Tischtennis-WM in Dortmund:Die Ruhe nach dem Putsch

Die deutschen Tischtennis-Frauen haben sich bei der Weltmeisterschaft von ihrem ungeliebten Trainer Jörg Bitzigeio befreit - aber bringt weniger Strenge auch Erfolg? Am Donnerstag bestreiten die deutschen Spielerinnen ihr Achtelfinale. Wenn sie es verlieren und ausscheiden, ist ihr Mannschaftsstart bei Olympia in Gefahr.

Ulrich Hartmann, Dortmund

Es ist eine Geschichte wie aus einem Groschenroman: Fünf junge Frauen, die unter der Knechtschaft eines zähen Despoten leiden, befreien sich aus der Unterdrückung und blühen derart auf, dass sie einen lyrischen Wettbewerb beginnen und sich gegenseitig Gedichte widmen. Weil es hier aber um Tischtennis geht, würde diese Geschichte erst mit einem überraschenden Medaillengewinn am kommenden Wochenende so richtig rund werden.

Tischtennis Mannschafts-WM 2012

"Die Stimmung ist jetzt durchweg gut": Bundestrainerin Jie Schöpp mit Jiaduo Wu, Zhenqi Barthel und Sabine Winter (von links) bei der WM in Dortmund.

(Foto: dpa)

Lachend und albernd saßen die fünf Spielerinnen der deutschen Tischtennis- Nationalmannschaft zu Beginn der Mannschafts-WM in einer Pressekonferenz. Kristin Silbereisen und Sabine Winter gaben Reime zum Besten, die sie aus purem Vergnügen und als eine Art lyrisches Duell füreinander auf ihre Internetseiten geschrieben hatten.

Die Revolte, die vor sieben Wochen zur Trennung vom ungeliebten Trainer Jörg Bitzigeio führte, hat offenbar keinerlei Spuren hinterlassen. "Die Stimmung ist jetzt durchweg gut", betont die Aktivensprecherin Silbereisen, "es gibt keine Streitereien mehr, keine Diskussionen über Technik oder so." Die Spielerinnen haben sich durchgesetzt in einem Machtkampf.

Bis Ende Januar hatten die deutschen Nationalspielerinnen ihren Trainingsalltag im Düsseldorfer Leistungszentrum scheinbar als überzogene Schinderei wahrgenommen. Ihr Bundestrainer Bitzigeio, 35, wollte die Mannschaft in die Weltspitze führen und hatte dabei offenbar nicht verstanden, dass die Spielerinnen gar nicht willens waren, für seine Vision einen Großteil ihrer Zeit und Kraft zu opfern. Sie beschwerten sich über die hohen Anforderungen und einen allzu rauen Umgangston beim Sportdirektor des Deutschen Tischtennis-Bunds.

Dirk Schimmelpfennig beschnitt daraufhin Bitzigeios Kompetenzen derart, dass der Ratinger sechs Wochen vor Beginn der WM hinschmiss. Doch erst als das Tischtuch zerschnitten war, räumte Bitzigeio ein: "Vielleicht war ich zu forsch, vielleicht zu dominant und zu sehr überzeugt von meinem Konzept." Am Mittwoch saß er in der Westfalenhalle auf der Tribüne und sah seiner früheren Mannschaft bei ihrem 3:2-Sieg im letzten Gruppenspiel gegen Serbien zu.

Nun herrscht Ruhe bei den Frauen. "Jetzt konzentrieren sie sich wieder ausschließlich auf das Sportliche, und das brauchen wir auch, weil die WM auch so schon schwer genug ist", sagt Sportdirektor Schimmelpfennig. An diesem Donnerstag bestreiten die deutschen Spielerinnen ihr Achtelfinale, Gegner ist Nordkorea, im Viertelfinale am Freitag würde Titelverteidiger Singapur warten.

Scheiden die Deutschen am Donnerstag aus, ist ihr Teamstart bei Olympia in Gefahr. Gewinnen sie, ist die London-Teilnahme so gut wie geschafft. So dicht liegen Erfolg und Misserfolg manchmal beieinander, und so dicht liegen nun auch die Antworten auf die Frage beieinander, ob Bitzigeios Abschied vor allem für die mittelfristige Perspektive der deutschen Tischtennisfrauen richtig war oder nicht.

Roßkopf schwärmt

"Jörg Bitzigeio hat hervorragende Arbeit geleistet und die Frauen auf ein anderes Niveau gehoben", sagt der Männer-Bundestrainer Jörg Roßkopf. "Vielleicht wird man erst in ein paar Jahren merken, dass das, was er aufgebaut hat, sehr gut gewesen ist." Bitzigeio beklagte nach seiner Demission vor allem, dass der Verband ihm keinerlei Rückendeckung gegeben habe. In der insgesamt sechseinhalbjährigen Ära des Sportwissenschaftlers hatte das deutsche Frauenteam vor zwei Jahren bei der WM in Moskau immerhin überraschend Bronze gewonnen.

Tischtennis Mannschafts-WM 2012

Sabine Winter in der Partie gegen Serbien: Wie weit schaffen es die deutschen Frauen bei der WM?

(Foto: dpa)

Die neue Trainerin, der die Frauen nun vertrauen, heißt Jie Schöpp und lässt es erst einmal gelassener angehen. Die 44-jährige Deutsch-Chinesin war einst selbst erfolgreich auf Medaillenjagd für den Deutschen Tischtennis-Bund. "Eine Frau als Trainer ist automatisch ein bisschen sensibler", sagt Kristin Silbereisen. Dass sich die Stimmung in der Mannschaft gebessert hat, könnte man aus den meist lächelnden Gesichtern der Spielerinnen schließen.

Sportlich über sich hinausgewachsen sind sie in dieser Woche in Dortmund bislang allerdings noch nicht. Nach drei erwarteten Siegen gegen Frankreich, Polen und Spanien waren sie im vierten Spiel gegen Japan chancenlos. "Da haben wir schlecht ausgesehen", sagte die Berlinerin Irene Ivancan, "wir hatten uns mehr erwartet."

Jie Schöpp, mit Bitzigeio vor acht Jahren deutscher Meister im Mixed, fand es rückblickend schwer, "so kurz vor einer WM" das Traineramt zu übernehmen. "Der Druck war groß und ich wusste ja nicht, was wird", sagt sie. Sie habe sich dann erst einmal "zehn bis zwölf Stunden am Tag" in die Materie eingearbeitet, Videos angeschaut und Analysen erstellt. Jetzt kann sie auch nicht viel mehr tun, als ihren Spielerinnen Stärke zu vermitteln und dann ruhig zu bleiben, wenn es mal nicht so gut läuft. Genau da sieht Schöpp ihre Stärke.

"Ich habe im Tischtennis schon viel erlebt", sagt sie, "und es ist ein großer Vorteil, wenn man ruhig bleiben kann." Es gebe nicht mehr viel, das sie überraschen könne. Ihr plötzlicher Wechsel auf die Trainerbank des Frauenteams hat allerdings definitiv dazugehört.

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