Clemens Tönnies:Von niemandem leicht wegzuschieben

Clemens Tönnies: "Seine Äußerung hat mich sehr überrascht, geschockt und auch verletzt", sagt Gerald Asamoah, der Schalker Ex-Nationalspieler (re.). Mit Clemens Tönnies (Mitte, neben Finanzvorstand Peter Peters), das sagt Asamoah aber auch, sei er immer sehr gut ausgekommen.

"Seine Äußerung hat mich sehr überrascht, geschockt und auch verletzt", sagt Gerald Asamoah, der Schalker Ex-Nationalspieler (re.). Mit Clemens Tönnies (Mitte, neben Finanzvorstand Peter Peters), das sagt Asamoah aber auch, sei er immer sehr gut ausgekommen.

(Foto: imago sportfotodienst)

Schalkes Ehrenrat entscheidet über die Zukunft seines Aufsichtsratschefs. Tönnies und Schalke - das war schon vor seinen rassistischen Äußerungen eine komplizierte Geschichte.

Von Hans Leyendecker

Clemens Tönnies liebt drastische Formulierungen, und es ist nicht immer einfach, bei dem Fleischfabrikanten und Aufsichtsratschef des FC Schalke 04 gleich zu erkennen, was er wirklich meint - oder was er nur mal so gesagt hat. Manchmal, so scheint es, kennt selbst er die Unterschiede nicht.

Dass ihm ein Widersacher eines anderen Fleischkonzerns ein "Messer in den Rücken gejagt hat - das werde ich doch noch öffentlich sagen dürfen. Oder?" Als er das sagte, sah er verdammt gesund aus.

Oder als er arge Probleme mit der Staatsanwaltschaft hatte. Da knurrte er bei Tisch: Wenn das so weiter geht, könne es passieren, dass er "eines Tages mit zehn Litern Benzin" zum Marktplatz seiner Heimatstadt Rheda gehe und sich anzünde. Geglaubt hat ihm das niemand.

Schon von Berufs wegen hat Tönnies die Fähigkeit, die Wirklichkeit auf seine Weise zu zerlegen. Mit echtem oder künstlichem Karacho geht er auch gern auf Gegner los. Wortkaskaden begleiten seinen Weg.

Tönnies ist im Wortsinn ein Patron. Man braucht aber eine Weile, um das zu erkennen

Aber was er vorigen Donnerstag am "Tag des Handwerks" in Paderborn vor rund 1600 Zuhörern zu dem doch eigentlich überschaubaren Thema "Unternehmertum mit Verantwortung - Wege in die Zukunft der Lebensmittelerzeugung" von sich gab, das war auch für Tönnies-Verhältnisse eine ganz besondere Absurdität.

Erst redete der 63-Jährige über Steuern und sagte zunächst das, was manche gerne hören: Keine Steuererhöhung, auch nicht wegen des Klimawandels. Statt die Abgaben zu erhöhen, solle "man lieber jährlich zwanzig Kraftwerke in Afrika finanzieren". Dann, so folgerte Tönnies, "würden die Afrikaner aufhören, Bäume zu fällen, und sie hören auf, wenn's dunkel wird, Kinder zu produzieren".

Rassistisch, falsch, dumm, idiotisch. Die öffentlichen Urteile über die Tönnies-Äußerungen fielen einhellig aus. Wie es intern gesehen wird, darüber befindet an diesem Dienstag der fünfköpfige Schalker Ehrenrat. Tönnies hat sein Erscheinen vor dem Rat zugesagt; mögliche Sanktionen reichen von einer "Verwarnung", einem "Verweis" bis zur "Enthebung aus Vereinsämtern auf Zeit und Dauer".

"So etwas rutscht einem bei einer offiziellen Rede nicht einfach heraus, da steckt, eine hochproblematische Einstellung dahinter", erklärte bereits Sylvia Schenk von der Organisation "Transparency International". Der ehemalige deutsche Nationalspieler und Schalker Profi Gerald Asamoah, 40, schrieb bei Instagram, er sei "etwas sprachlos. ... Seine Äußerung hat mich sehr überrascht, geschockt und auch verletzt". Er sei mit Tönnies schon lange eng befreundet, schrieb Asamoah weiter, "mir gegenüber hat er sich nie rassistisch verhalten".

Asamoah wurde in Ghana geboren, auf Schalke nannten sie ihn, als er 1999 von Hannover 96 kam, erst "Asa", dann "Blondie". Bis heute ist das sein Spitzname. Rudi Assauer, der jüngst verstorbene, langjährige Schalker Manager, hatte als erster "Blondie" gesagt. Ein Fußballer-Witz?

Ehrenrat des FC Schalke 04

Der Schalker Ehrenrat besteht aus fünf Mitgliedern, die mehr als 30 Jahre alt und mindestens fünf Jahre im Verein sein müssen. Mindestens zwei Mitglieder müssen die Befähigung zum Richteramt haben.

Die aktuellen Ehrenräte sind:

Prof. Dr. Klaus Bernsmann (Leiter des Lehrstuhls für Straf- und Prozessrecht an der Uni Bochum).

Götz Bock (Richter am Hessischen Finanzgericht).

Hans-Joachim Dohm (Evangelischer Pfarrer i.R.).

Bernhard Terhorst (Steuerberater).

Kornelia Toporzysek (Richterin OLG Düsseldorf).

Clemens Tönnies, 63, wird oft als Schalker "Klubchef" bezeichnet. In offizieller Funktion ist er Vorsitzender des elfköpfigen Aufsichtsrates, dem auch Ex-Trainer Huub Stevens angehört. Den Vorstand bilden aktuell drei Klubbosse: Peter Peters (Finanzen), Jochen Schneider (Sport) und Alexander Jobst (Marketing, Kommunikation).

