Olympische Spiele in Tokio:Wie Japan die Probleme vor Olympia wegwischt

Olympische Spiele in Tokio: Yuriko Koike ist Tokios Bürgermeisterin - sie hat viel vor mit Olympia 2020.

Yuriko Koike ist Tokios Bürgermeisterin - sie hat viel vor mit Olympia 2020.

(Foto: AFP)
  • Olympia 2020 in Tokio sollte nachhaltig, günstig und vernünftig werden - doch jetzt zeigt sich, dass das schwierig wird.
  • 2020 werden die vierten Olympischen Spiele in Japan ausgetragen, die Kosten sind jedesmal explodiert.

Von Christoph Neidhart, Tokio

Olympia schafft Wunder. Bei den nächsten Sommerspielen, die in genau einem Jahr in Tokio eröffnet werden, also am 24. Juli 2020, werden die Budgets eingehalten, und das befürchtete Verkehrschaos bleibt aus. Das versprach zumindest Tokios Bürgermeisterin Yuriko Koike, offiziell die Gastgeberin der Spiele, vorige Woche der Auslandspresse. Die meisten Wettkampfstätten seien fast oder ganz fertig, das skandalgeplagte Nationalstadion stehe im Dezember bereit. Das ist zwar zu spät für das Finale der Rugby-WM im Herbst, für das es ebenfalls geplant war, aber noch früh genug für Olympia. Tokio will zudem den Verkauf von klimaneutralen Autos ankurbeln und den Plastikmüll um 40 Prozent reduzieren, sagte Koike. Und an zwei Tagen, bei Eröffnungs- und Schlussfeier, werde Olympia CO2-neutral.

Das Wunder, mit dem Tokio das größte Sportereignis der Welt für zwei Tage klimaneutral gestaltet, heißt Emissionshandel. Gemäß Kyoto-Protokoll können reiche Länder armen Staaten CO2-Ausstoßrechte abkaufen. Dann zählt das CO2 nicht, das sie ausstoßen. Die Stadt Tokio wird selber keine solchen Emissionsrechte kaufen, aber sie hat Sponsoren gefunden, die ihr diesen CO2-Ablass spenden. Das erlaubt es Tokio, sich umsonst als Öko-Vorbild zu feiern.

Was bleibt denn nun von diesen Spielen? Die Stadt werde rollstuhlgerechter, sagt Koike

Olympia 2020 ist wie nie zuvor im Griff der Sponsoren. In London 2012 zahlten sie eine Milliarde Euro (ohne TV-Gelder), in Tokio werden es drei Milliarden sein. Auf die Frage, ob entsprechend mehr Tickets an Unternehmen gehen, wie gemunkelt wird, gibt es keine Antwort. Die Organisatoren haben mit großem Tamtam eine Lotterie durchgeführt, an der Japaner das Recht gewinnen konnten, für gewünschte Disziplinen teure Eintrittskarten zu kaufen. "Haben Sie alle mitgemacht?", fragte Koike neckisch. Viele Tokioter haben mitgemacht, 90 Prozent gingen leer aus - "dann versuchen Sie es halt in der zweiten Runde", rät die Stadtchefin.

Vor der Vergabe lehnten viele Einwohner die Idee ab, Olympia nach 1964 erneut nach Tokio zu holen. Oder es war ihnen egal. Inzwischen sagen die meisten "shoganai" - man kann nichts machen - und helfen mit. Für 80 000 unbezahlte Jobs haben sich 200 000 Freiwillige gemeldet. Aber dann möchte man auch Karten. Nur im Norden, der 2011 von der Dreifachkatastrophe mit Erdbeben, Tsunami und dem Nuklearfall von Fukushima verwüstet wurde, blickt man mit Groll auf die Spiele. Die Regierung nannte sie "Wiederaufbau-Olympia" und zog dafür Baukapazität aus dem Norden ab und kürzte Zuschüsse.

Wenn der G20-Gipfel im Juni ein Beispiel war, wie Japan bei Großereignissen ein Verkehrschaos verhindert, dürfte Koike Recht behalten. Die Millionenstadt wurde förmlich dicht gemacht, alle Stadtautobahnen waren für den normalen Verkehr gesperrt. 32 000 Polizisten aus dem ganzen Land wurden nach Osaka abkommandiert, sie bewachten jede Kreuzung.

In seiner Bewerbung hatte Tokio vernünftige, ökologische und günstige Spiele versprochen. Die meisten Wettkampfstätten seien gebaut, das Nationalstadion von 1964 müsse nur modernisiert werden. Doch kaum hatte Tokio den Zuschlag erhalten, wurde dieses Baudenkmal abgerissen. Es sollte einem Mega-Projekt der Stararchitektin Zaha Hadid für drei Milliarden Euro weichen, das die Leute als "Fahrradhelm" verspotteten. Es gefiel selbst dem Organisationskomitee nicht, doch keiner wagte, etwas zu sagen. Bis Premier Shinzo Abe es für zu teuer erklärte. Der Architekt Kengo Kuma baut nun für ein Drittel.

