Tod von David Poisson:"Gefährlicher als die Formel 1"

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David Poisson bei ein Abfahrt in Schladming im Februar 2013.

(Foto: AFP)
  • David Poisson verunglückt tödlich beim Abfahrtstraining in Kanada.
  • Der Sturz des Franzosen sorgt dafür, dass die Debatte um die Gefahren des Sports den Saisonstart begleitet.
  • Der Mensch bessert bei der Sicherheit nach, aber er hinkt hinterher in einem Sport, der an die Belastbarkeitsgrenzen des Körpers geht.

Von Barbara Klimke

Das Risiko fährt immer mit, und es lähmte am Dienstag nicht nur jene, die den Todessturz am Mount Allan in Kanada aus der Nähe erlebten. Er werde mit seinem Team beraten, ob es besser sei abzureisen, sagte Tom Stauffer, der Cheftrainer des Schweizer Ski-Teams, am Morgen. Am Tag zuvor war auf dem Olympiahang von 1988 in Nakiska der französische Skirennfahrer David Poisson, 35, beim Abfahrtstraining tödlich verunglückt. Das Schweizer Team trainierte am selben Berg wie die Franzosen, es war gerade angereist, zur Schneegewöhnung zogen die Athleten beim freien Fahren auf den Pisten in weiten Radien ihre eigene Spur. Keiner von ihnen habe das Unglück selbst gesehen, sagte Stauffer. Aber alle wussten, dass am Rande der Piste ein Kollege, ein Freund, geborgen wurde: "Wir wären die nächsten gewesen auf dem Abfahrtshang."

Die Debatten über die Sicherheit alpiner Skirennen werden den Olympiawinter begleiten

Auch am Dienstag war schwer zu rekonstruieren, warum David Poisson, ein erfahrener Skirennfahrer und Abfahrts-Spezialist, die Kontrolle auf der Strecke verlor und mit einer Geschwindigkeit von rund 100 km/h von der Piste katapultiert wurde. Laut ersten Erkenntnissen hatte er offenbar einen Ski verloren, stürzte, durchbrach die Fangnetze und schleuderte gegen einen Baum, gab der französische Ski-Verband bekannt. Als die Notärzte eintrafen, hätten sie nur noch seinen Tod feststellen können, berichteten die Rettungskräfte der Nachrichtenagentur AP. Der Präsident des französischen Skiverbands, Michel Vion, ein ehemaliger Rennläufer, flog umgehend nach Kanada, um dem Team beizustehen. Die Schweizer Mannschaft, so teilte die Föderation mit, werde von der Schweiz aus professionell betreut.

Bestürzt reagierten auch die Kollegen im Deutschen Skiverband. "Solche tragischen Nachrichten machen mich unendlich traurig", teilte Felix Neureuther auf Facebook mit: "Wir werden Dich immer in unserem Herzen behalten, mein Freund."

Die wenigsten Abfahrer ignorieren, dass ihren Schussfahren ein unkalkulierbares Risiko anhaftet, wenn sie sich vom Starthäuschen in die Falllinie katapultieren. Auch David Poisson kannte die Gefahren, als Rennfahrer sind sie ein Teil seines Lebens gewesen. Er gehörte nie zu den Stars der Szene, aber Poisson, ein Athlet aus der Region Annecy, hatte sich über die Jahre in 146 Rennen den Respekt der Kollegen verdient. Auch weil er "brutal hart mit sich selbst" war, wie sein früherer Trainer Patrice Morisod der Neuen Zürcher Zeitung einmal anvertraute.

Poisson hatte als 2005 als 22-Jähriger mit zwei neunten Plätzen ein vielversprechendes WM-Debüt gegeben, später wurde er häufig von Verletzungen geplagt. Weil er mit 1,72 Meter Körpergröße bei fast 90 Kilogramm Gewicht recht klein für einen Abfahrer war, redeten ihm die Trainer über Jahre ein, dass er mindestens zehn Zentimeter größer sei: Die Einflüsterungen zeigten schließlich 2013 bei den Weltmeisterschaften in Schladming Wirkung, als Poisson bei der Abfahrt hinter dem Norweger Aksel Svindal und dem Italiener Dominik Paris als Dritter über die Ziellinie schoss. Es war der größte Triumph Poissons, der 2010 bei Olympia in Vancouver Siebter wurde; aber ebenso im Gedächtnis der Kollegen wird sein unbezwingbarer Wille haften bleiben. In Kvitfjäll plagten ihn einmal derartige Krämpfe nach dem Rennen, dass er sich kaum noch bewegen konnte: Er rief noch im Zielraum nach einem Stuhl. Im Kanada, wo er nun verunglückte, bereitete er sich mit den französischen Kollegen auf die ersten Speed-Rennen vor, die am 25. und 26. November in Lake Louise vorgesehen sind.