Tönnies ist im Wortsinn ein Patron. Man braucht allerdings eine Weile, um das zu erkennen. Sein Büro ist ein offenes Zimmer in Rheda-Wiedenbrück; er isst mit den Abteilungsleitern seiner Firma mittags am Konferenztisch. Und dann gibt es doch immer wieder die Augenblicke, da erinnert er an Repräsentanten einer anderen Generation. Das waren Leute, die hinter gepolsterten Türen saßen, Zigarren rauchten und dort ihre Schlachtpläne entwickelten. Tönnies liebt es, Schlachten zu schlagen.

Er raucht Zigarre, ist Großwildjäger, singt gern, manchmal auch auf Touren spätabends, wenn Mitreisende sich nach Ruhe sehnen. Nach dem WM-Gewinn 2014 in Brasilien sang er auf der Siegesfeier im Copacabana Palace mit Manuel Neuer im Arm das Lied der Toten Hosen: "Tage wie diese". Das Lied für einen Moment.

Tönnies hat gelernt, solche Momente zu schätzen; vermutlich, weil er weiß, dass es bald wieder neue Probleme geben wird. Im Beruf und auch im Verein. Eigentlich weiß er mit Widerständen aller Art fertig zu werden. Egal, auf welcher Spielfläche. Aber Rassismus ist kein Spiel.

Ein ostwestfälischer Dickschädel. 1,86 Meter groß, 184 Pfund schwer. So einer lässt sich von niemandem leicht wegschieben. Ein Aufsteiger mit Ideen, die nicht jeden begeistern. Gemeinsam mit einem Messerhersteller rief er 2004 den Fleischerei-Wettbewerb "Deutsche Zerlege-Meisterschaft" ins Leben. Teilnehmer müssen Schweineschultern ausbeinen, also den Knochen fachgerecht aus dem Fleisch von Schlachttieren lösen. Da ist Tönnies ein echter Spezialist. Kälbchen allerdings, erzählt er, könne er "nie töten". Seine Fähigkeit zur Selbstsuggestion ist beachtlich.

Einst war Tönnies' Wort auf Schalke Gesetz. Das hat sich geändert.

Vom Metzgern versteht er eine Menge. Als Metzgerskind wuchs er in Rheda als eines von sechs Geschwistern auf. Sein älterer Bruder Bernd gründete 1971 einen Großhandel für Fleisch- und Wurstwaren und holte Clemens in die Firma. Bernd war der Kopf. Der Souverän. Sehr dominant. 1994 starb Bernd Tönnies. Er war erst 42.

Kaum ein Treffen mit Clemens Tönnies, bei dem er nicht über seinen Bruder redet. Was Bernd nicht alles gemacht, gesagt, geplant hat. Manchmal könnte man den Eindruck haben, er wolle beweisen, dass sein Bruder zu Recht auf ihn gebaut hat.

Bernd Tönnies war ein paar Monate vor seinem Tod Schalke-Präsident geworden. Angeblich auf dem Sterbebett hat er Clemens Tönnies das Versprechen abgenommen, dieser solle sich fortan um die Königsblauen kümmern. 1995 zog Clemens Tönnies in den neu gegründeten Aufsichtsrat des Vereins ein; 2001 wurde er zum Chef des Kontrollgremiums gewählt. Bei Spielen in Dortmund gegen den Rivalen BVB mischt er sich gern unter die Schalke-Fans auf der Nordtribüne. Wenn ihn Dortmunder besuchen, kann es passieren, dass er im weißen Hemd auch Monate nach einem Sieg Schalkes trompetet: "Nehme noch Glückwünsche entgegen ...".

Tönnies und Schalke - das ist eine komplizierte Geschichte. Er fädelte den 125 Millionen Euro schweren Sponsorenvertrag mit dem von der russischen Regierung kontrollierten Konzern Gazprom ein und tat aus seiner Sicht auch sonst viel für den Verein. Er hat - auch unter Schalkern - leidenschaftliche Gegner und leidenschaftliche Anhänger. Das mit den Anhängern ist allerdings im Laufe der Jahre offenbar weniger geworden: Bei der Wahl in den Aufsichtsrat vor sechs Wochen erhielt er die Stimmen von 5599 der 9568 Wahlberechtigten.

Einst war Tönnies' Wort auf Schalke Gesetz. Das hat sich geändert. Geblieben sind allgemeine Schalker Probleme. Wie die finanzielle Lage auf Schalke bei einem Rückzug von Tönnies wäre, weiß niemand. Auch das macht alle Betrachtungen, wie das Leitbild des Vereins ("Schmelztiegel verschiedener Kulturen und Nationalitäten") mit den Paderborner Äußerungen seines Aufsichtsratschefs zu vereinbaren sind, nicht einfacher.

Unkompliziert ist auch die Lage in seiner Firma nicht. Das Unternehmen, dessen Mitgesellschafter er ist, wurde in seiner Zeit zwar zum größten Vermarkter von Schweinen in Europa - in 2018 setzte der Familienkonzern rund 6,65 Milliarden Euro um. Aber in der Großfamilie Tönnies brodelt es immer wieder. Man streitet sich häufig um das Große und Ganze vor Gericht.

Als es vor gut zwei Jahren einen Friedensschluss mit seinem Neffen Robert gab (dieser Frieden ist bereits wieder Vergangenheit), sagte C.T. einen großartigen Satz: "Die Lebensreife mit über 60 führt dazu, die Dinge differenzierter zu sehen."

Aber für einen Patron wie ihn ist 60 noch kein Alter.

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