Süddeutsche Zeitung

Tokio 2020:Olympische Hitzespiele

  • Die Endrunde der Oberschul-Baseball-Meisterschaft ist in Japan das populärste Sportereignis - und findet gerade unter Bedingungen statt, die auch für die Olympischen Spiele 2020 interessant sind.
  • Es herrschen Temperaturen über 37 Grad und eine hohe Luftfeuchtigkeit.
  • Diese Frage wird nun immer wieder gestellt: Ist Tokio nicht zu heiß für Olympische Sommerspiele?

Von Christoph Neidhart, Tokio

Wenn draußen mal wieder die Sonne über Japan knallt, wie fast immer im August, verbarrikadiert sich Toshiko Uchida in ihrem Häuschen. Die Vorhänge bleiben zu, die Klimaanlage brummt. Wenn es so heiß sei, gehe sie überhaupt nicht raus, sagt die 78-jährige Tokioterin. "Nicht einmal einkaufen, ich lebe aus der Tiefkühltruhe." Und das Fernsehen zeige ohnehin "Koshien", den ganzen Tag. Koshien - damit meint Uchida die Endrunde der Oberschul-Baseball-Meisterschaft, das größte Sportereignis Japans. Man kann sagen: Die Oberschul-Baseball-Meisterschaft ist hier populärer als die Fußballweltmeisterschaft oder die Olympischen Sommerspiele. Die finden bekanntlich in zwei Jahren in Tokio statt. Ebenfalls mitten im Sommer.

Dieser Tage treten im Koshien, wie eigentlich das älteste Baseballstadion Japans in einem Vorort von Osaka heißt, 56 für die Endrunde qualifizierte Schüler-Mannschaften gegeneinander an. Sie haben sich aus 3781 Teams durchgesetzt. Jede Mannschaft bringt Blaskapelle und Cheerleader mit.

Das 17-tägige Turnier wird immer im August ausgetragen. Ausgerechnet im August, wenn es am heißesten ist. Das Thermometer steigt auf über 37 Grad; zudem ist es feucht. Sehr feucht. Glücklich die, die wie Frau Uchida die Spiele in klimatisierten Räumen verfolgen können.

Der japanische Sommer war schon immer heiß. Doch in den vergangenen Jahren hat sich das Klima noch verschärft. Die Hitze setzt zudem immer früher ein, heuer schon Anfang Juli. Bis Mitte August forderte sie bereits mehr als hundert Tote, 57 000 Japaner mussten wegen Hitzschlags oder Dehydrierung ins Krankenhaus. In Takahashi, einer Kleinstadt nördlich von Tokio, starb ein Häftling in seiner Zelle an einem Hitzschlag. Und eine Schule in derselben Region musste ihr Schwimmbecken sperren. Das Wasser war zu heiß geworden.

Diese Frage wird nun immer wieder gestellt: Ist Tokio nicht zu heiß für Olympische Sommerspiele? Wie sollen die Athleten zum Beispiel den Marathon überstehen? Oder ein Fußballspiel? Und wie schützt man die Zuschauer? Messungen zeigten im vorigen Sommer, dass im Nationalstadion in Tokio zwischen Mitte Juli und Mitte September an 26 Tagen, also fast an jedem zweiten Tag, gesundheitsgefährdende Bedingungen herrschten. Und steigt die Feuchtigkeit bei 35 Grad auf 70 Prozent, das ist keine Seltenheit, dann fühlt sich das schnell mal wie 41 Grad an. Das japanische Umweltministerium rät schon ab 32,5 Grad von Sport im Freien ab.

Bei der Oberschul-Baseball-Meisterschaft herrscht jedoch Gelassenheit. "Die Spieler werden medizinisch überwacht und betreut", versichert Verbandsfunktionär Masahiko Takenaka. Es gebe Trinkpausen, Wassersprüher und Ventilatoren. Von einer Verlegung des Turniers in eine klimatisierte Halle oder auf die Abendstunden möchte er nichts wissen. Baseball ist Japans Nationalsport.

