Süddeutsche Zeitung

Todestag von Robert Enke:Die leere Zelt-Kapelle

Dicke Tropfen und ein paar Trittbrettfahrer: Hannover fällt es auch nach einem Jahr schwer, mit dem Tod von Robert Enke umzugehen. Ein Ort der Stille ist ausgerechnet der Fanshop.

Boris Herrmann

Dem Mann mit dem schwarzem Mantel rinnen dicke Tropfen an den Brillengläsern herab. Der Himmel hat es so eingerichtet, dass an diesem Morgen derselbe kalte Nieselregen über Hannover niedergeht wie vor einem Jahr, am Tag, als Robert Enke starb. Dem Mann im schwarzen Mantel aber steht der Sinn nicht nach Wettermetaphorik. Er ist traurig, vor allem aber ist er genervt. Er hat sich das mit der Gedänkstätte vor dem Stadion anders vorgestellt. "Es heißt immer, der Fußball müsse sich ändern. Dann muss sich aber auch der Rest ändern", grummelt Jörg Schmadtke, der Manager von Hannover 96.

Woran er morgens um 9.50 Uhr mit verregneter Brille erkennen könne, dass sich nichts geändert habe? Schmadtke holt seinen Zeigefinger aus den Tiefen seinen Jackentasche hervor und richtet ihn hinüber zur Gedenkstätte: "Schauen Sie sich das doch mal an!" Dann ist er in seinem Büro verschwunden.

Der Verein hat am Nordeingang der Arena ein Zelt aufgebaut und dort eine provisorische Robert-Enke-Kapelle eingerichtet. In der Mitte hängt das letzte Foto des einstigen Torhüters von Hannover 96. Es wurde am 8. November 2009 aufgenommen, unmittelbar nach dem Heimspiel gegen den HSV. Enke hebt seine Hände zum Abschiedsgruß, so wie er sich unzählige Male in seiner Karriere von der Fankurve verabschiedet hat.

Niemand im Stadion ahnte zu diesem Zeitpunkt, dass dieser Abschied für immer sein würde - außer Enke. Und wenn man das Bild heute vor diesem Hintergrund betrachtet, dann weiß man eigentlich alles, was man über diese tragische Schweigegeschichte wissen muss. Das Bild und das Erinnerungszelt sind dem Anlass durchaus angemessen. Und trotzdem wirkt die Szenerie nicht nur in den Augen von Schmadtke unheimlich. Das Zelt ist nämlich leer.

Vor dem Eingang haben sich acht Fernsehteams mit glotzenden Kameraaugen und neugierigen Mikrofonen aufgebaut. Sie stehen da wie blutrünstige Wachhunde. Hin und wieder kommen auch ein paar Passanten in Hannover-Kutten und Enke-Trikots vorbei. Die meisten bleiben aber hinter den Fernsehteams stehen, gute fünf Meter vom Zelt entfernt.

Einige schauen kurz auf ihr Handy oder rauchen eine Zigarette, um ihre Unentschlossenheit zu überbrücken. Dann gehen sie wieder. "Ich will da lieber nicht reingehen, weil gleich die Kameras auf einen gehalten werden", sagt die 18-jährige Sharlyn, die in ihrer Freistunde vorbeigekommen ist. Ihre Schulkameradin Nadine findet: "Das ist Voyeurismus!"

Hermann Queckenstedt, der Direktor des Diözesanmuseums in Osnabrück, hat die Gedenkstätte im Auftrag von Hannover 96 konzipiert. Er hat all die Gegenstände eingesammelt und konserviert, die vor einem Jahr hier in die Pfützen vor dem Stadion gelegt wurden - Schals, Trikots, und Abschiedsbriefe. Queckenstadt ist in der festen Überzeugung angereist, dass die Enke-Fans an solch einem Tag einen festen Ort brauchen.

Je länger dieser Tag aber dauert, umso mehr fragt er sich, ob da am Ende nicht doch ein rein mediales Ereignis herausgekommen ist. Ein Event für Fernsehleute, Zeitungsjournalisten und ja, auch für Museumsmacher. "Ich habe das Gefühl, dass ich hier auch zum Trittbrettfahrer geworden bin", sagt Queckenstedt.

Es hat im vergangenen Jahr reichlich Unbehagen bezüglich der staatstragenden Trauerfeier auf dem Rasen der Arena gegeben. Beim ersten Jahrestag sollte dann alles kleiner werden. Das hat geklappt. Einfacher ist es damit aber auch nicht geworden. Der Deutsche Fußball-Bund hat am Dienstag alle Journalisten gebeten, aus Pietätsgründen nicht zur Kranzniederlegung von Joachim Löw und Theo Zwanziger am Grab von Robert Enke zu erscheinen.

Am Mittwoch um 12.49 Uhr läuft dann über die Online-Newsticker: Zufahrtsstraßen abgesperrt! Und als Hannovers Oberbürgermeister Stephan Weil wenig später in der vollgepackten Rathausstube ein Schild mit der Aufschrift "Robert-Enke-Straße" präsentiert und sagt: "Ich freue mich, dass ich Ihnen am ersten Todestag diesen Vorschlag machen kann", da scheinen sich die Trittbrettfahrer aller Gattungen endgültig gefunden zu haben.

"Wenn ein Staatsmann stirbt, gibt es ein festes Protokoll", sagt der Seelsorger Queckenstedt. Bei einem Nationaltorwart, der von seinen Depressionen in den Selbstmord getrieben wird, gebe es nichts, woran man sich orientieren könne. "Deshalb tun wir uns alle miteinander so schwer damit."

Den einzigen stillen Moment mit Robert Enke findet man an diesem Tag ausgerechnet im Fanshop von Hannover 96. Im vorderen Bereich, wo der alltägliche Rummel herrscht, werden die Trikots mit der Nummer eins und der Aufschrift "Fromlowitz" verkauft. Weiter hinten aber, abseits der Laufkundschaft, liegt ein Stapel Bücher mit dem Titel "96kocht". Auf dem Einband ist Robert Enke abgebildet. Er sieht glücklich aus und lächelt. In der einen Hand hält er eine gelbe, in der anderen Hand eine rote Paprika.

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Quelle:
SZ vom 11.11.2010
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