25. Todestag von Ayrton Senna:Rennfahrer aus einer anderen Dimension

Ayrton Senna

Gedankenschwerer Rennfahrerphilosoph: Ayrton Senna.

(Foto: dpa)
  • Verunglückt mit 310 Stundenkilometern in Imola: Der Tod des Volkshelden Ayrton Senna bewegt Brasilien bis heute.
  • Sein Unfall hat die Formel 1 verändert: die Helme sind nun sicherer, die Cockpits stabiler, die Runden etwas langsamer.
  • "Für mich ragt er heraus, er fuhr auf einem ganz anderen Niveau", sagt Weltmeister Lewis Hamilton über Senna.

Von Peter Burghardt

An dem Tag, an dem Brasiliens jenseits der Fußballfelder wichtigster Sportler starb, stand für einen Moment auch das Maracanã still. Vielleicht hatte es außer dem nationalen Schock nach der finalen WM-Niederlage 1950 nie einen Moment gegeben, in dem so viele Menschen in diesem Stadion von Rio de Janeiro gleichzeitig so entsetzt waren.

Die Profis der Lokalrivalen Flamengo und Vasco da Gama schauten an jenem 1. Mai 1994 betreten auf den Rasen, als die Schweigeminute für den Rennfahrer Ayrton Senna begann. Dann zerbrachen mehr als 100 000 Münder in der Betonschüssel die Andacht und riefen in einem Chor, wie ihn die rivalisierenden Fans sonst nie hinbekommen hätten: "Olé, olé, olé, Senna, Senna."

Ganz Brasilien fiel in vereinte Trance an einem der schrecklichsten Wochenenden in der Geschichte der Formel 1. Bei der Qualifikation zum Großen Preis von San Marino in Imola war erst der Österreicher Roland Ratzenberger am Samstagnachmittag in eine Betonwand an der Villeneuve-Kurve gerast und gestorben - Senna fuhr während der Pause zu dem Wrack des Autos, traf den Neurochirurgen Sid Watkins und brach in Tränen aus. Dann ging der Brasilianer am Sonntag im Alter von 34 Jahren selbst zum letzten Mal auf den Kurs.

Mit 310 von der Linie ab

Ayrton Senna lag vor Michael Schumacher in Führung, als er in Runde sieben mit 310 Stundenkilometern wie ferngesteuert von seiner Linie abkam und trotz Bremsung in der Tamburello-Kurve mit hoher Geschwindigkeit gegen die Begrenzung knallte. Sein Williams wurde mit zerfetzter Vorderachse auf die Fahrbahn zurückgeschleudert und kam zum Stehen. "Senna bateu forte!", rief der Kommentar Galvão Bueno während der Live-Übertragung vor Millionen Zuschauern auf TV Globo, "Senna ist stark aufgeprallt!"

Niemand wusste in diesen langen Sekunden, dass der Volksheld da schon halb tot in seinem Fahrzeug saß. Eine Strebe der rechten Radaufhängung war bei dem Zusammenstoß durch die Luft gewirbelt und hatte sich durch seinen Helm gebohrt. Senna wurde mit schweren Hirnverletzungen im Hubschrauber nach Bologna gebracht und starb wenige Stunden später.

Am Tag der Beerdigung sprach der bis heute populäre Globo-Mann und Senna-Vertraute Bueno in der Nachtsendung eine religiöse Hommage. Er habe nach einem Satz gesucht, der ihn beschreibe, aber keinen gefunden, murmelte er. Senna sei größer als ein Satz, er gehöre zu einer anderen Dimension und habe seinen Platz nun dort gefunden: "Geh' mit Gott, mein Freund."

Die Überhöhung zum fast übersinnlichen Idol begleitete den Südamerikaner durch die besten Zeiten seines Lebens. Ayrton Senna war in zehn Jahren dreimal im McLaren Weltmeister gewesen (1988, 1990, 1991), er hatte 41 seiner 161 Rennen gewonnen und 13 328,4 Kilometer lang in der Pole Position gelegen. Seine Duelle mit Alain Prost sind legendär.

Niemand wurde so geliebt wie Senna

Mit ihm hängte Brasilien den Rest der Welt ab in einer Zeit, als die Seleção noch auf ihren vierten und fünften Titel wartete und das Land auf seinen großen Aufschwung zur Wirtschaftsmacht. Das Riesenreich hatte zwei weitere Champions hervor gebracht, Emerson Fittipaldi und Nelson Piquet, beide waren und sind ebenfalls Heroen. Dank ihrer aller Erfolge brachte es die Formel 1 zwischen Amazonas und Zuckerhut zur bedeutendsten Disziplin nach Fußball.

