Süddeutsche Zeitung

Tischtennis-WM:Sie nennen ihn Wunderkind

  • Tomokazu Harimoto erreicht mit 13 Jahren als jüngster Teilnehmer der Historie das Viertelfinale einer Tischtennis-WM - erst der Weltranglistendritte stoppt ihn.
  • Harimotos Eltern sind Chinesen, doch fünf Jahre vor der Geburt ihres Sohnes emigrierten sie nach Japan - Harimoto ist nun japanischer Staatsbürger.
  • Sein großes Ziel sind die olympischen Spiele 2020 in Tokio.

Von Ulrich Hartmann, Düsseldorf

Zhang Zhihe war noch kein Jahr alt, als ihm seine Eltern einen Tischtennisschläger in die Hand drückten. Es gibt ein altes Foto, da sitzt er auf der Platte und versucht, die Bälle zu treffen, die ihm sein Vater Zhang Yu von der anderen Seite zuspielt. Später stellten die Eltern ihrem Kind einen Stuhl hinter die Platte. Der kleine Zhihe stellte sich auf diesen Stuhl und spielte Tischtennis. Dass er schon so früh ein so außergewöhnliche Talent zeigte, liegt sicher daran, dass sowohl seine Mutter Zhang Ling als auch sein Vater Zhang Yu einst chinesische Nationalspieler waren.

Zhihe galt schon früh als Wunderkind. Mit zehn machte er in der Branche erstmals weltweit von sich reden. Er könnte mittlerweile ein Star des chinesischen Tischtennis sein, wenn es da nicht ein kleines Problem gäbe: Zhang Zhihe wurde 2003 in der japanischen Stadt Sendai geboren, in die seine Eltern fünf Jahre zuvor emigriert waren. Zhihe wuchs in Sendai auf, und mit der japanischen Staatsbürgerschaft erhielt er einen japanischen Namen: Tomokazu Harimoto. Ende dieses Monats wird er 14 Jahre alt. In seinen Adern fließt chinesisches Blut. Trotzdem ist er Japans größter Stolz.

Harimoto sprengt einen Rekord nach dem anderen

Bei der Weltmeisterschaft in Düsseldorf sprachen die Kontrahenten aus aller Welt sehr respektvoll über den 13-Jährigen. Gleichwohl hatten alle seine Gegenspieler angekündigt, nicht gegen "das Kind" verlieren zu wollen. Sie waren dann aber leider chancenlos gegen das Kind. Der Belgier Cedric Nuytinck, der japanische Weltranglisten-Sechste Jun Mizutani, der Taiwaner Liao Cheng-Ting und der Slowake Lubomir Pistej, sie alle haben gegen Harimoto haushoch verloren. Dieses Kind ist ein Tischtennis-Riese.

Sonntag, 20 Uhr, Messehalle, Düsseldorf: Der Jüngste spielt bei der WM das späteste Viertelfinale. Harimoto gegen den Weltranglisten-Dritten Xu Xin. Die Chinesen haben die besten Spieler der Welt, der Weltranglistenzweite Fan Zhendong zum Beispiel ist selbst erst 20 Jahre alt, aber Harimoto ist noch ein anderes Kaliber. Er liefert Xu Xin ein enges Spiel. Er ringt dem 27-Jährigen alles ab, muss sich am Ende aber mit 1:4 geschlagen geben. Es wird nicht mehr lange dauern, dann wird Harimoto die Chinesen besiegen können. Die WM war für ihn am Sonntagabend zuende, aber seine Karriere hat erst begonnen.

Harimoto wurde bei der Weltmeisterschaft als eines der größten Talente in der Geschichte des Tischtennis gefeiert. Er war im vergangenen Dezember jüngster Junioren-Weltmeister und stieß in Düsseldorf als jüngster WM-Teilnehmer der Historie in ein Viertelfinale vor. Harimoto sprengt einen Rekord nach dem anderen. 2020 will er in Tokio (mit dann 17 Jahren) Olympiasieger werden. Dass ausgerechnet ein kleiner Chinese mit japanischem Namen Chinas Asse angreift, wird in der stärksten Tischtennis-Nation der Welt skeptisch gesehen.

Vor 19 Jahren verließ der ehemalige chinesische Junioren-Nationalspieler Zhang Yu China und wanderte nach Japan aus, um im "Sendai City Table Tennis Centre" junge Japaner zu trainieren. Er bereitete sie auf den Kampf gegen seine chinesischen Landsleute vor, aber es wurde dann keiner seiner Trainingsschützlinge, der es mit den Chinesen aufnimmt - sondern sein Sohn.

Immer, wenn Harimoto in der Düsseldorfer Messehalle seine Spiele gewonnen hatte, versammelten sich über dem Ausgang auf der Tribüne 20, 30 Kinder und Jugendliche zur Jagd nach Autogrammen. Der eigentlich introvertierte, schüchterne Junge avanciert gerade zum Posterboy des Tischtennis. Während des Spiels bejubelt er wirklich jeden einzelnen Punktgewinn sehr extrovertiert, fast ein bisschen nervig. Er schreit dann nicht nur ein Mal, um sich zu motivieren, sondern drei Mal mit geballter Faust: "Do - dojee - do!"

Ob Deutschland vielleicht auch mal so einen Harimoto findet, ist Richard Prause als Sportdirektor des Deutschen Tischtennis-Bunds am Rande der WM gefragt worden. Aber er weiß, dass es in Deutschland nicht funktionieren würde, einen jungen Schüler so viel trainieren zu lassen. "Ich trainiere neun Stunden jeden Tag", hatte Harimoto in Düsseldorf stolz erklärt. "Ich weiß gar nicht, wann er dann noch zur Schule geht", sagt der deutsche Bundestrainer Jörg Roßkopf. "In Japan richtet sich die Schule nach ihm, nicht umgekehrt", sagt Prause und fügt zu den Sichtungs- und Trainingsmethoden in Japan an: "Die Japaner machen es den Chinesen gerade sehr erfolgreich nach."

Harimoto ist dabei noch ein besonderer Glücksfall. Ein kleiner Chinese im japanischen Gewand. Den Namen Harimoto wird man sich aber nicht nur im Männerbereich merken müssen. Tomokazus kleine Schwester Miwa ist neun Jahre alt. "Sie soll noch besser sein", sagt Roßkopf grinsend.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3534097
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de/chge
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.