Tischtennis-WM:Klatschen, trampeln, ärgern

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Warten auf den Boom: Timo Boll, 36, scheiterte im Viertelfinale. (Foto: Jonas Güttler/dpa)

Die deutschen Tischtennisspieler erleben in Düsseldorf eine Weltmeisterschaft der besonderen Momente - und der verpassten Chancen.

Von Ulrich Hartmann, Düsseldorf

Timo Boll war stolz, "auf das Publikum". Deutschlands bester Tischtennisspieler zeigte sich dankbar dafür, dass die Fans in Düsseldorf bei der Weltmeisterschaft viele eindrückliche Momente erschaffen hatten. Sie hätten ja auch pfeifen können, als Boll im Viertelfinale gegen den Chinesen Ma Long verlor, als Dimitrij Ovtcharov im Achtelfinale am Japaner Koki Niwa scheiterte und Ruwen Filus am Chinesen Fan Zhendong. Doch das Publikum war begeistert von den Leistungen der besten Deutschen. "Es war eine tolle WM mit tollen Momenten", sagte auch Bundestrainer Jörg Roßkopf. "Uns wird vor allem diese Begeisterung in Erinnerung bleiben", assistierte Sportdirektor Richard Prause.

"Ti-mo, Ti-mo", skandierten 8000 Zuschauer. Sie sangen wie in einem Fußballstadion. Sie trampelten mit den Füßen. Sie machten die Welle. Drunten zeigte Boll großartigen Sport. Er brachte den besten Spieler der Welt in Bedrängnis. Um ein Haar hätte er Ma Long im Viertelfinale in einen entscheidenden siebten Satz gezwungen. "Ich hätte zu gern erlebt, wie die Stimmung dann noch einmal hochkocht", sagte Boll. Sein Match war trotz der Niederlage am Ende ein besonderer Moment fürs deutsche Tischtennis. Auch Ovtcharovs dramatische 3:4-Niederlage gegen Koki Niwa, das spektakuläre 2:4 von Filus gegen Fan Zhendong und Kristin Silbereisens ansehnliches 2:4 gegen Feng Tianwei aus Singapur waren intensive Augenblicke. Am Ende waren die Chinesen halt wieder unter sich. Ma Long gewann das Endspiel der Männer gegen Fan Zhendong, Ding Ning jenes der Frauen gegen Zhu Yuhling. "Und so", sagte Boll, "wird es für den großen Boom auch diesmal wieder nicht reichen."

Daran ändert auch die Bronzemedaille im Mixed nichts, die die 23-jährige Petrissa Solja im deutsch-chinesischen Joint-Venture mit dem 25-jährigen Fang Bo gewann. "Wir sind ein bisschen enttäuscht", sagte Solja nach dem verlorenen Halbfinale am Samstag. Fang Bo sagte gar nichts, er verschwand hinter einer knallenden Tür. Gold hätten die beiden gern gewonnen, eine Medaille hatte auch Patrick Franziska mit seinem dänischen Doppelpartner Jonathan Groth im Sinn gehabt. Und Ovtcharov wäre nur zu gern ins Viertelfinale eingezogen. "Es war eine gute WM", sagt Prause, "aber es war auch eine WM der verpassten Chancen." Franziska, Bastian Steger, Solja und Sabine Winter waren alle bereits in der zweiten Runde gescheitert. Chantal Mantz, Wan Yuan und Nina Mittelham hatten schon in Runde eins verloren. Die stets verständnisvolle Frauen-Bundestrainerin Jie Schöpp sagte: "Ich akzeptiere die Ergebnisse." Begeisterung klingt anders.

Stimmung kam in der Messehalle 6 vor allem bei Auftritten der deutschen Männer auf. "Dojee", hat Ovtcharov jedes Mal geschrien, wenn er einen wichtigen Punkt gemacht hatte. Dazu ballte er die Hand zur Faust. "Dojee ist Tischtennissprache", erklärte Ovtcharov grinsend, "und heißt so viel wie: Ich lebe noch." Am Sonntag verhallte sein letztes Überlebenssignal. Als Fünfter der Weltrangliste hätte er den Sprung unter die besten Acht schaffen sollen, aber er verlor einen Achtelfinal-Krimi gegen Koki Niwa mit 9:11 Punkten im siebten Satz. "Ich wollte unbedingt ins Viertelfinale und dort 120 Prozent gegen einen Chinesen abliefern", sagte Ovtcharov. "Wenn man monatelang zehn Stunden pro Tag für dieses Ziel arbeitet, und am Ende fehlen einem zwei Punkte, dann ist es wirklich bitter." Ovtcharov hatte damit auch zum sechsten Mal das Viertelfinale einer WM verpasst. So bleibt sein größter Einzel-Triumph Olympia-Bronze 2012 in London.

Boll, 36, Silbereisen, 32, Filus, 29, und Ovtcharov, 28, waren am Ende die besten deutschen WM-Starter. Ihr fortgeschrittenes Alter zeugte aber nur bedingt von athletischer Kompetenz. Roßkopf prophezeite seinen besten Spielern noch viele erfolgreiche Jahre. "Timo Boll wird noch lange spielen", sagte er, "und Dima Ovtcharov ist unser Mann für die Zukunft." Prause räumte durchaus "ein kleines Nachwuchsproblem" ein, "denn irgendwann werden wir nach Boll und Ovtcharov eine große Lücke füllen müssen". Als vielversprechendste Lückenfüller gelten Ricardo Walther, 25, Benedikt Duda, 23, und Kilian Ort, 21.

Woran sich auch die nächste deutsche Generation messen lassen muss, demonstrierten die Weltbesten am Pfingstmontag in einem spektakulären Siebensatz-Finale. Olympiasieger Ma Long, 28, verteidigte zwar seinen Titel, doch sein Finalgegner Fan Zhendong, 20, bewies schon mal, warum er als Champion der Zukunft gilt. Auch Lin Gaoyuan (verlor im Achtelfinale gegen Chinas Drittbesten Xu Xin) ist erst 22.

Der deutsche Weltverbands-Präsident Thomas Weikert hätte sich schon bei dieser WM ausgeglichenere Verhältnisse gewünscht. Im Viertelfinale der Frauen war Europa nicht mehr vertreten, bei den Männern nur durch Boll. "Europas Ergebnis war mager", fand Weikert. Genauso mager wie die Präsenz der Bundesregierung, die niemanden nach Düsseldorf geschickt hatte. Weikert sagte: "Ich bin ein bisschen enttäuscht."

© SZ vom 06.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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