Turn-EM in Basel:Toba turnt jetzt oben bei den Königen

European Artistic Gymnastics Championships - Day Five

"Wenn du einen Traum hast, dann musst du fest daran arbeiten": Andreas Toba überzeugte am Reck.

(Foto: Matthias Hangst/Getty)

Seit seinem Schmerzauftritt in Rio ist Andreas Toba als selbstloser Held des Sports berühmt. Mit EM-Silber zeigt er nun, was er noch kann: sich großartig bewegen - neuerdings auch am Reck.

Von Volker Kreisl

Alles hatte Andreas Toba verloren und doch auch so viel gewonnen. Die Olympischen Spiele in Rio 2016 waren für ihn kurz nach Beginn wieder vorbei, nachdem er bei einer Landung diesen Stich im Knie gespürt hatte: Kreuzbandriss, mindestens ein halbes Jahr Pause. Doch dann bekam er mitten im Schmerz diese Chance.

Der Trainer bat ihn, trotz ramponiertem Knie noch einmal ans Pauschenpferd zu gehen, jenes Gerät, dass er im Team am besten beherrschte. Tobas Pauschenpferd-Punkte waren unerlässlich fürs Weiterkommen der ganzen Mannschaft. Also turnte er, und zwar tadellos, darauf folgten genügend Punkte, Jubel, Tränen und ein Drama, das international beachtet wurde. Das Drama von Andreas Toba, dem "Hero de Janeiro".

Doch Heldentum und Opferbereitschaft haben auch ihre Schattenseiten, wie Toba später erzählte und wie er nun auch in Basel analysierte, bei der Europameisterschaft, wo er erstmals seit Rio vor fünf Jahren wieder im Mittelpunkt seines Sports erschienen war, jedoch ganz anders. Nicht als selbstloser Mannschaftskämpfer, sondern als selbstbewusster Medaillengewinner. Silber hat der Hannoveraner zum Abschluss der EM gewonnen, seine erste große Medaille, mit mittlerweile 30 Jahren. Und zwar, das ist durchaus wichtig bei dieser Geschichte, nicht am Pferd oder an den Ringen, sondern am Reck.

Die Sache in Rio hatte ihm viel Respekt eingebracht, aber es war trotzdem nicht die Leistung, die einen Spitzensportler mit Glück erfüllt. Toba hat das durchgeführt, was verlangt war und was er auch unter Schmerzen abrufen konnte. Er blieb aber schwer geknickt, weil er ja unbedingt bei Olympia turnen wollte, da half auch all die Hochachtung nichts, Sportler ticken eben so. Und er blickte dann ungläubig auf die Masse auch ausländischer Reporter in der Mixed-Zone von Rio, die nun alle die Toba-Story hören wollten, Medien ticken eben so.

Für die Medien etwas überraschend sagte Toba: "Ich habe schon immer gerne Reck geturnt."

In den fünf Jahren ist nun einiges passiert, was dazu führte, dass Andreas Toba in Basel, bei einer denkwürdigen EM, im Corona-bedingt ersten seriösen internationalen Vergleich seit mehr als einem Jahr, auf einmal auftrat wie ein ganz anderer Athlet. Danach wirkte Toba zwar abermals, als könne er die Geschehnisse kaum fassen, jedoch strahlte und lachte er diesmal dabei und sprach aus voller Überzeugung: "Ich bin total stolz." Und, für die Medien etwas überraschend: "Ich habe schon immer gerne Reck geturnt."

Klar, das wollen irgendwie alle, denn das Reck ist das Königsgerät. Daran wird auf Meisterschaften immer zuletzt geturnt. Mit ihren Schrauben und Salti über die Stange erreichen Reckturner schwindlige Höhen - in der Halle wie in der Bewunderung der Fans. Jedoch kommt man nur in die Finals und aufs Podium, wenn man auch die höchsten Schwierigkeiten beherrscht, ohne Wackler, Fehlgriffe oder falsches Timing.

Diese Kategorie hatte der Rio-Held bislang nicht erreicht, denn er war kein König, sondern Andreas Toba, der Vielseitige, der Helfer. In der ARD sagte er nun: "Ich war der sichere Turner, ich habe immer versucht, der Mannschaft zu helfen." Und am Reck sei es dann halt darum gegangen, allzu riskante Schwierigkeiten rauszunehmen.

Sportler sind wie viele Berufstätige irgendwann auf ihre Nische festgelegt. Tobas wohl temperierte Vielseitigkeit, die ihm Anerkennung als Mehrkämpfer garantierte, hatte aber auch mit banalen Zwängen zu tun. Als er ins Nationalteam aufrückte, hatten die Deutschen gerade ein Überangebot an Reck-Cracks. Allen voran Fabian Hambüchen, der 2007 Weltmeister wurde und 2016 dann auch Olympiasieger. Medaillen an der Hochstange holte zudem der Cottbuser Philipp Boy, auch Marcel Nguyen (Unterhaching) und Andreas Bretschneider (Chemnitz) taten sich hervor. Und für Toba war kein Platz mehr.

Toba rotierte und rotierte - und setzte zu einer veritablen Flugshow an

Boy und Hambüchen sind zurückgetreten, Nguyen musste vor der EM wegen Nackenschmerzen passen, auch Bretschneider fehlte zuletzt. Toba, der schon länger an seinen Reckelementen feilt, stand plötzlich im Mittelpunkt seines Sports, im Finale, im Rampenlicht unter einer Reckstange. Er ließ sich von seinem Coach hinaufheben, vollführte zu Beginn einige Riesenfelgen, hatte beim Adler, bei dem man aus der Felge auf den Punkt genau den Handstand auf die Stange setzen muss, etwas zu viel Schwung, ließ sich von dem Fehler allerdings nicht beirren.

Toba rotierte und rotierte und setzte zu dem an, was die breite Öffentlichkeit von ihm noch nicht gesehen hatte: eine veritable Flugshow. Den Cassina, also den gestreckten Doppelsalto rückwärts über die Stange mit einer Schraube, meisterte er genauso wie im Anschluss dasselbe nochmals gehockt. Weitere Höhepunkte folgten, am Ende aber auch ein zweiter leichter Fehler. 0,233 Punkte fehlten ihm zum EM-Titel, den der Russe Dawid Beljawski gewann.

Und doch: Silber. Am Reck. Für die deutsche Mannschaft, die wie alle Riegen gerade ihren tatsächlichen Leistungsstand erforscht, war dies mit Lukas Dausers Barren-Bronze ein ermutigendes Zeichen für die Spiele, die im Sommer in Tokio stattfinden sollen. Wobei Tobas Trick weniger nach Held als nach Alltag klang: "Wenn du einen Traum hast", sagte er, "dann musst du fest daran arbeiten."

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