Süddeutsche Zeitung

Tod von Formel-1-Fahrer Bianchi:"Jules hat bis zum Ende gekämpft"

  • Der Franzose Jules Bianchi, ein Talent der Formel 1, hat einen Rennwagen-Unfall nicht überlebt.
  • Die Betroffenheit in der Branche ist groß; seit mehr als 20 Jahren hatte es kein Todesopfer auf einer Rennstrecke mehr gegeben.
  • In der Geschichte der Königsklasse gab es bereits 32 tödliche Unglücke.

Von Elmar Brümmer

Zwei Jahrzehnte lang hat die Formel 1 gut mit dem Risiko gelebt, das vom Grundsatz her in ihr steckt. Gut leben heißt in diesem Fall: Niemand musste sein Leben bei einem Rennen auf der Strecke lassen. Bis zu diesem Freitag. Ein dreiviertel Jahr nach seinem Unfall beim Großen Preis von Japan hat der Franzose Jules Bianchi, der am 3. August 26 Jahre alt geworden wäre, seinen Kampf verloren und ist in einem Krankenhaus in Nizza seinen schweren Kopfverletzungen erlegen. Aus dem künstlichen Koma war er seit 285 Tagen nicht mehr aufgewacht.

"Es war schlimmer, als wenn er direkt gestorben wäre, es ist ein Qual", hatte Vater Philippe Bianchi bereits Mitte der vergangenen Woche gesagt, als sich der Gesundheitszustand seines Sohnes schon stark verschlechtert hatte. "Jules hat bis zum Ende gekämpft, wie er es immer gemacht hat, aber gestern ist sein Kampf zu Ende gegangen", heißt es am Samstag in der Mitteilung der Familie. Bianchi fuhr zwar für ein Hinterbänkler-Team, galt aber als eines der größten Talente der Formel 1.

"Ciao Jules, du wirst für immer in den Herzen von Ferrari sein", twitterte die Scuderia, bei der Bianchi einen Fördervertrag als Rennfahrer hatte. Der Slogan #ForzaJules, der auf vielen Helmen und Rennwagen klebte, ist jetzt nur noch ein trauriges Andenken.

Dass der Marussia-Pilot überhaupt lebend aus dem Wrack seines Rennwagens geborgen werden konnte, grenzte an ein Wunder. Der 5. Oktober 2014 war ein rabenschwarzer Tag in der Geschichte der Königsklasse, die seit 1950 insgesamt 32 Todesopfer zu beklagen hat. Wegen eines aufziehenden Taifuns hatten die Rennställe an den Veranstalter appelliert, den Start vorzuverlegen. Doch die Japaner weigerten sich, und so war es bei dem zwischenzeitlich unterbrochenen WM-Lauf am Ende beinahe dunkel, als wieder Starkregen einsetzte.

Dreizehn Runden vor dem eigentlichen Rennende war zunächst Sauber-Pilot Adrian Sutil in Kurve sieben havariert, wo starke Sturzbäche die ohnehin nicht ungefährliche Piste kreuzten. Das Auto Sutils hing gerade am Haken eines Bergekrans, als Bianchi trotz doppelt geschwenkter gelber Warnflaggen plötzlich durch das Kiesbett schoss. Er prallte so stark gegen den schweren Radlader, dass dieser um ein paar Meter versetzt wurde und der Sauber-Rennwagen vom Haken fiel. Offenbar haben beim Unfallablauf neben dem Aquaplaning noch Fahr- und Reaktionsfehler des Piloten eine Rolle gespielt.

Die Sensoren im Ohr Bianchis verzeichneten einen Aufprall von 92 g, sein Auto war mit 140 km/h und einem Winkel von 30 Grad in den Bergekran geprallt, die ganze linke Fahrzeugseite des Rennwagens war abgerissen wurden. Mit einem Krankenwagen, der Hubschrauber hätte wegen der widrigen Witterungsverhältnisse (das Rennen wurde nach 46 von 53 Runden endgültig abgebrochen) nicht landen können, wurde der Schwerverletzte in das Krankenhaus der Provinzhauptstadt Yokkaichi gefahren. In mehreren Notoperationen versuchten die Ärzte Blutungen und Schwellungen unter der Schädeldecke zu stillen. Jean Todt, Präsident des Automobilverbandes FIA, ließ die besten Neurologen Frankreichs nach Japan einfliegen, die auch Michael Schumacher nach seinem Skiunfall versorgt hatten. Im November wurde der im Koma liegende Bianchi in seine Heimat verlegt.

Von Beginn an hatte es wohl wenig realistische Überlebenschancen gegeben. Der Rennfahrer hatte eine diffus axonale Verletzung erlitten, die zu den schwersten und häufigsten traumatischen Gehirnverletzungen zählt.

Kurzporträt von Jules Bianchi

geboren am: 3. August 1989 in Nizza/Frankreich

gestorben am: 17. Juli 2015 in Nizza

Team: Marussia (seit 2013)

Erster Grand Prix: 21. März 2013, GP Australien

Letzter Grand Prix: 5. Oktober 2014, GP Japan

GP-Teilnahmen: 34

GP-Siege: -

GP-Punkte: 2

Beste Renn-Platzierung: 9. Platz, GP Monaco 2014

Größte Erfolge: GP2-Dritter 2010 und 2011

Aus Sennas Tod hatten alle gelernt

Die Betroffenheit und Anteilnahme in der Motorsportszene ist groß, aber auch Frankreichs Staatspräsident Francois Hollande drückte sein Mitgefühl und Beileid aus. Nicolas Todt, Sohn des FIA-Präsidenten und ehemaliger Teamchef sowie Manager Bianchis, erklärte: "Du warst der kleine Bruder, von dem ich immer
 geträumt habe. Die letzten zehn Jahre mit dir geteilt zu haben, war
 ein außerordentliches Privileg." Als großartigen Kämpfer und guten Freund wurde Bianchi von vielen Gefährten beschrieben, und das hat in diesem Fall wenig mit später Verklärung zu tun. In nur 34 Grand-Prix-Rennen hatte sich Bianchi trotz eher chancenlosem Material einen guten Ruf als Fahrer erarbeitet und beim Großen Preis von Monte Carlo zwei WM-Punkte geholt.

Sicherheit ist immer etwas Trügerisches in diesem Sport, alle Beteiligten lassen sich darauf ein. In der Formel 1 hatte es auf einer Rennstrecke seit über 20 Jahren kein Todesopfer mehr zu beklagen gegeben, aus dem schwarzen Wochenende 1994 in Imola, als Roland Ratzenberger und Ayrton Senna ihr Leben verloren, hatten alle gelernt. Auch Bianchis fataler Unfall wurde komplett technisch-wissenschaftlich aufgearbeitet, neue Kopfschutzmaßnahmen, eine Vorverlegung einiger Rennen und eine andere Regelung der Neutralisierung während aktiver Rettungsarbeiten sind die unmittelbare Folge. "Wir dürfen so etwas nie mehr passieren lassen", mahnt Formel-1-Vermarkter Bernie Ecclestone. Und die Fahrergewerkschaft GPDA trauert so: "Die Formel 1 hat ein großes Talent, einen großartigen Mann und einen wirklichen Freund verloren. An Tagen wie diesen werden wir auf brutale Art daran erinnert, wie gefährlich der Rennsport immer noch ist."

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Quelle:
SZ vom 19.07.2015/fran
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