Unabhängigen Schätzungen zufolge kosten die Spiele etwa 30 Milliarden Euro, das Vierfache des ursprünglichen Budgets. Japans Rechnungshof kalkuliert mit 20 Milliarden Euro. Im Vorjahr fanden seine Inspektoren 284 Ausgabenposten der öffentlichen Hand, die mit Olympia begründet, aber in anderen Budgets versteckt wurden. Der Staat und die Stadt Tokio gaben damals zu, dass sie ihre Budgets von je fünf Milliarden Euro deutlich überschritten. Jetzt behauptet Koike, dank "verschiedener Ideen" würden die Budgets eingehalten. Zu diesen Ideen gehört, dass Wettkampfstätten in städtische Investitionen für die Zukunft umdefiniert wurden - damit fallen sie aus dem Olympia-Budget.

2020 werden die vierten Olympischen Spiele in Japan ausgetragen, die Kosten sind jedes Mal explodiert. Wie 1964 in Tokio, 1972 in Sapporo und 1996 in Nagano gibt es auch jetzt Korruptionsvorwürfe. Dass die Japaner den Zuschlag für Nagano erkauft hatten, gilt als bewiesen. Tsunekazu Takeda, der Präsident des japanischen Olympia-Komitees, musste zurücktreten, weil er Zahlungen an korrupte afrikanische Funktionäre kurz vor und nach der Olympia-Vergabe nicht erklären konnte.

Jeder weiß, wie heiß der Sommer in Tokio werden kann - nur die Organisatoren sind überrascht

1964 nutzte Tokio Olympia allerdings auch zum Ausbau seiner Infrastruktur, für die Stadtautobahn zum Beispiel. In Sapporo wurde damals das komplette Verkehrsnetz gebaut, das bis heute genutzt wird. Auf die Frage, welche nachhaltigen Verbesserungen die Spiele 2020 bringen, sagte Koike, die Stadt werde rollstuhlgerechter.

Mitte Juli geht in Tokio die schwüle Regenzeit zu Ende. Das Thermometer steigt von zuvor etwa 30 auf bis zu 40 Grad. Die Sonne knallt, die Hitze lässt auch nachts kaum nach. Für Ausdauersportarten ist der Tokioter Sommer ungeeignet. Die Spiele 1964 fanden im Oktober statt. Japans Ärztevereinigung warnte, bei diesen Temperaturen könne ein Marathon tödlich enden, wenn er nicht spätestens um 5.30 Uhr gestartet würde; bei den Geherwettbewerben sollte es noch früher sein. Um ein Debakel zu vermeiden, werden nun Wasserzerstäuber eingerichtet, ein neu entwickelter Straßenbelag soll die Sonnenwärme abstoßen, man pflanzt Bäume entlang der Strecken. Den Zuschauern, die eher gefährdet sind als gut vorbereitete Athleten, will man Sonnenmützen und Fächer geben. Für Notfälle werden Hitzschlag-Zelte aufgestellt. Allerdings wird befürchtet, die medizinische Versorgung der Bevölkerung werde dadurch beeinträchtigt.

Die Vorbeugemaßnahmen sollten derzeit bei Testwettkämpfen geprüft werden. Doch bisher ist der Sommer so kühl wie seit Jahren nicht mehr: Das Testrennen der Radfahrer fand am Sonntag bei 20 und 25 Grad statt. Der Hitzeschutz konnte nicht geprobt werden.

Im Vorjahr waren die Temperaturen auf mehr als 40 Grad gestiegen. Die Organisatoren redeten sich auf den Klimawandel hinaus und taten so, als überrasche sie die Hitze. "Wir haben jetzt erkannt, wie ernst die Bedrohung ist", sagte OK-Chef Toshiro Muto damals. Das war Heuchelei oder ein Versuch, das Gesicht zu wahren. In Tokios Bewerbungsunterlagen wurde behauptet, in der Zeit Ende Juli herrschten Temperaturen von 25 bis 29 Grad bei moderater Feuchtigkeit, also ideale Bedingungen. Jeder wusste, dass das nicht stimmte.

Bereits 2009, als sich Tokio um die Spiele 2016 bewarb, gestand Ichiro Kono, der Chef des damaligen Bewerbungskomitees, der SZ, die Hitze sei ein großes Problem. Aber Tokio habe keine Wahl, das Internationale Olympische Komitee zwinge die Veranstalter, Sommerspiele zwischen Mitte Juli und Ende August zu legen. Zu anderen Zeiten würde das US-Fernsehen weniger für die Senderechte zahlen.

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