Der Mensch hinkt dem Sport hinterher

Die Debatten über die Gefahren dieses Risikosports werden nun die noch junge Weltcup-Saison und den Olympiawinter begleiten. Tödliche Rennunfälle sind im alpinen Ski-Weltcup in den vergangenen Jahren seltener geworden, die Sicherheitsvorkehrungen werden nach jeder Tragödie überdacht. Der Mensch bessert nach, aber letztlich hinkt er hinterher in einem Sport, der an die Belastbarkeitsgrenze eines ungepanzerten Körpers geht. "Die Abfahrt ist gefährlich und riskant", sagte Frankreichs Ski-Präsident Vion am Dienstag: "Aber in den letzten Jahren haben wir realisiert, dass sie gefährlicher ist als die Formel 1. Wir zahlen einen hohen Preis."

In den Fokus der Verantwortlichen werden nach David Poissons Tod nun wohl auch wieder die Fangzäune rücken, die dazu gedacht sind, den Fall eines auf der Piste verunglückten Rennfahrers zu stoppen. Am Dienstag hatte der Renndirektor des Ski-Weltverbandes (Fis), der Südtiroler Markus Waldner, noch keine gesicherten Erkenntnisse zum Unfallhergang; über die Sicherheitsmaßnahmen auf der Piste wollte er sich nicht äußern. "Aber generell sind die Sicherheitsvorkehrungen im Training notgedrungen geringer als im Rennen", sagte er: "Das ist immer so, denn sonst könnte man ja gar kein Training abhalten. Es stehen nicht an jedem Trainingshang Hunderte von Leuten zur Verfügung."

Todesfälle im Skirennsport seit dem Jahr 2000

2001 auf dem Pitztaler Gletscher/Österreich: Super-G-Weltmeisterin Regine Cavagnoud (Frankreich) prallt auf der Piste mit einem deutschen Nachwuchstrainer zusammen und stirbt zwei Tage später in einem Innsbrucker Krankenhaus.

2002 in Verbier/Schweiz: Werner Elmer (Schweiz) prallt bei einem FIS-Rennen mit einem Streckenposten zusammen und stirbt an der Unfallstelle. Der Streckenposten bleibt unverletzt.

2004 in Mount Bachelor/USA: Nachwuchs-Rennläuferin Shelley Glover (USA) erleidet bei einem Trainingssturz tödliche Kopfverletzungen.

2008 auf dem Kaunertaler Gletscher/Österreich: Nachwuchsfahrer Ursin Smed (Schweiz) wird von einem Schneebrett erfasst und erliegt seinen Verletzungen.

2012 in Erzurum/Türkei: Asli Nemutlu (Türkei) bricht sich bei einem Trainingssturz das Genick.

2012 in Park City/USA: Die Freestylerin Sarah Burke (Kanada) stirbt neun Tage nach einem Trainingssturz in der Superpipe an ihren Kopfverletzungen.

2012 in Grindelwald/Schweiz: Skicrosser Nick Zoricic (Kanada) stürzt beim Zielsprung des Weltcup-Rennens und erliegt kurz darauf einem schweren Schädel-Hirntrauma.

2017 in Nakiska/Kanada: David Poisson, WM-Dritter von 2013, verunglückt beim Abfahrtstraining der französischen Mannschaft.

In Nakiska, wo während der Winterspiele 1988 von Calgary die Alpin-Wettbewerbe stattgefunden hatten, war der Hang am Montag laut Augenzeugenberichten mit so genannten B-Sicherheitsnetzen abgesperrt. Diese B-Netze, 2,20 Meter hoch, sind niedriger und weicher als die A-Sicherheitsnetze, sagt Waldner. "Sie absorbieren einen Aufprall mehr und werden meist gestaffelt, in mehreren Reihen hintereinander, aufgebaut." Bevorzugt Verwendung finden sie dort, wo Platz neben der Piste ist. A-Fangzäune indes, fünf Meter hoch, bilden einen fest verankerten Hochsicherheitsparcour, an dem dicke Gleitmatten befestigt sind, um einen Gestürzten abzufangen. Die Verwendung des einen oder anderen Zauns lasse keine Schlüsse auf Sicherheitslücken zu, sagte Waldner: "Die Wahl hängt vom Gelände ab."

Auch Stauffer sah zunächst keinen Anlass, an der Sicherheit zu zweifeln. "Es waren die üblichen Netze", sagt er. "Wie jedes Jahr."

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