Der vergangene Samstag war der Tag der Viertelfinale. Das Morgenspiel begann um 8.30 Uhr, da herrschten noch angenehme Temperaturen. Während des dritten Matches aber, Nichidai III aus Tokio gegen Shimonoseki Kokusai, kletterte das Thermometer auf über 33 Grad. Auf der Außenfeldtribüne, den billigen Plätzen, klagten die Zuschauer: "Atsui-desu", es ist heiß. Aber das ist in Japan eher eine sommerliche Begrüßung als eine Klage.

Beutel mit Eiswürfeln werden verkauft, mit denen man sich einreibt

So richtig scheint sich niemand an der Hitze zu stören. 47 000 Zuschauer wedeln mit ihren Fächern, tragen Baseball-Mützen oder Strohhüte und feuchte Handtücher im Nacken. Und ständig kommen Getränkeverkäuferinnen vorbei. Es fließt viel Bier. Auch Beutel mit Eiswürfeln werden verkauft, mit denen man sich einreibt. Oder man lutscht sie.

Und die Spieler? Schon vor hundert Jahren prägte der japanische Trainer Tobita Suishu den Begriff "Todestraining". Die Spieler, so meinte er, müssten ihren Erfolg "erdauern", es müsse wehtun. Und wer schon als Schüler in der Hitze des Koshien brilliert, der beweist sich als hart. Dafür wird er im ganzen Land bekannt und hat gute Chancen auf einen Profivertrag. Sport - in Japan hat das immer auch etwas Militärisches. Und Zuschauer wie die Witwe Uchida mögen es, sportliche Schüler aus ihrer Präfektur am Bildschirm zu bewundern. "Ach", sagt sie, "das sind ja alles junge Leute..."

Und doch tun manche Politiker und Funktionäre gerade so, als überrasche sie die Hitze. Die Regierung zum Beispiel hat sie zur Naturkatastrophe erklärt. Und Tokios Bürgermeisterin Yuriko Koike stellt fest: "In Tokio fühlt sich das Leben an wie in einer Sauna. Die Frage, wie wir mit der Hitze umgehen, wird zu einem Pfeiler des Erfolgs unserer Spiele." Die Athleten seien ja trainiert. Aber sind auch die ausländischen Zuschauer den Strapazen gewachsen?

"Olympische Sommerspiele im Oktober sind einfach weniger wert"

1964 fanden die Olympischen Spiele erstmals in Tokio statt. Allerdings im Oktober. So war es auch 1968 in Mexico City. Und 1956 in Melbourne verlegte man sie sogar auf Ende November. Damals gab es das Diktat des Fernsehens und des Sponsorengeldes noch nicht. "Olympische Sommerspiele im Oktober sind einfach weniger wert", befand kürzlich Neal Pilson, der frühere Sportchef des amerikanischen Fernsehsenders CBS, in einem Interview. Finden die Spiele vor allem deshalb zwischen Mitte Juli und Ende August in Tokio statt, weil in dieser Zeit das amerikanische Fernsehen keine Serien zeigt? In den Unterlagen des Bewerbungskomitees hieß es jedenfalls noch, Tokio biete "ein ideales Klima für Athleten und Höchstleistungen". Der Sommer sei "sonnig, mit vielen milden Tagen". Heute klingt das ein bisschen anders.

Wie aufreibend Bewegung in der sommerlichen Hitze sein kann, das demonstrieren derzeit vor allem die sogenannten Bier-Girls. Mädchen wie die Studentin Kumiko, die mit einem zwanzig Kilo schweren Bierfass-Rucksack auf dem Rücken mit Plastikbecher und Zapfschlauch die Zuschauerreihen abmarschieren. Stets freundlich lächelnd, mit Schweißperlen auf der Stirn und knielangen Stützstrümpfen unter der Brauerei-Uniform. Nur für Sekunden huscht Erschöpfung über ihr Gesicht. "Ja, die Hitze macht mich völlig fertig", sagt Kumiko. "Noch zwei Tage."

Die Stadt Tokio hat jetzt ein spezielles Spray entwickeln lassen. Mit Nano-Partikeln, die Hitze und UV-Strahlen reflektieren und so die Temperatur verringern sollen. Bis zu hundert Kilometer Straße und einige Stadien sollen damit gekühlt werden. Man setzt auch auf neue Straßenbeläge. Denn die sollen ebenfalls kühlend wirken. Es ist ja nicht so, dass man sich keine Gedanken macht.

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Quelle:
SZ vom 22.08.2018/ick
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