Doch niemand wurde so geliebt wie Senna, der charismatische Seriensieger mit dem tragischen Ende. Die Verehrung reichte über seinen Tod hinaus.

Scharen von Landsleuten pilgerten am 5. Mai nach dreitägiger Staatstrauer im Morgengrauen still zum Sitz des Regionalparlaments seiner Heimat São Paulo, wo der Tote aufgebahrt wurde. Es war ein Staatsakt. Zu den Gästen gehörte Präsident Itamar Franco, der die Landeswährung Real einführte. Xuxa, die berühmteste Fernsehfrau und frühere Senna-Liebschaft, strich mit der Hand über den Sarg, auf dem eine brasilianische Flagge lag und der Helm. Millionen Fans folgten ihm zum Grab im Stadtteil Morumbí, die Stille zerrissen nur Düsenjäger der Luftwaffe und Böllerschüsse zum Salut.

Von Senna hört man heute oft in den Verkehrsnachrichten

Fünfundzwanzig Jahre ist das jetzt her, aber die Erinnerung lebt. Das Unglück hat die Formel 1 verändert. Die Auslaufzonen wurden größer, die Helme sicherer, die Cockpits stabiler, die Runden etwas langsamer. Senna und Ratzenberger blieben lange Zeit die letzten Opfer einer Show, die früher junge Männer in Serie umgebracht hatte. Es dauerte rund 21 Jahre, bis wieder ein Fahrer tödlich verunglückte. Im Oktober 2014 raste der Ferrari-Junior Jules Bianchi mit seinem Marussia auf der Strecke in Suzuka in einen Bergungskran, der das Autowrack des Münchners Adrian Sutil aus dem Kiesbett befördern sollte. Neun Monate später erlag er seinen Kopfverletzungen.

Über die Ursachen des Crashs von 1994 wird noch immer wird gerätselt, ein technischer Defekt gilt als wahrscheinlicher als ein Fahrfehler. Ein Bruch der Lenkung war wohl die Ursache. "Ich hatte mich bei der Aerodynamik des Autos verrechnet", räumte vor Jahren der ehemalige Williams-Designer Adrian Newey in der Zeitschrift Auto Motor und Sport ein. Newey hatte auf Sennas Wunsch die Lenkstange verändert und dabei offenbar nicht sauber gearbeitet; von persönlicher Schuld wurde er in einem Verfahren jedoch frei gesprochen.

"Er hatte diese Aura, sein Enthusiasmus, seine Neugier und Energie waren beeindruckend", schwärmte Newey, "wenn er nicht umgekommen wäre, wäre er heute vielleicht Präsident Brasiliens." So huldigen ihm viele aus der Szene, etwa auch Lewis Hamilton, der ähnlich Talente besitzt wie Senna. "Für mich ragt er heraus, er fuhr auf einem ganz anderen Niveau", sagte der Brite jetzt. "Senna war für mich unverwundbar", erzählte auch der damalige Teamchef Frank Williams über seinen Piloten, doch auch er musste erkennen: Die Unverwundbarkeit gibt es nicht im Rennsport. Das Risiko sitzt immer mit im Auto.

Immerhin, manche haben Glück, wenn es doch einmal kracht. Sennas Landsmann Felipe Massa überlebte 2009 in Ungarn eine annähernd ähnliche Schrecksekunde, als ihm ein Metallteil eines vorausfahrenden Piloten am Helm traf. Für Senna kam der Fortschritt zu spät.

In São Paulo ist ein Tunnel nach ihm benannt, außerdem eine Straße und eine Autobahn nach Rio de Janeiro, auf der man oft im Stau steckt. Sein Name fällt deshalb ständig in den Verkehrsnachrichten, und sein Gesicht grüßt an vielen Tankstellen. "Die Dinge passieren auf der Piste sehr schnell", hatte er 1985 in einem Interview mit der Zeitschrift Veja gesagt: "Ein Aufprall geht zu schnell, um etwas zu spüren. Erst wenn das Auto steht, spürt man Kälte im Bauch."

Anmerkung: Dieser Text erschien ihn ähnlicher Form bereits zum 20. Todestag 2014.

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