für den legendären, mittlerweile verstorbenen Raiders-Eigentümer Al Davis; er sagte: „Just win, baby!“ Sohn Mark führt nun die Geschäfte, beim Umzug nach Vegas ließ er im neuen Stadion eine riesige Fackel im Gedenken an seinen Vater bauen, mit diesem Zitat: „Das Feuer, das am hellsten brennt in der Raiders-Organisation, ist der Siegeswille.“ Brady hat die perfekte Heimat gefunden für seine nächste Karriere in der Football-Welt.