Titelkampf in der Formel 1:"Blah-blah-blah"

Brawn-Pilot Barrichello schießt gegen die interne Stallorder für WM-Leader Button - ein mahnendes Beispiel für das aufstrebende Team von Sebastian Vettel, der von dem Konflikt profitieren könnte.

René Hofmann

Der Schnellste ließ auf sich warten. Mark Webber hatte nach seinem ersten Formel-1-Sieg beim Großen Preis von Deutschland so viel zu sagen, dass er beinahe eine Stunde lang Interviews gab. In seinem Team hat das nicht allen gefallen. Die gesamte Red-Bull-Mannschaft versammelte sich im Licht der sinkenden Sonne zum Gruppenbild vor dem Motorhome. Und so stand auch Sebastian Vettel da und wartete, bis er auf Kommando Lächeln und die Siegerfaust ballen sollte. Er tat, wie ihm geheißen. Aber wirklich Spaß hatte er dabei nicht, das war deutlich zu sehen.

Titelkampf in der Formel 1: Rubens Barrichello ist unzufrieden mit der Stallorder in seinem Brawn-Team.

Rubens Barrichello ist unzufrieden mit der Stallorder in seinem Brawn-Team.

(Foto: Foto: AFP)

Sebastian Vettel ist an diesem Sonntag Zweiter geworden auf dem Nürburgring. Für den ehrgeizigen Sportler ist das eine Niederlage. "Was soll ich sagen", sagt Vettel, "ich hätte natürlich lieber gewonnen. Aber mehr war heute nicht drin." Der Platz bringt ihn zwar dem WM-Führenden Jenson Button näher, aber er bringt auch Webber zurück ins Titelrennen, was wiederum eine spannende Frage aufbringt: Wie hält es Red Bull mit der Stallorder? Gerade einmal 1,5Punkte trennen Vettel und Webber nach neun von 17 Rennen.

Für den Deutschen spricht seine jugendliche Unbekümmertheit. Vettel ist erst 22 und hat in diesem Jahr schon zwei Rennen gewonnen. Für den Australier spricht die Erfahrung. Webber ist 32, er hat schon mehr als 120 Formel-1-Rennen hinter sich - und der erste Sieg dürfte ihm enormen Auftrieb geben. Im vergangenen November wusste Webber gar nicht, ob er noch eine Formel-1-Zukunft vor sich hatte.

"Da lag er ziemlich mitgenommen in einem Krankenzimmer auf Tasmanien", erinnert sich Teamchef Christian Horner. Webber war bei einem Radrennen mit einem Auto kollidiert und hatte sich ein Bein und die Schulter gebrochen. Die zweite Verletzung verschwieg er seinem Team. Seine Angst war groß, er könnte seinen Job verlieren.

Als die Saison im März begann, wusste Webber nicht einmal, ob er genügend Gefühl im Gasfuß hatte. Zum Mitfahren reichte es. Zum Siegen nicht. Vor zwei Wochen bekam er den letzten Nagel aus dem Bein operiert. Jetzt glückt ihm der langersehnte Erfolg. Wer weiß, wie Sportler ticken, ahnt, wie das sein Selbstbewusstsein verändern kann. "Wir haben wahrscheinlich das stärkste Fahrerduo im Feld", sagt Horner, dessen Job es ist, den Wettbewerb zwischen den beiden nun zu moderieren. Bisher verstehen Vettel und Webber sich gut. Bisher arbeiteten sie bei der Abstimmung der Rennwagen fair und offen zusammen. Bisher lagen sie in der WM-Wertung aber auch beide hinter beiden Brawn-GP-Piloten. Das Deutschland-Rennen hat das geändert.

Red Bull mit dem McLaren-Ansatz

Rubens Barrichello ist zurückgefallen. Nun heißt der Dreikampf: Webber und Vettel jagen Button. "So lange beide Titelchancen haben, werden wir beiden die gleiche Unterstützung zukommen lassen", verspricht Teamchef Horner. Internen Reibereien will er mit "absoluter Transparenz" vorbeugen. Der Ansatz ähnelt dem, mit dem Ron Dennis bei McLaren jahrelang versuchte, die Egos seiner Titelkandidaten auszubalancieren, bis das mit Fernando Alonso und Lewis Hamilton schrecklich schief ging.

Ross Brawn, der beim anderen Titelanwärterteam das Sagen hat, bevorzugt ein anderes Modell. Zumindest drängt sich der Eindruck auf. Rubens Barrichello, der schon in Barcelona über eine Benachteiligung geklagt hatte, zeterte in der Eifel erneut. Am liebsten würde er sofort ins Flugzeug steigen, stieß er aus, nachdem er seinem Rennwagen als Sechster entstiegen war. "Heute hat das Team gezeigt, wie man ein Rennen wegwirft", haderte er, "wenn wir so weitermachen, verlieren wir beide WM-Wertungen." Was seine Mannschaft zu ihrer Verteidigung vorzubringen hatte, interessierte Barrichello erst gar nicht: "Da bekommt man eh nur Blah-blah-blah zu hören."

Neue Konstellation in Ungarn

Dem Brasilianer stießen Fehler beim Boxenstopp auf und ihn störte, dass Button beim letzten Halt nach ihm an die Box durfte, was dem Briten die Chance gab, an Barrichello vorbei auf Platz fünf zu kommen. "Das Recht, als Letzter zu tanken, hätte mir zugestanden", fand Barrichello, der noch einmal daran erinnerte, dass ein Großteil seiner Karriere damit verbunden ist, "was mit Ross und Michael bei Ferrari passierte".

Ross Brawn saß am Ferrari-Kommandostand, als an Barrichello zweimal die Order erging, Michael Schumacher passieren zu lassen. Bei der gefühlten Benachteiligung mag einiges Rennfahrer-Latein mitschwingen. Fakt aber ist, dass Barrichellos Situation nicht leichter wird. 24Punkte Rückstand hat er auf Button. In diesem Jahr ist er erst einmal vor ihm ins Ziel gekommen. Über die Helferrolle wird Barrichello wohl wieder nicht hinauskommen. Für Button könnte es gut sein, einen ergebenen Vasallen in der Nähe zu haben, während Vettel und Webber damit rechnen müssen, sich gegenseitig Punkte abzujagen.

Zum ersten Aufeinandertreffen in der neuen Konstellation wird es in zwei Wochen auf dem Hungaroring bei Budapest kommen. Rubens Barrichello sollte sich bis dahin wieder beruhigt haben. "Wenn ich eines in meiner Formel-1-Zeit gelernt habe", sagt der 37-Jährige, "dann ist das: Das zu akzeptieren, was ich nicht ändern kann, und dazu ein Lächeln zu zeigen." Sebastian Vettel muss das noch ein wenig üben.

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